BEN WATT - Fever Dream (2016)

BEN WATT ist als Hälfte von EVERYTHING BUT THE GIRL mit seiner Partnerin TRACEY THORN bekannt geworden. Jetzt hat er ein hervorragendes neues Album veröffentlicht. FEVER DREAM ist ein Meisterwerk, nicht mehr und nicht weniger.

Erfolgreich und dennoch unterbewertet: Ben Watt steigt endgültig in die erste Liga der Singer/Songwriter auf.

Ben Watt stand ungerechterweise immer ein wenig im Schatten seiner Partnerin Tracey Thorn, der Frau mit der verführerischen, kühl-entspannten Stimme. Zusammen sind sie seit 1982 als Everything But The Girl unterwegs und haben seitdem alle Trends und Strömungen überlebt. Mehr noch: Für Künstler anderer Musikformen wie TripHop oder House, gilt das Duo, das sich nach einem Trödelladen im englischen Hull benannt hat, als Inspiration. Als Verfechter des eleganten Easy Listening, des grazilen Latin-Sounds und des luftigen Folk-Jazz haben sie nie dem Mainstream angehört, sind aber auch nicht aus dem Radar der Musikliebhaber verschwunden. Und das, obwohl das Duo seit 1999 zwecks Familiengründung pausiert.
Ben Watt hat seine Solo-Karriere immer hinter die Aktivitäten von Everything But The Girl angestellt. Durch eine schwere Krankheit wurde er zwischendurch noch zusätzlich bei diesen Aktivitäten ausgebremst. „Fever Dream“ ist erst sein drittes Album seiner seit 35 Jahren andauernden Karriere. Allerdings besteht jetzt Hoffnung auf einen stetigeren Output: Album Nr. 1 war das intime, mit Folk und Bossa Nova spielende „North Marine Drive“ von 1983. Dann folgte erst 2014 mit „Hendra“ der nächste prachtvoll schillernde Streich. Und nun kommt schon zwei Jahre später eine neue Solo-Arbeit auf den Markt.
Ben wurde also in erster Linie als Mitglied von Everything But The Girl, sowie als DJ, Produzent von elektronischer Musik, die er auf dem eigenen Label Buzzin` Fly herausbrachte, und als weitblickender Radiomoderator bei der BBC wahrgenommen. Seine Anteile als Sänger, Komponist und Instrumentalist blieben eher unterbewertet. Aber mit „Hendra“ kam er als eigenständiger, außergewöhnlicher Musiker der Extraklasse wieder ins Bewusstsein der Öffentlichkeit. Und „Fever Dream“ untermauert jetzt seine Ausnahmestellung eindrucksvoll. Watt spielt seine ganze Reife und das Gespür für fesselnde, die Sinne kitzelnde Töne aus. Er kennt die Mechanismen genau, die für nachhaltig Gänsehaut erzeugende Schwingungen nötig sind. Als Chef im Ring und Klang-Ästhet verzahnt der bescheidene Musiker sich überlagernde, rauschhaft wirkende Instrumentenketten mit seinem ausgeglichenen und souveränen Gesang, der diesem Eindruck entgegenwirkt.
Ben Watt: Fever Dream (Kritik & Stream) - Rolling Stone
„Gradually“ holt sich seine Anregungen aus dem Westcoast-Rock der 60er-Jahre. David Crosby und Jefferson Airplane könnten dabei Vorbildcharakter gehabt haben.

Der Folk-Erneuerer John Martyn fällt zusätzlich als Referenz für „Fever Dream“ ein. Unauffällig wie ein flüchtiger Gast bringt M.C. Taylor (Hiss Golden Messenger) dazu seine stützende Stimme ein. Karibische Einflüsse lassen bei „Between Two Fires“ und „Faces Of My Friends“ sogar an die Groove-betonte edle Seite des Folk-Rock von Stephen Stills und „Manassas“ denken.
Ben wartet dann noch mit einer bittersüßen, ergreifenden Ballade auf („Winter`s Eve“), die zunächst vom Piano bestimmt wird. Eine auch bei den anderen Tracks auffallende, scharf gewürzte, mit moderater Verzerrung ausgestattete, gezielt eingesetzte E-Gitarre zieht dann im linken Kanal die Aufmerksamkeit auf sich. Dabei werden sowohl knarzig-knurrende wie auch empfindsam jaulend-gleitende Töne abgesondert. Bei „Woman`s Company“ mogeln sich Hand-Trommeln und eine im Hintergrund sanft grollende Orgel ins Geschehen. Der nüchterne Folk-Jazz bekommt dadurch eine tänzelnde Ausrichtung.
Die E-Gitarre führt bei „Running With The Front Runners“ ein spezielles, die Grenzen in Richtung Psychedelic-Rock einreißendes Eigenleben. Der dazu gehörende leichte Cocktail-Lounge-Jazz mit Latin-Flair lässt an „Frost And Fire“ von Everything But The Girl denken. Etwas schläfrig und betont zurückhaltend agiert „Never Goes Away“. Das ruhige Stück profitiert von den feinen, flüssigen Gitarren-Linien, die von Drums, Bass und Orgel partnerschaftlich flankiert werden. „Brides And Wood“ lässt eine Portion Pop zu und etabliert sich schließlich als melancholisch angehauchter Folk-Rock mit jazzigen Zwischentönen. Marissa Nadler begleitet „New Year Of Grace“ als Dream-Pop-Ergänzung mit ihren silbrigen, mit Samt überzogenen Stimmbändern. Der zunächst filigran ablaufende Song wird allmählich durch zusätzliche Tonspuren angefüttert, verharrt aber weiter in seinem gemächlichen Tempo.
„Fever Dream“ ist eine konzentriert umgesetzte Lieder-Sammlung, die sich darum dreht, Veränderungen von Beziehungen im Laufe der Zeit zu skizzieren. Konkret gab es im Umfeld des Mannes aus London einige Gegebenheiten, die zur Aufarbeitung dieses Themas führten: Seine Eltern und seine Halbschwester sind gestorben und die 35-jährige turbulente Beziehung mit Tracey Thorn hat natürlich auch zu Anregungen geführt. Das Verhältnis zu den gemeinsamen Kindern, die sich zu jungen Erwachsenen gemausert haben, hat sich gewandelt und außerdem gab es noch Entfremdungen im Freundeskreis, die zum Nachdenken zwangen.
Es war also jede Menge emotional tiefgreifender Stoff zu verarbeiten. Das führte zu Rückblenden wie auch zu Überlegungen, was die Zukunft wohl noch bringen mag. Ben, der genauso wie seine Frau inzwischen ein anerkannter Schriftsteller ist, verarbeitet seine Eindrücke in weisen, nachvollziehbaren Texten. Das führt zu nüchternen Betrachtungen und intelligenten Analysen wie: „Jeder Mensch hat von Beginn an Grenzen. Diese zu akzeptieren, ist eine Schwierigkeit im Leben“ (aus „Between Two Fires“).
Trotz variierender Ausdrucksformen vermittelt das Werk einen kompakten Bandcharakter, wozu auch die kurze Umsetzungszeit im Studio beigetragen haben mag. Es war also schlicht keine Zeit für ausführliche Tüfteleien und klangliche Nachbereitungen. Es gibt nur wenige Overdubs und das ist auch gut so, denn die beteiligten Musiker bringen unter diesen Bedingungen die Stimmungen präzise auf den Punkt. Gitarrist Bernhard Butler (Suede) erzeugt dabei sensationell ökonomische und spannende Tonmuster. Was Lee Underwood für Tim Buckley war, ist er für Ben Watt. Nämlich ein Partner, der mit ihm schon fast telepathisch verbunden zu sein scheint.
Für das komplexe, aber trotzdem filigran aufgebaute Rhythmusgeflecht sorgen Schlagzeuger Martin Ditcham, der schon beim Meisterwerk „Spirit Of Eden“ von Talk Talk mitgespielt hat, sowie Kontra-Bassist Rex Horen, ein Begleiter von Laura Marling. Die geschmackvollen, füllenden Elemente von Piano, Orgel und Synthesizer stammen von Jim Watson (Katie Melua) und Mr. Watt, der auch die zweite Gitarre beisteuert. Toningenieur war - wie schon bei „Hendra“ - Bruno Ellingham. Die von Ben betreuten Aufnahmen wurden dann noch vom Mastering-Meister Bob Ludwig (Led Zeppelin, Rolling Stones, Nirvana) überarbeitet und - wie es heißt - dadurch versüßt.
„Fever Dream“ ist ein logisch durchdachtes Meisterwerk, das zunächst die problematischeren Themen mit einem dunkleren Sound präsentiert und in der zweiten Hälfte hoffnungsvollere Aussichten aufzeigt. Die Kompositionen und ihre musikalische Umsetzung zeugen von großem Einfühlungsvermögen und einer unverstellten Sicht auf die Wirkung von Tönen. Denn erlaubt ist alles, was die Sinne betört.

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