Kurz und bündig: Joe Jackson - Night And Day (1982)

"Night And Day" ist ein weiteres originelles Puzzle-Teil im wandelbaren Gesamtkunstwerk, das Joe Jackson heißt.


Joe Jackson ist immer für eine Überraschung gut! Er begann seine Plattenkarriere 1978, in einer Zeit, in der alle jungen Musiker, die auch nur ansatzweise einen rüpelhaften Anstrich besaßen, unter dem Banner "New Wave" vermarktet wurden. Aber schon 1981 wechselte er mit "Jumpin` Jive" deutlich das Lager. Das Werk enthielt nämlich authentischen Swing und Jump-Blues der 1930-er und 1940-er Jahre in der Tradition von Cab Calloway. Mit seinem fünften Album "Night And Day", das nach Jacksons Umzug von England nach New York im Jahr 1982 entstand, hat Joe erneut ziemlich radikal den Kurs gewechselt und damit zu einer Ausdrucksform gefunden, die ihm perfekt auf den Leib geschneidert zu sein scheint. 

Mit dem Titel, einem Tribut an einen Cole Porter-Song, zeigt er sich nämlich als grandioser Entertainer mit einem feinen Gespür für prickelnde Spannungsbögen, wobei Balladen und Up-Tempo-Nummern ohne Sollbruchstelle nebeneinander bestehen.
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Wieder einmal bietet Joe Jackson keine Standard-Rock-Formation auf, sondern setzt mit seiner Stammbesetzung, die aus Graham Maby (Bass, Gesang, Percussion), Larry Tolfree (Drums, Percussion) und Sue Hadjopoulos (Percussion, Flöte, Gesang) sowie fünf Gastmusikern auf Genre-übergreifende Qualität mit einem scharfen Blick auf kunterbunte, vielfältige Rhythmus-Tätigkeiten. Jackson brilliert in dieser Zusammensetzung als Multiinstrumentalist: Er bedient etliche Tasteninstrumente, spielt Altsaxofon sowie Vibrafon und singt in seinem unverwechselbaren, leicht schnoddrigem, aber überwiegend gesittetem Timbre. Bemerkenswert: Es gibt keine Gitarren auf dem Werk.

Wie es der Titel schon andeutet, gliedert sich die Platte in eine Nacht- und eine Tag-Seite. Die Lieder der Nachtseite gehen alle ineinander über. Sie sind zwischen den Latino-Jazz-Stücken von Chick Corea aus seiner 1976er "My Spanish Heart"-Phase und der Disco-Swing-Eleganz von Dr. Buzzard`s Original Savannah Band (Vorläufer-Formation von Kid Creole And The Coconuts) angesiedelt. Es gibt also jede Menge karibischer Polyrhythmen zu hören, nicht als Weiterführung folkloristischer Traditionen, sondern als künstlerisch veredelte Stil-Fusionen.

Die vier Stücke der "Night"-Seite und die fünf Stücke der "Day"-Seite sind durchzogen von fröhlich-frohlockenden und vollmundig-orchestral arrangierten Songs. Es gibt zudem noch tragisch klingende Balladen und beweglich-pfiffige Slow-Dance-Nummern, die alle von Joe Jackson mit Leidenschaft und Überzeugungskraft zum Besten gegeben werden. Eine klare Aufteilung nach hellen oder dunklen Tönen aufgrund der "Night And Day"-Einteilung findet jedoch nicht statt.

"Another World" sprudelt, vibriert und swingt im Takt einer rotierenden Palette aus Percussion-Instrumenten. Der Song wird auf einer Welle des Klapperns, Klopfens, Klickens und Trommelns davongetragen. Selbst die Keyboards tragen ihren Teil zum munteren, exotischen Rhythmus-Treiben bei und Jackson lässt den monotonen Refrain klingen, als wäre er eine Beschwörungsformel.

"T.V. Age" orientiert sich hinsichtlich seines sperrigen Ablaufs und aufgrund des teilweise an David Byrne erinnernden, provokant-anklagenden Gesangs an den Talking Heads. Wobei die Keyboards und Schlaginstrumente für die Abbildung einer harten Durchsetzungskraft zuständig sind, die üblicherweise von E-Gitarren vorgenommen wird. 

 

Die Hit-Single "Steppin` Out" karikiert und abstrahiert den Synthesizer-Pop der 1980er-Jahre, indem der Titel einen offensiven, stupiden Drum-Computer-Takt aufweist. Weitere rhythmische Aktivitäten bieten jedoch darüber hinaus noch jede Menge an Vielfalt und Vitalität an. Darüber hinaus sind die eingängige Melodie und der Ohrwurm-Refrain auch nicht von schlechten Eltern. So gelingt ein Mainstream-Pop-Song mit gefälligen und raffinierten Charakterzügen. 

Das verzweifelt intensive "Breaking Us In Two" erzeugt mit nur wenigen Zutaten eine heimelige, intime, dem Sänger zugewandte, ihn in den Mittelpunkt der Geschehnisse stellende Atmosphäre 

 

und das anklagende "Real Men" lässt die Aufbruchs-Zeiten von "Is She Really Going Out With Him" aus 1979 aufblitzen: Jackson zeigt sich als verletzliches Individuum mit Haltung, welches bestrebt ist, sich nicht unterkriegen zu lassen.

 

Die Texte enthalten teilweise autobiografische Züge, wie das auf die New Yorker Schwulenszene verweisende "Real Men". Oder es wird treffende Gegenwarts-Lyrik formuliert, wie in "Cancer": "Alles verursacht Krebs. Es gibt keine Heilung, es gibt keine Antwort". Oder nehmen wir "Target": Da dreht es sich nach Aussage von Joe Jackson um eine Geschichte über urbane Paranoia, denn der Erzähler ist von Angst darüber erfüllt, Opfer von Gewalt auf offener Straße zu werden. Die Texte werden von Joe aus dem Standpunkt eines Dritten heraus formuliert, ohne dass er dabei den belehrenden Zeigefinger in die Luft reckt.

"Night And Day" bietet komplexe, sensible Musik für die Gartenparty und das Wohnzimmer, für heute und morgen und für Tag und Nacht. Ein Verdienst von "Night And Day" ist es, dass es gelingt, komplexe, manchmal sogar instrumental ausschweifende Passagen leicht und locker klingen zu lassen, sodass der Spaß an der Improvisation und am unkonventionellen Handeln in Verbindung mit der Leichtigkeit des Seins jederzeit nachvollziehbar ist. Das ist Pop mit Substanz, sprudelnder Lebensfreude und emotionaler Tiefe.


Im Jahr 2000 brachte Joe Jackson einen zweiten Teil von "Night And Day" heraus.
Nicht weniger ambitioniert, aber nur mit einem geringen Karibik-Sound-Anteil versehen. Dafür aber mit der Gast-Stimme von Marianne Faithfull auf einem Track ausgestattet. Hier der Original-Kommentar von Joe Jackson zu dem Album: "Ich weiß immer noch nicht, ob der Titel die richtige Entscheidung war. Der Konsens scheint im Nachhinein zu sein, dass er eher geschadet als geholfen hat. Aber ich habe mich dafür entschieden, weil es so viele Verbindungen zu dem früheren Album gab. Es soll so etwas wie ein Tag im Leben von New York sein, gesehen durch die Augen verschiedener Charaktere. Die Tracks gehen ineinander über und haben alle das gleiche Tempo, obwohl sich die eigentlichen Grooves darum herum ändern. Das war ein technischer Trick, der meiner Meinung nach sehr gut funktioniert hat und dem Ganzen eine Art unerbittlichen Drive verleiht, wie die Energie einer Großstadt. Und ich liebte die Zusammenarbeit mit Marianne Faithfull (bei "Love Got Lost"). Wie auch immer, ich denke, dass dies eines meiner besten Alben ist und sicherlich mein am meisten unterschätztes."

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