Eli Greenhoe & Hans Bilger - Orchids (2025)
"Orchids" vereint würzige Harmonie, innere Spannung und belebende Kakophonie zu einer intimen Koexistenz.
"Orchids" enthält sensible Pop-Songs, die in voller Blüte stehen, oft ein meditatives Flair verbreiten, verspielt agieren oder mit aufrüttelnden Elementen versehen wurden. Sie besitzen Momente von erlesener Schönheit, offenbaren kreative Ausgelassenheit und verblüffen durch kluge, betörende Arrangements. Mit: "Das Ziel dieses Albums war es, berührende, prägnante Songs in eine große, imaginäre Welt der Orchestrierung und Textur einzubetten, die sowohl unmöglich groß als auch exquisit detailliert ist", erklären Eli Greenhoe & Hans Bilger die Konzeption ihrer Kompositionen.
Eine ausführliche Betrachtung:
In magischen Momenten ist Musik hören wie das Verschmelzen mit dem Universum, wie das Eintauchen in Gefilde, die vorher unbekannt waren und plötzlich ihre verborgendsten Geheimnisse preisgeben. Die Töne tanzen im Hirn herum und scheinen Areale zu stimulieren, die bisher im Tiefschlaf lagen. Das kommt dann dem Zustand der Erleuchtung nahe. Jede Person besitzt grundsätzlich die Fähigkeit, sich in solch ein Verzücken zu versetzen - ohne Drogen, ohne Meditation, ohne Hypnose. Nur mit der eigenen Vorstellungskraft, der Leidenschaft für Klänge und eventuell dem Mut, Hörgewohnheiten aufzubrechen, um an neue Ufer zu gelangen.
Diesen Mut sollte man auch mitbringen, wenn man sich mit "Orchids" beschäftigt, dem zweiten Album (nach "Airborne Charlie" von 2020) der New Yorker Künstler Eli Greenhoe & Hans Bilger. Und das nicht etwa, weil ihr Werk schwer verdaulich ist. Ganz im Gegenteil! Es entstanden Songs mit originellen Klängen, denen ein ganz besonderer Zauber innewohnt. Denn es passieren Fusionen, Wendungen und Einfälle auf der Mikro- und Makroebene, die unter anderem eine glücksbringende Zartheit mit der Wirkung einer psychedelischen Droge gleichsetzen oder es wird mithilfe von kakofonischen Einschüben eine entwaffnende Sinnesschärfung hervorgerufen.
Credit: Susanne Duppen
Beim
Lead-Gesang wechseln sich Greenhoe & Bilger ab. Mit ihren Stimmen
lassen sie sich förmlich in die Songs hineinfallen, füllen sie aus und runden
sie ab. Die New Yorker bedienen sich daneben unterschiedlicher Besetzungen, um ihre klanglichen Vorstellungen umzusetzen. Übliche Schlag-, Blas-, Tasten- und Streichinstrumente gehören genauso zur Ausstattung, wie auch Casio-Synthesizer, Gebetsglocken, Oud, Stuhl (!) und Füße (!).
Bei dem Duo handelt es sich nicht nur um ausgebildete Multi-Instrumentalisten, sondern Eli Greenhoe hat sich daneben auch als Komponist von zeitgenössischer Musik einen Namen gemacht. Er kennt sich also mit komplexen Strukturen und akustischen Wechselwirkungen bestens aus. Hans Bilger ist nicht nur Bassist, sondern auch Komponist und Toningenieur. Darüber hinaus hat er seine Doktorarbeit über Bioakustik verfasst. Im Einzelnen über die Stimmevolution bei Fledermäusen, Fröschen und Menschen. Und damit nicht genug: er hat auch zur musikalischen Struktur des Vogelgesanges und über die Anatomie des Vogelstimmapparates geforscht. Da kommt ein unglaubliches Hintergrundwissen über die Wirkung von Tönen auf Organismen zusammen!
Um die bewusst oder unterschwellig erlebten Tonfolgen in irgendeiner Form mithilfe von Worten plastisch erscheinen zu lassen oder greifbar zu machen, bietet sich die Erwähnung von erzeugten Stimmungen oder die Erwähnung von Assoziationen oder das Nennen von akustischen Querverweisen an - was nachfolgend praktiziert wurde:
Um die bewusst oder unterschwellig erlebten Tonfolgen in irgendeiner Form mithilfe von Worten plastisch erscheinen zu lassen oder greifbar zu machen, bietet sich die Erwähnung von erzeugten Stimmungen oder die Erwähnung von Assoziationen oder das Nennen von akustischen Querverweisen an - was nachfolgend praktiziert wurde:
Mit den Zeilen "Der Kopf schmerzt vom Hämmern all meiner Probleme. Was soll ich sagen? Alles kommt mir vor wie ein Nagel" steigt "Nail" geschmackvoll-ausgewogen in das Gesamtkunstwerk "Orchids" ein. Das Stück offenbart im Kern eine formvollendete, an strenge theoretische Prinzipien gebundene Verbindlichkeit, wie sie in der klassischen Kammermusik vorkommt. An der Oberfläche tritt trotzdem eine Lebhaftigkeit zutage, die klammheimlich ihre lieblich-reizvollen Bahnen zieht. Diese scheinbar unvereinbare Widersprüchlichkeit wird vom aufmerksam abwägenden Gesang begünstigt und aufrechterhalten. Im letzten Drittel kommen bei dem bislang harmonisch gestrickten Song jaulend dissonante Streichinstrumenten ins Spiel, die die Idylle gegen den Strich bürsten. Diese Schwingungen bilden jene schmerzenden Qualen akustisch ab, die sich in den einführenden Worten andeuten.
Bleierne Melancholie. Assoziativ-befremdliche Lyrik. Transparente Noten. Dynamische Tempovarianten. Sich fächerartig öffnende Klangräume. Das sind einige Bestandteile von "So Long Lover", das die Zeit zu komprimieren scheint und den Klangraum glanzvoll ausdehnt. Ein Traum in behaglichem Moll.
Durchlöcherter Swing im kaleidoskopischen Wirbel. Hollywood-Blockbuster-Empathie-Offensive. "Loon Diving" sucht eine Nische zwischen Romantik und Realität. Und begibt sich in einen Taumel der Sinne.
Teigige Langsamkeit. Den Geist auf marternde Weise reinigende Einsamkeit. "In My Arms Again" berichtet von flüchtiger Liebe, die von Sehnsucht durchdrungen ist.
Die akustische Gitarre imitiert einen Flamenco und der Gesang ist anheimelnd, gleichzeitig auch weise und lässig wie der von James Taylor. Der Sound feiert den Anfang von was Neuem und das Vertrauen in das Alte. "Bird And Branch" ist ein Song, der Gleichnisse nebeneinander stellt. Es geht unter anderem um Opportunismus ("Ein Sturm zieht über Land", rief der Vogel dem Ast zu. "Und wenn er über uns hinwegzieht, werde ich dich verlassen, mein Liebling.") Oder um Fehleinschätzungen ("Du denkst, du kennst mich so gut", sagte die Schildkröte zu ihrem Panzer. "Aber du kennst nur meine Angst. Und die Art und Weise, wie ich verschwinde.")
Das Lied "Car Arrives" ist beseelt vom Glück der Liebe. Es hüpft und springt, tanzt und lacht. Das ist Lebenslust in Reinform. Und im Kopf herrscht turbulente Jahrmarktstimmung.
Es ist, als ob sich die Nacht besitzergreifend, sirrend und flimmernd über das Garten-Grundstück senkt. "Sleeping In The Garden" beginnt mit diesen eigenmächtigen, verwirrend gespenstischen Geräuschen, pendelt sich aber dann als ruhige Ballade mit ein paar aufregenden Zwischentönen ein. Grundsätzlich möchte der Song niemanden stören und entsprechend vorsichtig wird er vorgetragen. Wie ein Schlaf- oder Wiegenlied. Die Hintergrundgeräusche deuten an, dass bei aller Besinnlichkeit die Möglichkeit lauert, einen Albtraum zu erleben. Alles ist möglich, wenn böse Gedanken den Schlaf beeinflussen.
Der "Same Dream" ist jedoch ein angenehmer Traum, der als Wachtraum nachhallt: "Ich werde mich nie wehren gegen das goldene Leuchten des Abends, solange ich in einem wachen Traum lebe". Der Track besitzt die melancholische Lässigkeit einer Bossa Nova, gepaart mit der spielerischen Eleganz des Pop-Jazz von Steely Dan und der erwachsenen Sensibilität eines Ron Sexsmith. Die Melodie ist so leicht, sie schwimmt sogar in Milch.
Der Skorpion symbolisiert eine nicht einzuschätzende Gefahr, und die Orchidee steht für pure, filigrane Schönheit. Beide Kategorisierungen finden sich direkt oder indirekt in "Scorpion / Orchids" wieder. So trägt die eindringlich-schwere Introvertiertheit sakrale Züge. Der Track bäumt sich aber auch aufgewühlt und chaotisch auf und erzeugt zudem noch eine Atmosphäre, die sowohl rätselhaft-furchteinflößend wie der Soundtrack eines Psycho-Thrillers als auch befreiend-erkenntnisreich wie ein bewusstseinserweiternder Art-Pop klingt.
Mit "Maria" lassen Eli & Hans die Platte sanft und zurückgenommen dahingleiten. Die Poesie verheißt allerdings einen möglicherweise morbiden Hintergrund, denn der geheimnisvolle Text endet mit den Worten: "Oh, Maria. Ich werde dich nicht entwischen lassen."
Um sich der Position und den Einflüssen von "Orchids" gedanklich zu nähern, kann man unter anderem die Sounds von Big Stars "Third", "Almost Blue" von Elvis Costello, die Solo-Platte von Mark Hollis, "So There" von Ben Folds und "The Individualism Of Gil Evans" als Referenzen heranziehen.
Aber in erster Linie ist "Orchids" ein intensiver, wertvoller Beitrag zur Pop-Kultur. Das Pop-Kunst-Erzeugnis ist erfinderisch, liebevoll, spröde, oft introvertiert und leise. Vor allem aber erscheint es attraktiv nachhallend, anspruchsvoll inspirierend, melodisch verwöhnend, klanglich ergreifend sowie gesanglich einnehmend und es trägt die unwiderstehliche Essenz von bitterer Süße in sich. "Orchids" ist groß, ganz groß!
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