Jeb Loy Nichols - United States Of The Broken Hearted

Jeb Loy Nichols, wie man ihn kennt und schätzt: Lässig, intelligent und geschmackvoll.

Jeb Loy Nichols scheint eines der am besten gehüteten Geheimnisse der Pop-Musik zu sein. Der Musiker veröffentlicht seit 1990 - zuerst mit seiner Band Fellow Travellers, dann ab 1997 als Solo-Künstler - konstant hochwertige Alben, die sich unter anderem aus Folk-, Country-, Reggae-, Jazz-, Soul-. Funk-, Pop-, Weltmusik- und Blues-Bestandteilen speisen. Nichols ist lässig wie Jack Johnson, vielseitig wie Paul Simon und verfügt über eine markante, näselnd-sinnliche Stimme mit hohem Wiedererkennungswert. Seine Songs sind anmutig und pfiffig, können also zu Tränen rühren (z.B. "Kissing Gate" von "Just What Time It Is" (2000)) oder hinsichtlich ihres speziellen Charakters verzücken (z.B. "My Kind" von "Days Are Mighty" (2007)). Aber der große Durchbruch lässt trotzdem immer noch auf sich warten.
Credit: Jeri Noble

Vielleicht ändert sich das ja jetzt mit seinem vierzehnten Werk "United States Of The Broken Hearted", das neben neun Eigen- auch drei Fremdkompositionen enthält, davon zwei mit politischen Botschaften ("Deportees" von Woody Guthrie aus 1948 und "I Hate The Capitalist System" von Barbara Dane aus 1973). Produziert wurde die Platte von Adrian Sherwood, dem Reggae-Erneuerer mit Hang zu experimentellen Dub-Sequenzen. Wobei er hier Milde walten lässt, auf eine leichte, fließende Country-Folk-Basis setzt und dabei Hall und Echo nur sparsam benutzt.

"Adrian war und ist mein größter Einfluss - in seiner völligen Missachtung der Genre-Reinheit", sagt Jeb Loy Nichols über Adrian Sherwood. Darüber hinaus wurde der in Wyoming geborene und in verschiedenen US-Bundesstaaten sowie in Spanien und jetzt in Wales lebende Nichols schon früh vom Südstaaten-Soul von Al Green oder den Staple Singers in einen Bann gezogen. Später ging er mit seinem Vater auf Bluegrass-Konzerte und hörte mit seiner Mutter zuhause Nat King Cole. 

Mit 15 hauten ihn dann die Sex Pistols und die Ramones von den Socken. In seiner Kunsthochschul-Phase kamen dann noch Rap und HipHop als Einflüsse hinzu. 1981 erfolgte dann in London das erste Aufeinandertreffen mit Adrian Sherwood, das für ihn die Initialzündung bedeutete, um seinen individuellen Sound zu formen und zu leben. Mit "United States Of The Broken Hearted" schlägt er musikalisch keine vollständig neuen Seiten auf, fügt den bekannten Schwingungen aber immer wieder dezente neue Aromen hinzu. Der Reiz seiner Kompositionen besteht weiterhin in dem verführerisch cremigen Klang, der Ausgeglichenheit und der spürbaren menschlichen Wärme, die sein Gesang verbreitet.

"Monsters On The Hill" führt mit bedächtig-ruhigen Akustik-Gitarren-Tönen, weichen Bläser-Sätzen, einem gemütlichen Rhythmus-Fundament und minimalen Dub-Effekten behutsam in die verführerische Welt von Jeb Loy Nichols ein.

Mit reichlich Exotik und geisterhaften Sounds wurde "Big Troubles Come In Through A Small Door" ausgestattet. Flirrende Geigen, ein nur sporadisch auftauchendes Piano und eine verwehte Trompete sorgen für eine geheimnisvoll-fremdartige Atmosphäre.
Der entspannte Rhythm & Blues-Funk "Fold Me Up" transportiert eine abgehangene Reife, wie sie auch J.J. Cale zur Ehre gereichen würde. Dann schwingt noch eine schwüle Voodoo-Blues-Atmosphäre mit, die einst vortrefflich von Tony Joe White in Szene gesetzt werden konnte. Nichols gestaltet aus diesem famosen Referenzen-Cocktail einen zurückhaltend-mysteriösen Dark-Folk-Track. Der nachfolgende Country-Soul "No Hiding Place For Me" hat auch die Ruhe für sich gepachtet und groovt geschmeidig und entschleunigt, wie auf Wolken gebettet. 

"What Does A Man Do All Day" ist ein swingender Pop-Reggae, bei dem das Cello die Feedback-Funktion einer E-Gitarre übernimmt. Das ist aber nur ein kleiner Gimmick in diesem ansonsten eingängig und sonnig ablaufenden Song. Die romantische Dream-Folk-Ballade "United States Of The Broken Hearted" ist unterm Strich allerdings etwas zu bieder und süßlich ausgefallen. 

"I’m Just A Visitor" wurde von Jeb Loy Nichols schon als "Just A Visitor" auf dem gleichnamigen Album von 1992 aufgenommen. Gegenüber der unverkrampft swingenden Dub-Reggae-Original-Version hat man es aktuell mit einem introvertierten Folk-Jazz zu tun.

Bei "I’ve Enjoyed As Much Of This Good Life (As I Can Take)" klingt Job Loys Stimme rauer als gewohnt, bleibt aber auch hier besonnen. Der gemächliche, betrübte Folk-Rock wird durch das schwelgend-brummende Cello zeitweise in eine ehrwürdig-barocke Stimmung versetzt.
Country & Western (die Mundharmonika), Jazz (der Kontrabass), Rhythm & Blues (die Orgel und das Piano) und Funk (der Rhythmus) finden sich für "Looking For Some Rain" zum zwanglosen Stelldichein ein.

Die neuen Eigenkompositionen geben ein feinsinnig-weises Bild ab, welches auch auf die Fremdkompositionen übertragen wird. Der Protest-Folk-Song "I Hate The Capitalist System" stammt von der 1927 geborenen amerikanischen Musikerin Barbara Dane und wurde 1973 nur unter Begleitung einer akustischen Gitarre eingespielt. Das Lied prangert die miesen Arbeitsbedingungen im Bergbau und die Ausbeutung durch skrupellose Arbeitgeber an. Jeb Loy nimmt dem Song die unterdrückte Wut, kommentiert den üblen Sachverhalt mit gelassener Stimme und füttert den Track mit zusätzlichen Instrumenten an, ohne die ursprüngliche Fragilität zu verlieren.

Woody Guthrie war ein großer Einfluss für Bob Dylan und ein Kämpfer für Gerechtigkeit. Sein "Deportees" handelt von einem Flugzeugabsturz, der sich am 28. Januar 1948 in Kalifornien ereignete. Im Flugzeug saßen 32 Menschen, die zu Tode kamen, davon 28 Wanderarbeiter, die nach Mexiko abgeschoben werden sollten. In der Berichterstattung wurden sie lediglich als Deportierte und nicht als Menschen bezeichnet, was Guthrie zu Recht als rassistisch ansah. Außerdem macht das Lied darauf aufmerksam, dass damals Ernten vernichtet wurden, nur um den Preis hochzuhalten. An dieser absurden, Mensch und Natur verachtenden Vorgehensweise hat sich bis heute leider nichts geändert. Nichols legt den Song als traurig-erschütternde Ballade an, die von einer Orgel wie mit einem Leichentuch bedeckt wird, das von jammernden Streichern noch zusätzlich dunkel eingefärbt wird. Das ist ergreifend, sogar niederschmetternd. Das Album endet mit dem schönen Evergreen "Satisfied Mind", der schon 100fach interpretiert wurde, auch weil er inhaltlich bedeutend ist, denn es wird beschrieben, dass Zufriedenheit befriedigender als Reichtum ist. Nichols gestaltet das anrührende Lied sensibel und passend als fragilen, souligen Country-Folk.

Jeb Loy Nichols spielt als Vermittler zwischen den Stil-Welten eine ähnliche Rolle im On-U-Sound-Universum von Adrian Sherwood, wie sie der im Jahr 2000 verstorbene Jamaikaner Bim Sherman ausfüllte. Der vom Reggae kommende Sherman sorgte mit seiner sanften Stimme und harmonischen Arrangements für samtige Momente und hat seine Reggae-Interpretation an Folk und Pop angenähert. Er war somit auf den gleichen Spuren unterwegs wie Jeb Loy Nichols, nur mit umgekehrten Voraussetzungen.

Jeb Loy meint zu seinem neuen Werk: "United States Of The Broken Hearted" wurde vierzig Jahre lang entwickelt... Vor ein paar Jahren, bei einem Besuch bei Adrian, erwähnte ich Gram Parsons Konzept der „American Cosmic Music“, also die Verschmelzung verschiedener Musikgenres, die einen einzigartigen amerikanischen Sound ausmacht... Wir sprachen darüber, eine Platte aufzunehmen, die diese Philosophie beinhaltet und alle Einflüsse enthält, die ich gesammelt habe, von Bluegrass über Jazz und Reggae bis hin zu Soul.... “

"United States Of The Broken Hearted" reiht sich qualitativ nahtlos in den hochwertigen Output des Wahl-Walisers ein. Schon bei den ersten Takten identifiziert man ihn eindeutig, sein Sound schmiegt sich sofort an, er klingt eingängig, agiert aber hinsichtlich der Zusammen- und Umsetzung der Musik erfahren und detailverliebt. Jedes Album des vielseitigen Künstlers war bisher ein akustischer Leckerbissen und ein einladend-reizvolles Erlebnis, da bildet auch "United States Of The Broken Hearted" keine Ausnahme!

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