Karolina - All Rivers

Mit "All Rivers" schüttet Karolina ein Füllhorn an bezaubernden Ideen und speziellen Sounds aus.

Die israelische Sängerin und Komponistin Keren Avratz bekam ihren Spitznamen Karolina von ihrer Großmutter verliehen. Nach ihren Projekten Funset und Trio Habanot Nechama startete sie ihre Solo-Karriere dann unter diesem Pseudonym. "All Rivers" ist jetzt ihre erste englischsprachige Veröffentlichung und trägt den Gedanken in sich, dass alle Flüsse ins Meer fließen oder dass eigentlich alle Flüsse zu den Flüssen zurückfließen. Es geht also um Kreisläufe, die von Wellen angetrieben werden und das Album spiegelt diese Wellenbewegungen laut Deutung der Künstlerin als Ausdruck verschiedenartiger Emotionen wider.
Credit: Tru Thoughts

Gleich zu Anfang entführt Karolina mit "Boots" unter Mithilfe des israelischen Multi-Instrumentalisten und Arrangeurs Avishai Cohen in eine glitzernd-bunte Klangwelt zwischen Traum und Realität. Karolina verkörpert mit ihrer akzentuierten, variablen Soul-Jazz-Stimme - die sowohl an Billie Holiday wie auch an Amy Winehouse erinnert - den bodenständigen Teil des Liedes. Die fantasievollen, sanft rieselnden, blinkenden, schwebenden und hüpfenden Töne der instrumentellen Begleitung werden als Kontrast geschmackvoll zu einem edlen, transparenten und aparten Art-Pop Klang-Gerüst abgerundet.

Der Funk-, Hip-Hop-, Ambient- und Jazz-Produzent Rejoicer aus Tel Aviv trägt danach maßgeblich zum exotisch gewürzten, sich unaufdringlich anschmeichelnden Karibik-Funk von "Self Voodoo" bei, der von exotischer Rhythmik durchzogen ist. Karolina singt dazu mit einer naiv-kindlichen Stimme, die als anlockender Gegensatz neben dem exakt swingenden Sound auftaucht. Inhaltlich geht es um eine Voodoo-Puppe, die Karolina nach ihrem Vorbild erschaffen hat und von der sie als Sinnbild für Selbstzweifel verletzt wird. Der Song ist also letztlich ein Appell zur Selbstliebe, wie die Musikerin erklärt.
Das Stück "All Rivers" wird sowohl von Boogie-Blues- wie auch von Bebop-Jazz- und Minimal-Art-Elementen getragen. Eine raffinierte, verschnörkelte, aber dennoch leichtgängige Angelegenheit und ein sinnlich-anregendes Vergnügen, das wieder von Avishai Cohen begleitet wird.

Die in Moskau geborene und in Tel Aviv lebende Neo-Soul Sängerin Jenny Penkin unterstützt den kecken Gesang bei "Ready For Juju", der an Hip-Hop angelehnt ist, ohne Hip-Hop zu sein. Das Lied ist stilistisch kaum zuzuordnen: Es gibt untypische Reggae-Rhythmen, seltsame Electronic-Pop-Klänge, verfremdete, künstlich vibrierende Steel-Pan-Sounds und ein Pop-trunkener Gesang, der nicht eingängig genug ist, um Hit-Potential aufzuweisen, aber trotzdem sehr anziehend wirkt. In der Theorie scheint das alles gar nicht zusammenpassen zu können, in der Praxis haut das aber prima hin.
Mit einem absichtlich leicht ruckelnden Song, der vortäuscht, ein Reggae zu sein, geht es weiter. "Driving Me Mad" vermag es, sowohl ein entspanntes Gefühl zu verbreiten, wie auch intellektuell anspruchsvoll zu sein. Was für ein Spagat!

Auch "Return" ist solch eine Komposition, die sich festen Genre-Zuordnungen entzieht. Unkonventionelle Lässigkeit, feinfühlige Jazz-Extravaganz, mystische Space-Age-Sounds und eine selbstbewusste Stimme, die jede Situation fest im Griff hat, lassen das Stück - an dem wieder Rejoicer beteiligt ist - als ideenreicher, detailverliebter Pop mit delikaten Besonderheiten höchst interessant erscheinen.

Ab geht es zur Wiege der Menschheit, nach Afrika: "Thank You" atmet und lebt die Schwingungen der indigenen Folklore, steht dabei aber mit beiden Beinen in der Gegenwart, was unter anderem dem wandlungsfähigen Schlagzeuger Amir Bresler zu verdanken ist. Es entsteht eine fremdartig groovende Stimmung, die unter anderem auch "Remain In Light" der Talking Heads im Jahr 1980 so einzigartig machte. Voodoo-Folk meets Pop-Minimalismus.

Auch "No Mo Me" wandelt zwischen Tradition und Moderne: Die Rhythmen scheinen von uralten Völkern zu stammen, während die zusätzliche elektronische Begleitung größtenteils futuristisch klingt. Beide Bestandteile wurden jedoch nahtlos miteinander verschmolzen, so dass sich das Stück wunderbar harmonisch fließend anhört.

Die der barocken Klassik nahestehende Ballade "Boat" schafft es ständig, die Perspektive zu wechseln, wodurch unterschiedliche Eindrücke eingebracht werden, die bald wieder verschwimmen und durch andere Verzierungen mit gleicher Wirkung ersetzt werden. Durch die dunkel angeblasenen Blasinstrumente von Eyal Talmudi entstehen weitere interessante Schwingungen für diese sowieso schon abwechslungsreichen Klang-Landschaften.

Karolinas Auseinandersetzung mit Stil-Fusionen ist offen, kreativ, leidenschaftlich und gefühlvoll. "All Rivers" hält etliche Überraschungen bereit und hört sich dabei ausgereift, schön und mutig an. Aufgrund dieser Leistungen hat die höchst talentierte israelische Sound-Designerin ein nachhaltig beeindruckendes, ästhetisch wertvolles (Meister)-Werk erschaffen!

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