New Order - Music Complete (2015)
Kalkül und Gefühl: New Order bieten logisch aufgebauten, gebremst optimistischen Electro-Pop.
Die Geschichte ist bekannt. 1978 wurde in Manchester die trostlos klingende New Wave-Band Joy Division gegründet, deren 1980er „Love Will Tear Us Apart“ viele Musik-Liebhaber tief berührt und erschüttert. Der manisch-depressive Frontmann Ian Curtis beging im selben Jahr Selbstmord und die restlichen Band-Mitglieder machten unter dem Namen New Order weiter. Sie krempelten ihren Sound total um, spielten fortan elektronisch geprägte Post-Punk-Dance-Nummern mit Minimal-Art-Touch. Mit dem mehr als achtminütigen „Blue Monday“ schufen sie einen Alternativ-Disco-Klassiker, der bis heute seine hypnotische Wirkung nicht verfehlt. Nach mehreren Ruhe- und Auflösungs-Perioden formierte sich die Gruppe 2011 neu und musiziert seit 2007 ohne Gründungsmitglied Peter Hook. Dieser war mit seinem prägnanten Bass-Sound wichtig für die wuchtige Ausrichtung der Anfangsjahre. Wieder dabei ist die Keyboarderin Gillian Gilbert, die auch aus der Gründungsformation stammt.
„Music Complete“ enthält die ersten neuen Songs der Band seit „Waiting For The Sirens` Call“ aus 2005. Nicht mitgezählt ist dabei die Outtakes-Sammlung „Lost Sirens“ von 2013, die das bemerkenswerte „Hellbent“ enthielt. Der Track wirkte wie ein Weckruf, weil hier der Rock & Roll zurück in den Sound von New Order fand. Eine hoffnungsvolle Neuorientierung deutete sich an, die sich leider nicht beim aktuellen Album fortsetzt. Der Einsatz von elektrischen Gitarren wurde nämlich zurückgefahren und der Bass poltert nicht mehr so dominant durch die Soundlandschaft wie früher. Von der ehemals innovativen Haltung, die Punk mit Disco aussöhnte, ist die Gruppe heute relativ weit entfernt.
Was man von ihr erwarten kann, sind mild groovende Electro-Pop-Songs, die sowohl auf der Tanzfläche, wie auch beim Autofahren oder zuhause funktionieren und angenehme, teils beschwingte Unterhaltung bieten. Der milde, sympathische Gesang von Gitarrist Bernard Sumner hat eine ausgleichende Funktion, die den Kompositionen die kühle, mathematische Strenge nimmt, die sie durch die hypnotisch vorwärtstreibenden Rhythmen bekommt. Die Stimme hinkt manchmal hinter dem Rhythmus her. Dieser Bruch sorgt dann für den Aufbau einer inneren Dynamik („Singularity“).
Bei „Restless“ und „Academic“ steht ein aufmunternder Pop-Aspekt im Vordergrund. Wie erfolgreiche DJs zitieren die Musiker aus dem Fundus von Dancefloor-Klassikern und orientieren sich genüsslich am Disco-Funk von Chic („People On The High Line“) oder an Giorgio Moroder-Produktionen wie „I Feel Love“ von Donna Summer („Plastic“). Iggy Pop, ein alter Held zu Joy Division-Zeiten, rezitiert mit knurriger, dunkler Stimme bei „Stray Dog“ Texte wie „Das Geheimnis allen Glücks ist bedingungslose Liebe“. Er kann dadurch aber auch nicht verhindern, dass der Track nicht richtig aus dem Quark kommt. „Nothing But A Fool“ ist der Track, der am deutlichsten eine Rockmusik-Basis aufweist und „Unlearn This Hatred“ könnte ein neuer Dance Club-Favorit werden.
Die Songs von „Music Complete“ wurden nach ihrer Geschwindigkeit sortiert, damit sie in einem Rutsch ohne Brüche durchhörbar sind. Logik trifft dadurch auf Wiedererkennungswert. New Order verwalten ihre eigene Legende und erfinden das Rad nicht neu. Die Gruppe bewegt sich 2015 innerhalb von dem von ihr bereits eroberten Territorium. Veränderungen finden nur in diesem abgesteckten Rahmen statt. Das neue Werk zeigt also, dass die Musiker den Anspruch auf Innovation zurzeit auf Eis gelegt haben. Lässt man diese Erwartung beiseite, dann entpuppt sich die Platte als gut gemachte, radiotaugliche Allzweckwaffe für den täglichen Gebrauch.
Kommentare
Kommentar veröffentlichen