Israel Nash - Ozarker

Israel Nash umgibt sich auf "Ozarker" streckenweise mit süßem Pop und bleibt manchmal daran kleben.

Der Alternative-Rock- und Americana-Musiker Israel Nash (seit 2013 verzichtet er auf den Namenszusatz Gripka) rückt mit seinem achten Album "Ozarker" ein Stück näher an den Mainstream-Pop heran, ohne allerdings seinen angestammten Rock- und Americana-Sound vollends aufzugeben.
Credit: Chad Wadsworth

Es gibt auf "Ozarker" zehn neue Songs zu hören, die die Familie als Keimzelle für die Weitergabe von Erfahrungsberichten nutzt. Auf diese Weise gelangen Geschichten in die Öffentlichkeit, die Israel Nash von seinen Vorfahren über die Freuden und das Leid der Menschen im ländlichen Amerika erzählt wurden. 

Die Eröffnungsnummer "Can't Stop" ist extrem Radio-tauglich, besitzt einen teilweise nach Drum-Machine, teilweise nach lebendigem Trommler klingenden Rhythmus und ist so aufstachelnd-euphorisch, dass ein Stillsitzen beim Hören kaum möglich ist. Bei allem Pop-Schwung verzichtet Israel Nash nicht auf zündend-feurige Gitarren-Soli, was ihn trotz Kurskorrektur auch mit den alten Fans versöhnen wird. In einer besseren Welt wäre dieser Track jedenfalls stark Hit-verdächtig. Der Song will dafür werben, dass man sich auch in schwierigen Zeiten den Widerständen stellen und nicht aufgeben soll. Hier passen Botschaft und Song-Dynamik perfekt zusammen. 
Das gilt im Grunde nach auch für "Roman Candle", das nicht ganz so stürmisch, dafür aber gefühlvoll-packend daherkommt. Spätestens beim engagiert gesungenen Refrain erzwingt das Stück eine ungeteilte Aufmerksamkeit. Die markante E-Gitarre und der unnachgiebige Stampf-Rhythmus halten die geneigten Hörerinnen und Hörer bei Laune, zumindest wenn diese Ausprägungen auf fruchtbaren Boden fallen, also für attraktiv gehalten werden. In dieser Konstellation werden die Roots-Rock-Jahre von Nash in New York wieder wachgeküsst, wo er von 2006 bis 2010 lebte.
Israel Nashs Familie stammt aus dem Ozark-Hochlandplateau in Missouri. Deshalb der Heimat-verbundene Titel des Albums. Der Track "Ozarker" handelt von der Liebes- und Lebensgeschichte seiner Urgroßeltern, die gegen alle Standes-Widerstände geheiratet haben: Er, Thomas Forster, war ein Saisonarbeiter, der sich in Susan Plowman - die Tochter eines Obstplantagenbesitzers - verliebte und ihr versprach, sie ein Jahr nach seinem Erntejob zu heiraten. Susans Eltern wollten eigentlich, dass sie den jungen Arzt James Christoffer ehelichen sollte, doch Susan wartete sehnsüchtig das Jahr ab. Und am Tag des Erntedankfestes, wo Thomas ein Jahr zuvor sein Versprechen abgab, kehrte er tatsächlich zurück. Das Paar war daraufhin 57 Jahre glücklich verheiratet. Das Lied ist genau genommen eine wehmütige Ballade, die leider kurz in einen Schmalztopf gefallen ist: Die schmachtenden "Schallala"-Gesangs-Einlagen verderben den prinzipiell interessanten Ton-Brei und führen dazu, dass die Musik trotz gesanglicher Hingabe weder Fisch noch Fleisch geworden ist.
"Pieces" und "Firedance" schlagen grundsätzlich in die gleiche emotional übersteuerte Kerbe, sind relativ langsam, lassen aber die extremen Schnulzen-Klischees weg. Sie atmen dafür mehr hintergründiges, gelassenes Country-Rock-Feeling, gewinnen dadurch an Format und bekommen deshalb noch die Kurve, bevor es in den Kitsch-Abgrund gegangen wäre. "Pieces" erzählt davon, wie sehr eine gescheiterte Liebe zum Trauma werden kann und dass es eine enorme innere Stärke braucht, um aus diesem Jammertal herauszukommen. 
Bei "Firedance" beschwört Israel Nash nachdrücklich seine Liebe und versinkt dabei knietief in einen flehenden, sehnsuchtsvollen Ton, der manchmal von straffen Gitarrenakkorden begleitet wird.
"Going Back" offenbart einmal mehr Melodie-Stärke und Enthusiasmus beim Gesang, zeigt aber auch eine Schwäche im Rhythmusgeflecht auf: Die monotonen Takt-Anteile nutzen sich nach und nach stark ab, weil sie auf Dauer zu gleichartig-uninteressant klingen. Die scharfen Gitarren-Soli, die aufmunternden Piano-Einlagen und die Tempo- und Dynamik-Wechsel retten das Stück jedoch eindeutig vor dem Mittelmaß. "Going Back" ist ein geschichtsträchtiger Song über die Newton Gang, die von 1919 bis 1924 etwa 87 Bankraube in texanischen Kleinstädten begingen und sechs Zugüberfälle verübten.
"Lost In America" ist das introvertierteste Stück des Albums und verzichtet auf einen schnellen Herzschlag-Drum-Puls. Nash setzt hier auf Gefühlsduselei und bleibt dabei beinahe in diesem schwülstigen Sumpf hängen. Vielleicht agiert er deshalb so übertrieben, weil ihm das Thema der posttraumatischen Belastungsstörung eines Vietnam-Kriegs-Veteranen sehr nahe geht.
"Midnight Hour" ist danach schon interessanter aufgestellt. Trotz langsam nervendem, stupidem 80er-Jahre-Billig-Rhythmus schafft es die Ballade, Sympathie und einen kraftvollen Klang zu erzeugen.
"Travel On" setzt das Leben mit einer Reise gleich. Der Track knüpft musikalisch an den Opener "Can`t Stop" an, verbreitet also ausgelassenes, gut gelauntes Radio-Futter, das selbst langweilige Arbeiten zum Vergnügen werden lassen kann.
Zum Abschluss gibt es mit "Shadowland" noch eine Rock-Pop-Nummer, die alle vorhergehenden Song-Bestandteile, wie eingängige Melodien, Ohrwurmrefrains, aber auch den stupiden Rhythmus und die abgenudelten Hintergrundgesänge zu einem angenehmen Mainstream-Pop werden lassen. Das Lied beschreibt die wirtschaftlich schwierige Lage vieler Menschen im ländlichen Missouri, die an der Armutsgrenze leben müssen. Die USA sind eben für Viele nicht das gelobte Land. Die Wirklichkeit sieht häufig anders aus, als man es uns manchmal suggeriert: Es gibt in der Regel keine soziale Absicherung, keine bezahlbare Krankenkasse und keine lukrativen Jobs. Da kann der Verlust der Arbeitsstelle oder eine teure Krankheit leicht zur Obdachlosigkeit führen. Ein heikles Thema mit gesellschaftlichem Zündstoff.

"Ozarker" ist ein durchwachsenes Werk geworden. Mit Stärken in der Melodiebildung, einem engagierten, die Gehörgänge ausfüllenden, voluminösen Gesang sowie einer prägnanten, knackigen Gitarrenarbeit. Schwächen bestehen in der rhythmischen Ausgestaltung und der altbackenen Produktion, die an verunglückte Singer-Songwriter-Alben der 1980-er Jahre erinnert, welche sich abhängig von einer damals angesagten monoton-aufdringlichen Taktstruktur machten. Einerseits muss die positive Motivation zur Weiterentwicklung gelobt werden, andererseits ist eine teilweise halbgar ausgeführte Pop-Schiene mit Hang zur Schnulze wahrzunehmen. Dennoch: Die positiven Aspekte überwiegen bei "Ozarker" bei Weitem. 

Israel Nash ist ein Guter, der allerdings schon großartigere Alben aufgenommen hat, unter anderem gehören "Israel Nash`s Rain Plans" von 2013 und "Israel Nash`s Silver Season" aus 2015 dazu. "Ozarker" ist im Gegensatz dazu nicht unbedingt innovativ, dafür aber bodenständig-solide und markiert eventuell den Aufbruch zu einer weiteren Entwicklungsstufe. Warten wir es einfach mal gespannt ab, was der Mann noch an Ideen im Köcher hat. 

Wer sowohl Tom Petty mit seinem "Full Moon Fever" oder den späten Bob Seger ("Against The Wind") oder Bruce Hornsby ("The Way It Is") schätzt, sollte sich "Ozarker" unbedingt anhören, denn eine gewisse Geistesverwandtschaft ist zwischen den eben genannten Künstlern vorhanden. Auch unter Musikern gibt es ja schließlich so etwas wie familiäre Verknüpfungen - auch beim Sound.

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