MATTHEW E. WHITE - GENTLEWOMAN, RUBY MAN (2017)

MATTHEW E. WHITE ist ein Visionär. Jetzt hat er zusammen mit der Folk-Sängerin FLO MORRISSEY ein Cover-Versionen-Album mit dem Titel GENTLEWOMAN, RUBY MAN eingespielt, das einige Überraschungen bereit hält.
Der Beginn einer fruchtbaren Zusammenarbeit? Hippie-Folk und Gothik-Soul-Kunst finden bei „Gentlewoman, Ruby Man“ für einige ungewöhnliche Cover-Versionen zusammen.
Die englische Hippie-Folk-Sängerin Florence Morrissey und der amerikanische Gothik-Soul-Künstler und Produzent Matthew E. White trafen das erste Mal am 25. Oktober 2015 bei einem Tribute-Konzert für Lee Hazlewood zusammen. Sie bestritten im Barbican Centre in London gemeinsam das skurrile, höchst seltsame „Some Velvet Morning“, das 1967 von Hazlewood und Nancy Sinatra aufgenommen wurde. Morrissey & White verstanden sich auf Anhieb so gut, dass sie beschlossen, in Zukunft gemeinsame Sache zu machen. Das Ergebnis der Zusammenarbeit ist „Gentlewoman, Ruby Man“, eine Sammlung von favorisierten Fremdkompositionen, die das Künstler-Duo in Matthews Spacebomb Studio in Richmond, Virginia, mit der dortigen Hausband einspielte.
Flo Morrissey & Matthew E. White: Gentlewoman, Ruby Man (Kritik ...
Der Hippie-Folk-Rock „Look At What The Light Did Now“ ist zugänglicher, positiver und fröhlicher als der karge, zerbrechliche Lagerfeuer-Folk des Originals von Kyle Field aus 2002, der unter dem Pseudonym Little Wings Musik macht. Flo bringt bei „Thinking ‘Bout You“ eine exotische, indisch anmutende gesangliche Note ein. Matthew zeigt sich als Charmeur in diesem als 60s-Soul-Pop ausgelegten Stück, welches im Jahr 2011 als moderne R&B-Ballade von Bridget Kelly herausgebracht und vom R&B-Artist Frank Ocean 2012 bekannt gemacht wurde.
Die Flo Morrissey & Matthew E. White-Interpretationen sind im Allgemeinen kraftvoller und üppiger instrumentiert als die Vorlagen. Wobei die Neuvertonung von „Looking For You“ des italienischen Singer-Songwriters Nino Ferrer gesanglich nah am Ursprung aus 1974 gehalten wurde. Der Song offenbart sowohl Soundtrack- wie auch Pop-Qualitäten und verbindet Dramatik mit Lebenslust. Für die Neufassung von „The Colour In Anything“ übernimmt ausschließlich Flo die Rolle der Erzählerin und verzichtet auf die gequälte, verletzte, leidende Emotionalität, die der Autor James Blake dieses Jahr in seine Komposition hinein projizierte. Sie ersetzt so das Pathos weitestgehend durch sehnsüchtige Beschwörungen.
Beim Philly-Soul-Easy-Listening-Funk-Groove von „Everybody Loves The Sunshine“ hat das Pärchen die Vibrationen der Roy Ayers Ubiquity-Einspielung von 1976 naturgetreu in die Gegenwart gerettet. Der Soundtrack zum Film „Grease“ mit John Travolta und Olivia Newton-John, der auf dem gleichnamigen Musical von 1971 beruhte, war 1978 ein Welterfolg. Der Titelsong wurde von Barry Gibb komponiert und von Frankie Vallie mit Hilfe der Bee Gees aufgenommen. Die neue Version enthält das Thema aus „I Can Stand The Rain“ (1973) von Ann Peebles und wird als unterschwellig mitreißender Groove-Pop umgesetzt. Das verschafft zusätzliche Lebendigkeit und lässt das Lied unverhofft schwungvoll auferstehen.

Bei „Suzanne“, 1967 von Leonard Cohen erdacht, hat Matthew die Oberhand. Der breitflächige, im Vergleich zum Ursprung wuchtigere Klang sorgt für räumliche Tiefe und eine Form von Trotz. Die depressiv-abgeklärte Gesangs-Rolle, die Nico 1967 beim Velvet Underground-Klassiker „Sunday Morning“ spielte, wird von Flo aufmunternd dargeboten und von den Instrumentalisten offensiv begleitet. „IRM“ von Charlotte Gainsbourg aus dem Dezember 2009 hat Beck bei allen Songs als Autor begleitet. Die Single-Auskopplung „Heaven Can Wait“ veredelte er außerdem noch mit Backing-Vocals. Das Tempo des rumpligen, mittelschnellen Southern-Soul-Pop erfuhr eine radikale Drosselung und bekam ein Gewand verpasst, das für einen James Bond-Song taugt.
George Harrison brachte aufgrund seiner Liebe zur indischen Musik Sitar-Klänge in Beatles-Songs unter (z.B. bei „Within You Without You“ von „Sgt. Pepper's Lonely Hearts Club Band“ aus 1967). Er nahm auch selbst an Aufnahmen mit indischen Musikern teil, wie mit The London Radha Krishna Temple im Jahr 1970. Das dabei entstandene melancholische Stück „Govindam Adi Purusam“ oder kurz „Govindam“ genannt, kommt aktuell ohne indische Instrumente aus, kann aber mit einem an Indie-Folk angelehnten Gesang von Flo aufwarten. Das Tempo wird im Verlauf stetig angezogen, so dass der World-Music-Touch zurückgedrängt wird. Allerdings verfügt weder die Melodie, noch der stetig wiederholte Refrain über genügend Zündstoff, um das Teil spannend über die Zeit zu retten.
Matthew E. White führt ansonsten die gewohnt spannend-exzentrische, aber gut geerdete Klangwelt vor, die er schon für seine eigenen Werken und bei der Produktion der großartigen Natalie Prass entworfen hat. Flo Morrissey ist in diesem Zusammenhang eine unerwartete Partnerin, da ihre Gesangskünste wegen der leicht quengelnden Stimmlage eigensinnig, aber auch limitiert erscheinen. Eine besondere Erwähnung gebührt der Produktion. Die Instrumente wurden klar und separat herausgestellt. Der Sound ist druckvoll und dabei dennoch ausgewogen. So ergibt sich eine neue Facette im Schaffen von Matthew E. White, die zeigt, dass er jeder Herausforderung gewachsen zu sein scheint.

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