Mette Juul - Thank You & Other Stories (2025)

Jazz ist für Mette Juul kein Stil-Käfig, sondern eine Grundorientierung und ein Sprungbrett für persönlich motivierte Sound-Exkursionen.

Jazz ist kompliziert. Jazz ist anstrengend. Jazz ist unterkühlt. Jazz ist elitär. Jazz ist verkopft. Kommt drauf an, welches Sub-Genre gewählt wird und wer ihn interpretiert. Auf die Komponistin, Sängerin und Gitarristin Mette Juul trifft jedenfalls keine der zuvor genannten Vorurteile und Beschreibungen zu. Ist es denn überhaupt alles Jazz zu nennen, was uns die Dänin mit "Thank You & Other Stories" unterbreitet? Nicht unbedingt im traditionellen Sinne und schon gar nicht durchgängig. Ein Singer-Songwriter-Charakter mit Ausflügen ins Folk- und Pop-Lager ist zumindest omnipräsent und nistet sich kuschelig in die Arrangements der Songs ein, sodass ein eventuelles Schubladendenken bedenkenlos und wohltuend beiseitegelegt werden kann.

Mette Juul veröffentlichte mit "Coming In From The Dark" im Jahr 2010 ihr erstes Album. Bei den Aufnahmen für ihr siebentes Werk "Thank You & Other Stories" wurde sie von Lars Danielsson (Bass, Cello, Melodika und Keyboards), Peter Rosendahl (Keyboards und Posaune) und Xavier Desandra Navarre (Percussion für "Let`s Face The Music And Dance" und "Privileged Life") virtuos und liebevoll begleitet.

Mette Juul lockt ihre Hörerschaft mit einer festen, sicheren und starken Stimme aus der Reserve. Wie die Sirenen aus Homers "Odyssee" betört und verblüfft sie mit einer souveränen Ausdrucksweise, der man nur schwerlich entkommen kann. Das sucht hinsichtlich ihrer überirdischen Klar- und Schönheit ihresgleichen. Solch eine scheinbare Vollkommenheit wird nur selten ohne den Verdacht auf Sterilität erreicht, wie zum Beispiel vom Kunst-Sänger Theo Bleckmann oder von Mettes Gesangs-Kolleginnen Sara K. und Eva Cassidy

Der Eröffnungstitel "On Dragon Wings" profitiert von einer ungetrübten gesanglichen Melodielinie in Verbindung mit einem tänzelnden Bass und einem introvertierten, fantasievollen Piano, welches die Bedeutung des teilweise angsterfüllten Textes abfedert ("Ich wage es nicht wirklich, die Dunkelheit in mir zu sehen.")


Durch die Formulierung: "Dies ist für die Menschen, die mich geweckt haben, als ich in einem Labyrinth eines Traumlandes lebte", verkündet Mette Juul zu Beginn von "Thank You" ein Erweckungserlebnis. Der Song stellt diese Situation akustisch nach: zunächst erwächst eine neblig-undurchsichtige, geisterhafte Stimmung, die in eine aufgeklärt-ausgewogene Sichtweise überführt wird.


Weniger ist manchmal mehr, so wie bei "Be A Blessing To Someone". Statt diese zarte Pop-Jazz-Ballade mit einer opulenten Instrumentierung aufzublasen, wird sie nur von einer akustischen Gitarre, einem Kontrabass und einem E-Piano eingerahmt. Und zwar ganz leicht und sanft, mit einem durchlässigen Arrangement, das viel Luft zum Atmen, Denken und Genießen lässt. Inhaltlich geht es in dem Lied unter anderem um gegenseitiges Verständnis und Toleranz: "Sei ein Segen für jemanden, auch wenn es vielleicht nicht sofort gelingt, versuche einfach, für jemanden da zu sein, auch wenn du dessen Gefühle bisher nicht verstanden hast."


Das selbstbewusst swingende "Dream On", das mit Bossa-Nova-Anleihen ausgestattete "Privileged Life" und das mit freigeistigen Elementen durchzogene "Disturbance" sind Stücke, die zwar klassische Jazz-Themen beinhalten, dabei jedoch nicht stilistisch eingeschränkt sind. Sie vermeiden es nämlich zumeist, ausgetretene Pfade zu betreten.


 

"Lucky" knüpft in seiner aufgeräumten und entschlackten Form an "Be A Blessing To Someone" an, wobei sich hier zum Ende hin Verläufe ankündigen, die das Abenteuer suchen und heimlich, still und leise versuchen, aus dem Song-Schema auszubrechen. Das geschieht dadurch, dass Mette Juul ihrer Stimme, die bis dahin Song-orientiert agiert, Flügel verleiht. Sie singt zum Abschluss wortlos, ist sphärisch inspiriert und bewegt sich auf ein Level zu, welches in seiner künstlerischen, nach Freiheit suchenden Ausprägung an Julie Tippetts denken lässt. Das Stück wirbt unter anderem für Demut und Dankbarkeit, und zwar hauptsächlich für die oft als selbstverständlich angenommenen Geschehnisse.

Mit der tragischen Trennungsgeschichte von "Let Me Go" begibt sich die Dänin auf die Spuren des psychedelischen Folk-Rocks und versteht es meisterhaft, eine eindringliche Atmosphäre zwischen verwirrendem Traum-Gebilde oder Drogen-Rausch und meditativer Einkehr zu erzeugen.


Das "Great American Songbook" hält etliche Evergreens von zum Beispiel George und Ira Gershwin ("Summertime") oder Irving Berlin bereit. Seine originelle Verbindung von Swing und Ballade für "Let`s Face The Music And Dance" aus 1936 wurde ursprünglich von Fred Astaire für den Film "Follow The Fleet" gesungen, aber danach noch oft anderweitig interpretiert. Mette, Lars und Peter geben dem Song ein anderes Gesicht, indem sie die dunkle Seite stärker betonen als die beschwingten Noten. Dazu fährt das Trio das Tempo runter und lässt den Kontrabass Stimmungen erzeugen, die von Enttäuschungen oder inneren Konflikten berichten zu scheinen.

"Little Devil Blue" erschien bereits auf dem Erstlingswerk "Coming In From The Dark" in einer optimistischen, lebensbejahenden Fassung. Aktuell ist das Lied - bei dem es um eine vergangene Liebe geht, die immer wieder die Gedanken beherrscht - in einer intimen, bestürzend erschütternden Version zu hören.

Wie fühlt es sich an, wenn die Lebensumstände dafür sorgen, dass man einen guten Freund womöglich für immer verliert? Dieser Frage geht "To A Friend" nach. Peter Rosendal hat dazu die Musik geschrieben und Mette Juul ist für den Text und die Zusammenstellung der Klänge verantwortlich. Der Song setzt auf den Einsatz von gemischten Gefühlen, so wie sie sich im wahren Leben auch zeigen, wenn man wehmütig an eine lange Freundschaft zurückdenkt. Dann tauchen Erinnerungen an romantisch-glückliche Momente auf, an gemeinsame, prickelnde Erlebnisse, vielleicht auch an schicksalhafte Stunden, die man zusammen gemeistert hat oder an unnötige Querelen. Alle diese Assoziationen werden bei "To A Friend" wach.


"Make You Feel My Love" von Bob Dylan wurde durch Adele einem Mainstream-Publikum bekannt gemacht. Der Song gehört zu den schönsten Liebesliedern von His Bobness und erfährt in der Mette-Juul-Bearbeitung als "To Make You Feel My Love" eine würdevolle Bestätigung seiner melodisch-intimen Qualitäten.


Mette Juul setzt auf Vielseitigkeit, die sich innerhalb ihrer persönlichen musikalischen Koordinaten, zu denen Einflüsse aus Jazz, Art-Pop und Folk gehören, abspielt. Diese offensichtliche Stärke bietet aber auch eine Angriffsfläche. Es kann nicht unbedingt erwartet werden, dass alle Hörerinnen und Hörer die stilistischen Seitensprünge, Verästelungen und Crossover-Andeutungen gleichermaßen nachvollziehen mögen oder interessant finden. 

"Thank You & Other Stories" bildet alle gewählten Richtungen souverän, überzeugend und gewandt ab, sodass es zu einer stimmungsvollen Umsetzung der textlichen Inhalte kommt. Am spannendsten wirkt Juul, deren Stimme sehr wandlungsfähig ist, wenn sie sich - so weit es ihr möglich ist - von traditionellen Schemen und Erwartungen entfernt. Diese Konfrontationen bilden das Salz in der Suppe dieser geschmackvollen Song-Mischung. Mit diesem Konzept könnte die talentierte Musikerin unter Umständen sogar in die Fußspuren der großartigen, wagemutigen norwegischen Gesangs-Ikone Karin Krog treten. Zuzutrauen wäre es ihr jedenfalls allemal.

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