ELSA - Jump! (2025)

Mit einem mutigen Sprung hinein ins gewagt-befreiende Vergnügen.


Das Verb "springen" unterstellt eine Veränderung, räumlich oder mental, wenn man unter anderem an den Ausdruck "über den eigenen Schatten springen" denkt. Man kann auch vor Freude in die Höhe springen, also überschwänglich reagieren und so aus dem Rahmen von Normen und Konventionen fallen. Oder man gelangt durch einen beherzten Sprung aus einer heiklen Situation, wagt also den Sprung ins Ungewisse. Das sind alles Redewendungen, an die die Songs von "JUMP!" angelehnt werden können.

"Jump!" ist das zweite Album (nach "A Day On Solid Ground" aus 2023) des Quartetts ELSA mit Stammsitz in Wien. Die Formation besteht aus der umtriebigen Namenspatin Elsa Steixner (die "Jazz & Pop" in den Niederlanden studierte) und ihren Kollegen Julian Bazzanella (Klavier), Jacob Lang (Kontrabass) und Daniel Louis (Schlagzeug). Für "Jump!" gab es noch Verstärkungen an Blasinstrumenten, E-Gitarre, Harmonium und Orgel, sowie eine professionelle Produktion von David Furrer.

Der Opener "What For" nutzt einen swingenden Funk-Rhythmus, um Beweglichkeit, Körperlichkeit und Schwung zu erzeugen. Ein hüpfender (!) Bass, ein flexibles Schlagzeug und eine rauschende Orgel lassen zunächst die Luft flirren. Punktuell eingesetzte Bläser, Gitarren und Keyboards stoßen frech in freie Noten-Lücken vor und die dynamischen Tempo-Abstufungen von lebhaft bis nachdenklich heben den Song deutlich aus dem Mainstream heraus. Ein Einstieg nach Maß, der die Möglichkeiten und Qualitäten der Gruppe erahnen lässt.

Bei "Clouds Are Clouds" lässt sich ELSA treiben. Verträumte Folk-Gospel Klänge bringen Demut, Behaglichkeit und einen Hauch Spiritualität ins Spiel. Das taugt, um sich schlagartig be- oder verzaubern zu lassen.

War das eben eine Lowell-George-Gedächtnis-Slide-Gitarre, die am Anfang von "It Won’t Be Long" zu hören war? ELSA mögen es, durch eingestreute Zitate ihren Vorbildern Respekt zu erweisen. Bei der Nennung von Inspirationen ist unter anderem von Joni Mitchell, Nina Simone, Abdullah Ibrahim (vormals Dollar Brand) und Paul Simon die Rede. Das sind alles Hochkaräter, die sich stilistisch und kreativ nicht einengen ließen - genau wie es ELSA praktiziert. So ist "It Won’t Be Long" nicht Pop und auch nicht Jazz in ihrer reinen Form, nutzt aber aus beiden Richtungen Merkmale, um sowohl eingängig als auch spannend zu sein. Der geisterhafte "Little Feat-Auftritt" ist übrigens im Verlauf des Albums noch mehrere Male wahrzunehmen.

Gleiche Stoßrichtung, andere Gewichtung: War es eben noch eine fröhlich-melodische Reife, die den Song dominierte, so ist es bei "Marketplace" eine wolkige, überwiegend in Moll verpackte Stimmung, die für Achtsamkeit sorgt. Erst gegen Ende des Liedes findet die Komposition einen Weg aus der wehmütigen Verfassung heraus und schöpft hörbar Energie aus den originellen, am traurigen, aber auch tröstenden New-Orleans-Jazz geschulten Noten. Der rollende, prägnante Bass erinnert sicherlich nicht zufällig an Jaco Pastorius von Weather Report, der auch für Joni Mitchell tätig war. Und der raffinierte, kunstfertige Aufbau der Komposition spricht für das große Talent der österreichischen Musikerin und ihrer Kollegen.

ELSA spinnen den bedächtigen Faden weiter und lassen das eineinhalb Minuten kurze Zwischenspiel "Courage" als dunkles Chanson, welches das Licht am Ende des Tunnels erahnen lässt, ablaufen.

Das einzig Beständige ist der Wandel, das scheint nicht nur ein Lebensmotto, sondern auch ein Grundsatz bei der Erschaffung der ELSA-Erfindungen zu sein. Denn sie sind nur selten ausrechenbar, enthalten Wendungen und Sprünge, ohne dass der Rahmen eines als wertig - im Sinne von nachvollziehbar - empfundenen Songs gesprengt wird. "Summer Shoes" bedient sich dieser Logik und fällt als spritzige Ballade auf (ist hier kein Widerspruch!), die auf einer ideenreichen Instrumenten-Anordnung aufgebaut ist.

Das von einem spritzig-perlenden Piano dominierte "Sunshine" lässt eine hervorstechende Assoziation zu, nämlich Norah Jones. Genau wie diese großartige Chanteuse vermag es auch Elsa, ihre Stimme in einem einzigen Stück frivol, getragen, lebensfroh und selbstbewusst klingen zu lassen, ohne dabei mit irgendeiner Gefühlslage fehl am Platze zu erscheinen.

Intensive Empfindungen, wie der Fluchtreflex in unangenehmen Situationen, werden bei "Who Will" großgeschrieben. Der Track beinhaltet meditative und rhythmisch-minimalistisch ablaufende Passagen genauso wie eine kräftige Stimmungs-Eruption. Das Hauptaugenmerk liegt aber auf der Erzeugung einer knisternden Atmosphäre, bei der Elsa ihre Stimme als zusätzliches Instrument einsetzt, indem sie sie stellenweise exotisch gestimmt ertönen lässt. Das wurde absolut exquisit umgesetzt und ist passend in das geschmackvoll-extravagante Gesamtkonzept eingebunden worden. Vorzüglich!

Für den Track "JUMP!" gebärdet sich Elsa unkonventionell-liebevoll wie eine Schwester im Geiste von Anna B Savage: Die Musik ist märchenhaft-undurchsichtig, feierlich-folkloristisch und introvertiert-versponnen. Also eigenartig und eigenständig und dadurch für herkömmliche Unterhaltungsmusik untypisch.

Wie schon angedeutet, sind es auch die Verbindungen zur Pop-Geschichte oder die Zwischentöne, die "Jump!" attraktiv erscheinen lassen. Da liegt es nahe, sich ein Lied mit dem Titel "Inbetweenings" auszudenken, welches dieses gestalterische Vorgehen in den Mittelpunkt rückt. Hier geht es lyrisch und aufwühlend zu, als hätten sich Carole King und Tori Amos getroffen, um einen gemeinsamen Song, der ihre unterschiedlichen inhaltlichen Schwerpunkte widerspiegelt, zu schreiben.

Das Erscheinungsbild von "Jump!" ist emotional vielfältig, und der Klangraum, der das zum Ausdruck bringt, wird stil- und ausdrucksvoll modelliert. Elsa singt beseelt und ihre Mitstreiter bedienen sich aus einem breit gefächerten Fundus, der einige Spielarten und Bereiche, die vornehmlich in der amerikanischen Musikkultur beheimatet sind, berücksichtigt. Kurzum: Elsa sind Vermittler zwischen den schwarzen und weißen Pop-Kulturen mit einem sensiblen Sinn für filigrane und erdige Konstruktionen. Musik ist eine universelle Sprache und ELSA sprechen mit ihren Liedern viele Menschen an, die sich für eine intelligente Pop-Kultur interessieren, welche tiefe Wurzeln und elastische Flügel besitzt.

ELSA läuten mit "JUMP!" eine sanfte Klangrevolution ein, indem sie den Jazz - dem sie eigentlich zugeordnet werden - in seine Schranken verweisen. Er dient in dem Soundcocktail als Basis und Würze, agiert aber nicht als Selbstzweck. Die Gruppe entfaltet Tongebilde, die sich aufgrund ihrer Substanz, die auf theoretischen Erfahrungen und einem wachen Instinkt beim praktischen Zusammenspiel beruht, selbst tragen.

Textlich bewegt sich die Vierer-Beziehung in Gefilden, die ihre offene, selbstbestimmte und problemorientierte Weltsicht reflektieren, sodass ihre Schöpfungen rundherum gelungen erstrahlen. Der Keyboarder Julian Bazzanella fasst das ELSA-Konzept zu einem das Wirkungsprinzip umfassend darstellenden Schlusssatz zusammen: "Wir geben uns den Raum, uns als Band in jedem Lied neu zu entdecken und so schaffen wir es, uns unseren Kernthemen Mut, Zweifel, Freiheit auf verschiedenen Wegen zu nähern".


Leider gibt es bisher keine Videos zu "Jump!". Aber die aufgeführten Konzertmitschnitte vermitteln einen guten Eindruck über die Güte der beteiligten Menschen und deren Ideen:

ELSA live at Wiener Konzerthaus am 17.01.2025 mit "Till I Disappear":


ELSA live @Supersense Wien mit "How come you don't call me anymore" (im Original von Prince)

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