David Byrne - Who Is The Sky? (2025)

Erwartungsfrohe und anspruchsvolle Unterhaltungsmusik mit Niveau!


Als Sänger der Talking Heads erlangte er in der Zeit von 1975 bis 1991 Weltruhm. Als musikalischer Partner von zum Beispiel Brian Eno oder St. Vincent sorgte er weiterhin für Erstaunen, und als Solo-Künstler verwirklicht er unbeirrt seine musikalischen Vorstellungen. David Byrne muss niemandem mehr beweisen, dass er ein außergewöhnlich kreativer Künstler ist, und er hat weiterhin hörbar Spaß daran, mit originellen Projekten seine Spuren zu hinterlassen. Selbstbewusst und klug verwirklicht er das, woran er glaubt, egal, ob die Erwartungshaltungen erfüllt werden oder nicht. Sein Gesang ist auch nach 50 Jahren im Musikbusiness immer noch ausdrucksstark und wandelbar. Die exzentrische Art zu singen polarisierte zu Talking Heads-Zeiten, heute setzt er seine Stimmfärbungen gemäßigter ein, wobei er auf überraschende und humorige Einschübe nicht verzichtet.

"Who Is The Sky?" stellt die Welt nicht mehr auf den Kopf, lebt jedoch von Erfahrungen und einer individuellen Qualität, die vor keinen Kategorien Halt macht. Byrne hatte schon immer eine Schwäche für außergewöhnliche Klänge, die häufig aus folkloristischen Traditionen stammten. Das zeigte sich schon 1977 auf der Debüt-LP "Talking Heads `77" bei "Uh-Oh, Love Comes To Town" mit dem Einsatz von karibischen Steel-Pans und wurde 1985 durch das Akkordeon beim Hit "Road To Nowhere" prominent herausgestellt. Die Leidenschaft für nicht vorhersehbare Sounds lebt er auf der neuen Platte mithilfe des aus Brooklyn stammenden, 15-köpfigen Ghost Train Orchestra aus, das ihm als freigeistige Begleitung zur Verfügung steht. Die Formation besteht seit 2006 unter der Leitung von Brian Carpenter und hat sich auf die Neuinszenierung von relativ unbekannten Künstlern spezialisiert. Unter anderem gehört die Überarbeitung des Werks von Louis Hardin, der sich Moondog nannte, dazu. David Byrne und Brian Carpenter lernten sich über die gemeinsame Freundin Joan Wasser (Joan As Police Woman) kennen und so erfuhr Byrne von dem Moondog-Projekt, dessen Sound-Architektur er sich für eigene Stücke vorstellen konnte.

Das Ergebnis der Zusammenarbeit liegt ab dem 5. September 2025 mit dem Album "Who Is The Sky?" vor, das aus 12 Songs besteht, von denen keiner die Vierminuten-Grenze reißt. Mit "Everybody Laughs" wird man kopfüber in den Reigen von überwiegend positiv-optimistischen, emotional überwältigenden Liedern geschubst und man kann gar nicht anders, als sich von der dann erzeugten Hochstimmung mitreißen zu lassen. Man stelle sich als Visualisierung des geschaffenen Klangraumes einen Folk-Troubadour vor, der vollmundig-beschwingt prägnante Lebensweisheiten von sich gibt. Energetisch macht er dabei gemeinsame Sache mit Vampire Weekend, die vielschichtig aufgebauten, sprudelnden Afro-Pop beisteuern. David Byrne trägt für "Everybody Laughs" Gemeinsamkeiten und Gegensätze zusammen, die das Menschsein ausmachen. Deshalb spricht er davon, der Track sei ein Liebeslied an die Menschheit.
 
"Who Is The Sky?" wurde von Kid Harpoon (bürgerlich: Tom Hall) produziert, der unter anderem für seine Arbeit mit Harry Styles und Miley Cyrus bekannt geworden ist. Durch seine kompakten, griffigen Pop-Vorstellungen stellt er einen gewollten, herben Kontrast zum kammermusikalisch-experimentellen Ghost Train Orchestra dar. Von diesen Reibungsflächen profitiert "When We Are Singing", indem sich das Stück zwischen den Achsen Jazz-Groove-Eleganz und Soundtrack-Opulenz mithilfe einer federnden Rhythmik hin und her windet.

"My Apartement Is My Friend" balanciert seinen ehrwürdig-unmodernen Cabaret-Charme durch einen pulsierenden Rhythmus zugunsten eines prunkvollen Art-Pop aus, der sich nicht zu fein ist, tanzbar-galoppierende Elemente zuzulassen. Inhaltlich darf man einen Nachhall der Lockdown-Erfahrungen erwarten, als man sich wohl oder übel die eigenen vier Wände auf lange Sicht schönreden und -denken musste.

Die Sensibilität klassischer Sinfonien, trockener Country-Folk, flimmernde Synthesizer-Klänge, hymnische Streicher- und Bläser-Konstellationen und rauschende Orgel-Schwaden fließen bei "A Door Called No" zu einem nach Aufmerksamkeit heischenden Song zusammen, der zunächst nach einem sich ankündigenden Drama riecht. Aber es gibt ein Happy-End. Wenn sich eine Person auf eine andere Person einlässt, also in gewisser Weise "Ja" zu diesem Menschen sagt, dann kann sich für ihn die ganze Welt verändern ("Jeder Gedanke, den wir haben, jeder Schritt, jede Vermutung, jedes Geräusch, jeder Stein, die ganze Welt ist "Ja".)

"What Is The Reason For It" hört sich wie eine schwungvoll-lebendige, höchst eingängige Calexico-Komposition im Mariachi-Rhythmus an. Aber das ist nicht alles: Eine sinnliche Komponente wird dann noch vom temperamentvollen Gesang von Hayley Williams (von Paramore) eingebracht. Und fertig ist ein kühner, exotischer Pop-Swing. Thematisch dreht sich alles um das Mysterium der Liebe: "Ist es mein Körper oder mein Gehirn? Niemand versteht es, alle glauben, dass alles eines Tages einen Sinn ergeben wird."

Der schräg-subtile Humor von David Byrne tritt einmal mehr bei "I Meet The Buddha At A Downtown Party" zutage: Der Musiker trifft Buddha am Dessert-Buffet, wo er ordentlich zulangt. Als Byrne ihn daraufhin anspricht, wie denn das viele ungesunde Essen mit seiner Askese-Haltung zusammenpasst, erwidert der hohe geistliche Religionsführer, dass er sich von "dem Erleuchtungszeug" zurückgezogen habe. Welch feinsinnige Darstellung über persönliche Irrungen und Wirrungen! Die smarte, orchestrale Untermalung erinnert in ihrer verklärenden Wirkung an die schwelgend-schöngeistigen und psychedelischen Avantgarde-Ideen von Van Dyke Parks, einem Co-Schöpfer von Brian Wilsons "Smile"-Projekt.


Auf einem milden Rhythm & Blues-Voodoo-Groove gleitet "Don`t Be Like That" beschwingt dahin. Dieses geschmeidige Unterfangen wird von flüsternden Geigen und sahnigen Bläsern geschmackvoll unterfüttert. David singt dazu in einer anschmiegsamen Behaglichkeit und Beharrlichkeit, die eine überzeugte Weltanschauung simuliert. Er benutzt zwischendurch einen wortlosen Singsang, der eine freudige Begeisterung ausdrückt und herausstellt. Und das, obwohl der Text pures Unbehagen verbreitet, weil er eine Anhäufung von Aufzählungen darüber enthält, was man angeblich alles aus der Sicht von anderen zu tun und zu lassen hat.

Verspielt-verdrehte Töne treffen für "The Avant Garde" auf eine anschaulich-unkomplizierte Pop-Ausrichtung. Fun Fact: Mit der Single-Veröffentlichung des Tracks wird auch eine "Clean-Version" ausgeliefert, bei der in der Zeile "It Doesn`t Mean Shit, It`s The Avant Garde." auf das "Shit" verzichtet wurde. Ein Zugeständnis an das prüde Amerika? David erklärt seine ironische Haltung gegenüber der Avantgarde in diesem Song folgendermaßen: "Manche Leute werden das hören und sagen: "David macht seine Freunde schlecht", aber es ist etwas differenzierter. Jeder, der mich kennt, weiß, dass ich viele Shows besuche, die man als avantgardistisch oder experimentell bezeichnen könnte. Provokante und unkonventionelle Werke inspirieren mich sehr, da sie oft meine Denkweise verändern und meine Arbeit beeinflussen (ohne dass ich mir einfach die Ideen aneigne, hoffe ich). Allerdings ist es riskant, etwas Unbewährtes und radikal Neues auszuprobieren. Manchmal, wie bei allem Riskanten, trifft man nicht ganz ins Schwarze." Byrne will damit unter anderem sagen, dass es sich nicht widerspricht, Bekanntes und Neues gemeinsam in einem Song unterzubringen. Entscheidend ist, ob das Ergebnis auf irgendeiner Ebene bewusstseinserweiternd erscheint.

Einer Übersteigerung von alltäglichen Wahrnehmungen begegnen wir bei "Moisturizing Thing". David Byrne behauptet, dass eine Hautpflegeserie dafür sorgte, dass er den Teint eines Dreijährigen bekam. Hier war wohl der Wunsch der Vater des Gedankens und die Geschichte könnte auf einem Traum beruhen, welcher auf die manipulative Wirksamkeit von Werbelügen anspielt. Verpackt wird diese Story in einen hinsichtlich Dynamik und Tempo flexibel ablaufenden Barock-Pop.


Die Ballade "I`m An Outsider" verfällt nicht in Sentimentalität, sondern findet in jeder Ton-Konstellation aufhellende Momente, die entweder hüpfend, heiter oder nach Hoffnung suchend aufbereitet wurden. Die Botschaft des Liedes scheint zu sein: Seid wachsam gegenüber Manipulationen. Sie lauern an jeder Ecke und ihre Verfechter kennen viele Tricks, um uns glauben zu lassen, dass sie es gut mit uns meinen.

Die letzten beiden Tracks könnten die Überschrift "David Byrne im Spiegel des Easy-Listening" erhalten. "She Explains Things To Me" besitzt die Tragweite einer kuscheligen Operette, erwirkt aber trotzdem eine würdevolle Distanz und versprüht Wertschätzungen gegenüber den Anforderungen an einen hörenswerten Song. Byrne greift das Phänomen des sogenannten "Mansplaining" auf, also dass manche Menschen die Angewohnheit haben, jedem ungefragt alles, was sie wahrnehmen, erklären zu müssen.

"The Truth" setzt sich mit der Behauptung der Schauspielerin Norma Shearer auseinander, dass das Letzte, was ein Mann je hören möchte, die Wahrheit sei. Der Song bedient sich bei farbigen karibischen Poly-Rhythmen und lässt die Lebensfreude des Afro-Pop entstehen, um die Hörerschaft um den Finger zu wickeln. Und das gelingt ausgesprochen gut!

Nach der Auflösung der Talking Heads tragen bislang mehr als zwei Dutzend Werke den Namen von David Byrne. "Who Is The Sky?" ist das erste Album mit neuen Songs seit "American Utopia" aus 2018, das es auch an den Broadway und auf die Kinoleinwand geschafft hat. "Who Is The Sky?" wurde komplex arrangiert und transportiert hintergründige, listige und psychologisch tiefschürfende Texte, wird aber gleichermaßen von positiven Schwingungen durchdrungen und davon getragen. Das mag auch an der derzeitigen Lebenssituation von David Byrne liegen. Er scheint glücklich und zufrieden zu sein, denn er ist verliebt und hat jüngst geheiratet. Diese aufgeräumte Stimmung färbt musikalisch auf viele Songs ab. Und das ist gut für uns, weil wir durch die authentisch zu Gehör gebrachten aufhellenden Eindrücke nur profitieren können: Anregende Unterhaltungsmusik und eine erwartungsfrohe, entspannte Haltung gehen bei "Who Is The Sky?" nämlich eine nachhaltig wohltuende Kooperation ein! Das Album ist thematisch vielfältig, aber keinesfalls unkritisch, bringt Sonne ins Herz und verlängert dadurch den Sommer in den Herbst hinein.

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