Alina Bzhezhinska & HipHarpCollective - Reflections

"Reflections" zeigt, welche Strahlkraft eine Harfe besitzen kann, wenn sie eine Könnerin bedient und das sie begleitende Ensemble geschmackvoll arrangiert wird.

Bei aller Eigenständigkeit und Kreativität kann die in London lebende ukrainische Harfenistin Alina Bzhezhinska ihre Verehrung für die Kolleginnen Dorothy Ashby und Alice Coltrane (die ex-Frau des Saxophonisten John Coltrane) nicht leugnen. Kunststück, so viele prägende Harfenistinnen gibt es ja auch gar nicht im Jazz. Und damit ist auch schon die grobe Stilrichtung von "Reflections" vorgegeben: Spirituell verspielter und intellektuell groovender Jazz, der genauso von einer festen Struktur wie von lebendiger Improvisation lebt.
Die glitzernd perlenden, rauschend wehenden und klingelnd hellen Töne der Harfe prägen selbstverständlich das gesamte Klangbild, lassen aber auch Raum für andere Sound-bildende Instrumentalisten. So trägt beim Eröffnungstrack ”Soul Vibrations" (der ursprünglich 1968 von Dorothy Ashby aufgenommen wurde) eine Rumpfbesetzung des HipHarpCollective - nämlich Michele Montolli (Bass), Joel Prime (Percussion), Adam Teixeira (Schlagzeug) und Ying Xue (Geige & Viola) - entscheidend zum schwelgend-sehnsüchtigen und romantisierend-exotischen Stimmungsbild bei. Parallel dazu wird das Stück von einem grummelnden, karibisch anmutenden Funk-Groove bei Laune gehalten.
Kurzzeitig produziert der Bass zu Anfang von "For Carrol" unheimlich erscheinende menschliche Klagelaute, bevor Jay Phelps seiner moderat angeblasenen Trompete eine traurige Melodie entlockt, die sich zeitnah aus ihren melancholischen Fesseln befreit und durchaus ein unbequemes Eigenleben führt. Der Rhythmus swingt unterdessen wie ein frisch geöltes Uhrwerk, während die Harfe und der Bass geordnete, kommunikative Improvisationen anstimmen.
"Fire” ist eine gemeinschaftliche Komposition des Saxophonisten Joe Henderson mit Alice Coltrane. Sie ist im Original auf Hendersons Album "The Elements" von 1974 zu finden. Den Saxofon-Part führt hier der Brite Tony Kofi aus und er interpretiert seine Rolle genauso wie es Joe Henderson tat: Als Aufrührer und als melodischer Verstärker. Entsprechend taumelt das Stück zwischen leichtfüßiger brasilianischer Lebensart, verspielter Improvisation und aggressiv-wildem Krawall hin und her. Das Samba-Percussion-Solo gegen Ende ist dabei etwas zu lang geraten, was zu Lasten der ansonsten geschlossenen Kompaktheit geht.
Das Stück “Reflections” geht da ganz andere Wege: Auf gefühlvoll-malerische Weise werden die klaren Töne der Harfe und die dunklen Schwingungen vom Bass zusammen mit dezenten Schlagzeug-Becken-Klängen in einem durchgängig langsamen, ruhigen Erzähltempo nebeneinander und miteinander aufgestellt.
Der kubanische Musiker und Bandleader Mongo Santamaria ist für seinen mitreißenden, perkussiv geprägten afro-kubanischen Sound bekannt, mit dem er unter anderem Herbie Hancock ("Watermelon Man") und Carlos Santana beeinflusste. Santamarias “Afro Blue” aus 1959 wurde unter anderem von John Coltrane, Abbey Lincoln und Lizz Wright aufgenommen und ist auf "Reflections" in der Gesangsversion zu finden. Die Jazz-Sängerin Vimala Rowe, die ansonsten gerne das Werk von Ella Fitzgerald oder Billie Holiday interpretiert, leiht dem weltmusikalisch gefärbten, vorsichtig forschenden Jazz-Track ihre sanfte, soulig-ergreifende Stimme, die in ihrer überlegt-inspirierenden Art an Julie Tippetts erinnert.
John Coltrane gilt zu Recht als einer der einflussreichsten Saxophonisten des Jazz. Sein musikalischer Weg führte ihn sowohl in lyrische wie auch in experimentelle Bereiche. “Alabama” spielte er 1963 als Reaktion auf einen Bombenanschlag des Ku-Klux-Klan in einer Kirche ein, bei dem vier Afro-Amerikaner getötet wurden. Das Stück ist von Trauer durchzogen, zeigt aber trotz des rassistisch motivierten Hintergrunds keine Wut. Das HipHarpCollective-Mitglied Tony Kofi übernimmt bei dieser Cover-Version eine demütige, am Original angelehnte Saxophon-Position und sorgt dafür, dass der Track seine ursprüngliche gnädige Stimmung und spirituelle Kraft beibehält.
Mit “African Flower” wird einem weiteren Giganten der Jazz-Szene Tribut gezollt: Duke Ellington schrieb die Komposition 1962 für sein Album "Money Jungle", wo ihn Charles Mingus am Bass und Max Roach am Schlagzeug begleiten. Das Stück ist im Grunde genommen eine zärtliche Ballade, was noch besser bei den Piano-Solo-Aufführungen des Duke zur Geltung kommt. Alina Bzhezhinska orientiert sich an dieser introvertierten Variante, bindet aber bei ihrer Sichtweise Solo-Aktivitäten von Harfe und Saxophon mit ein.
Die Instrumentalversion der Eigenkomposition “Paris Sur Le Toit” lässt es leicht und locker angehen, so dass sie sich bei aller kunstvollen Darstellung auch als unaufdringliche Hintergrundbeschallung eignet. Die Gesangs-Version des Tracks erhält durch den Rap-Beitrag von Lady Sanity und Tom They/Them im Gegensatz dazu eine sperrig-eigensinnige Ausrichtung.
Bei der Komposition “Sans End“ des Bassisten Michele Montolli herrscht ein melodisches, intimes Abtasten zwischen Harfe und Bass, das von rücksichtsvoller polyrhythmischer Percussion unterlegt wird.
Neben Alice Coltrane ist Dorothy Ashby die zweite Harfenistin, die für Alina Bzhezhinska eine Vorbildfunktion hat. Sie war eine Pionierin, die bereits Ende der 1950er Jahre wirkte. Ihr “Action Line” aus 1968 ist ein Titel, der in einigen Rare-Groove-Sammlungen auftaucht und sich überraschend frisch gehalten hat. Das HipHarpCollective verändert den Good-Time-Charakter nur unwesentlich, baut die Soli aber tendenziell eher als gewollten Bruch statt als homogenes Zusammenspiel ein.
Mit einer sechsminütigen "Meditation", die sphärische Momente, sowie Harfen- und Bass-Improvisationen enthält, wird das zweite Werk von Alina Bzhezhinska nach "Inspiration" aus 2018 in sich stimmig abgeschlossen.

"Reflections" ist eine respektvolle Verbeugung vor der Lebensleistung von Dorothy Ashby und Alice Coltrane und ein aktueller Hinweis darauf, dass die Harfe zu Unrecht ein stiefmütterliches Dasein im Jazz fristet. Ihr Klang wird zwar in der Klassik geschätzt, ist aber in anderen Bereichen oft nur zur esoterischen Vernebelung oder Romantisierung von Eindrücken willkommen. Dabei kann mit ihr soviel mehr ausgedrückt werden, wie Alina Bzhezhinska anschaulich und kompetent mit ihrem HipHarpCollective beweist. "Reflections" stellt Schönheit neben Spiritualität und Experimentierfreude dar und deckt somit ein breites Ausdrucks-Spektrum ab, welches präzise auf intro- und extrovertierte Art und Weise ausgeleuchtet wird. So funktioniert zeitloser Jazz mit Geschichtsbewusstsein.

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