Fieh - In The Sun In The Rain

Ob Sonne oder Regen: Beides gehört zum Leben und findet eine Entsprechung in den vollmundigen, intelligenten Songs von Fieh.

Auf der Web-Seite des norwegischen Septetts Fieh (wird Fia ausgesprochen und ist der Spitzname der Sängerin und Komponistin Sofie Tollefsbøl) sind folgende Anmerkungen zu ihrem zweiten Album "In The Sun In The Rain" enthalten: "Die aktuelle Musik konzentriert sich auf den Groove, es gibt aber auch experimentelle und orchestrale Songs. Inspiration dazu gaben The Roots, Joni Mitchell, Erykah Badu, die Beatles und Solange. Die Texte kreisen um Themen des Alltags und um die Liebe, es sind echte Geschichten aus dem wahren Leben." 
Credit: Jonathan Vivaas Kise

Die ersten fünf Songs sind dem Bereich "In The Sun" zugordnet worden. Ab "Allthetimeevenwhen" beginnt der "In The Rain"-Abschnitt: Die Orchester-Schöpfungen von George Gershwin ("Rhapsody In Blue"), Jazz-Rock-Fusionen der 1970er Jahre, experimenteller Art-Pop, all dies findet sich im aufregend sprudelnden Track "In The Sun In The Rain (Move On Up)" wieder. Unkonventionell werden hier bewährte Ausdrucksformen zu einem Mix zusammengefügt, der als Fusion über die gängigen Höreindrücke hinausgeht. Der Groove hält dann diese sehr unterschiedlichen Einflüsse zusammen.
Das gilt auch für "Fast Food", einem Stück, das nicht eindeutig dem Jazz, Soul oder Funk zugerechnet werden kann, aber deren Feuer und körperliche Impulsgebung überträgt. Im Kern handelt es sich um einen aufreizenden Jazz-Pop mit versöhnlicher Singer-Songwriter-Seele. Ein verschlungener Kompositions-Ansatz trifft mit Wucht auf traditionelle Country-Folk-Strukturen, was ein Gerangel um die Vorherrschaft der verwendeten Bestandteile auslöst. Dadurch entsteht eine nützlich-fruchtbare Auseinandersetzung.
Bei "Telephone Girl" schwingt ein angedeuteter Dub-Reggae-Rhythmus mit, was lässige Vibrationen hervorbringt. Das klappt zuverlässig und führt wegen überwiegender Pop-Tendenzen in letzter Konsequenz zu einem kultivierten Easy Listening-Sound.
Für "Rosalie" wird in erster Linie eine rhythmische Energie angezapft und belebend wiedergegeben. Das heißt, der Song erzeugt eine milde Euphorie, wobei die Verwirbelung diverser Pop-Erfahrungen sich auch noch aufmunternd auswirkt. Ohne diese belebenden Wirkungen wäre der Song eher von zurückhaltender Natur. 
Fieh erweisen sich nicht als Bilderstürmer, sondern als Verwalter des Bewährten. Deshalb adaptiert "Grendehus Funkedelic" auch nicht ungeniert den Sound von George Clintons Funkedelic, sondern spielt ausgelassen mit stärkenden Punk-Funk-Komponenten, die dem Art-Pop eine rebellische Färbung verleihen. Inspiration muss eben nicht zwangsläufig zu einem Plagiat führen. 
Pur, rein und klar ertönt nicht nur das Xylophon zu Beginn von "Allthetimeevenwhen", sondern auch der helle, freundliche Gesang ist von ungetrübter Unschuld und strahlender Sorglosigkeit geprägt. Die vielschichtig und beweglich gestalteten Arrangements stehen der sonnigen Leichtigkeit dabei in keiner Weise im Wege. Das Stück ist ein Musterbeispiel an anspruchsvoller und dabei unbekümmerter Unterhaltung.
Zwei Merkmale prägen "Englishman": Ein Rhythmus-Geflecht, welches sich anhört, als wäre es von Bill Withers ("Ain`t No Sunshine") ausgeliehen worden und eine melodische Ausgelassenheit, die dem kalifornischen Sunshine-Pop der 1960er Jahre von Association oder Harpers Bizarre nahekommt.
"Rooftop" bedient Fragmente, die aus den goldenen Zeiten des Psychedelic-Pop der 1960er und 1970er Jahre in die Jetztzeit gerettet wurden: Opulente Instrumentierungen, rauschhaft umnebelte Phantasien und ausdrucksstarke Gesänge lassen den Song abgeklärt und erhaben erscheinen.
Dunkle, langsam gesungene und gespielte Töne verbreiten bei "Anger Management (Jesus)" eine bedächtige Stimmung, die durch ihre hypnotische Wirkung zur Entschleunigung beitragen und zum Innehalten animieren kann.
Break-Beats und Space-Pop-Elemente konkurrieren bei "Howcome" um Anerkennung. Die beiden konträren Ausprägungen harmonieren, weil sie sich zum Wohle eines anziehenden Kontrastes respektvoll umgarnen. Dadurch werden die gegenseitigen toxischen Effekte neutralisiert.
Schutzlos ausgeliefert erforschen Bass und Stimme den Klangraum von "Hero". Dabei treffen sie auf suchende Keyboard-Ton-Splitter, die diese Expedition geistreich unterstützen. Es bleibt viel Platz für zusätzliche Noten in diesem Gefüge, bis das Schlagzeug taktvoll regulierende Akzente setzt und flirrend-sirrende Streicher-Arrangements die Lücken genießerisch-sanft füllen.
Sofie Tollefsbøls klare Stimme bleibt dabei Anziehungspunkt und Leitlinie, ohne die Lieder ungebührlich zu dominieren. Der flexible Gesang passt sich jeder emotionalen Situation an. Ob hohe, optimistische Töne verlangt werden oder die Unterstützung einer bedrückenden Situation ansteht, Sofie Tollefsbøl schmiegt sich jeder Herausforderung nahtlos an. Sie setzt sich souverän gegen den üppigen Instrumenten-Cocktail ab, agiert dabei aber stets songdienlich.

Fieh sind ein Phänomen. Mit ihrem zweiten Werk nach "Cold Water Burning Sky" aus 2019 legen sie ein äußerst inspirierendes, vor Attraktivität aus allen Nähten platzendes Album vor, das reif, entschlossen, abwechslungsreich und rundum edel-gepflegt klingt. Pop-kulturelle Erfahrungen und kreative Eigen-Entwicklungen lassen Kompositionen erstrahlen, die sowohl wohlige Klang-Erinnerungen erzeugen, wie auch für bemerkenswerte neue Ansichten sorgen. 

Fieh erschaffen eine Atmosphäre, die verträumte und lebensnahe Klänge zu einem Bündel stimulierender Schwingungen zusammenfasst. Aufgrund der breiten stilistischen Abdeckung könnten die Norweger und Norwegerinnen jede Menge Hörer und Hörerinnen betören. Bei "In The Sun In The Rain" zählt die musikalische Qualität genauso viel wie die glanzvolle, ausdrucksvolle Ausgestaltung. So kommt es, dass selbst so gegensätzliche Zutaten wie Groove, Experiment und Orchestrierung bestens mit- und nebeneinander funktionieren. Mehr noch, sie ergänzen sich bei Fieh prächtig!

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