Calexico and Iron & Wine - Years To Burn (2019)

Calexico und Iron & Wine frischen ihre Zusammenarbeit mit "Years To Burn" auf, ergänzen sich dabei prächtig und entwerfen entwaffnend schöne, bewegende Songs.

Joey Burns (Gesang, Gitarren) und John Convertino (Schlagzeug, Vibraphon), haben sich als Köpfe von Calexico mit ihren Kollegen Paul Niehaus (Pedal-Steel-Gitarre) und Jacob Valenzuela (Trompete) zusammen getan, um mit Sam Bean (Gesang, akustische Gitarre), der seit 2002 unter dem Namen Iron And Wine Musik macht, in Nashville neue Songs einzuspielen. Beam brachte noch den Tasten-Künstler Rob Burger (Tin Hat Trio) und Sebastian Steinberg (Soul Coughing, Fiona Apple) am Bass zu den Sessions mit. Die Musiker nahmen im legendären Sound Emporium Studio auf, welches bereits in den 1960er Jahren vom Country-Star Cowboy Jack Clement gegründet wurde. Unter anderem spielten hier auch R.E.M. 1987 ihr Album „Document“ ein.
Die Mitglieder von Calexico hören sich in dieser Konstellation noch entspannter, verführerischer und galanter an, als bei den Werken, die sie sonst unter eigenem Namen herausringen. Das Teilen der Verantwortung setzt bei ihnen offensichtlich weitere kreative Kräfte frei und gibt Sicherheit und Zuversicht. Schon die erste mit Iron And Wine entworfene 28minütige 7-Track-EP „In The Reins“ von 2005 war ein Musterbeispiel an Wohlklang und beeindruckender Songwriter-Kunst. „Years To Burn“ ist mit acht Stücken in 32 Minuten auch wieder kurz und knapp gehalten und pflegt erneut die Schnittstelle zwischen Country und Folk, zeigt aber in Teilen auch andere Ausrichtungen als der Vorgänger.


Die Aufnahmen wurden von gegenseitigem Respekt beflügelt. Vor der ersten Zusammenarbeit war Sam Beam vom virtuosen Spiel der Calexico-Crew eingeschüchtert. Er sah sich im Gegensatz zu ihnen als ein Typ an, der drei Akkorde kannte und unter primitiven Bedingungen produzierte. Burns & Convertino bewunderten hingegen die vielfältigen Talente von Sam: Seine phantasievolle Arrangierkunst, seine kreativen Kompositions-Einfälle, sein Sinn für Rhythmus und die Qualität seines Gesangs. Insofern ergab sich schnell, dass sich die Musiker gut ergänzten und noch voneinander lernen konnten. Für „Years To Burn“ steuert Sam Beam den Großteil der Lieder bei, es gibt aber auch gemeinsam verfasste Kompositionen („Outside El Paso“, die ersten beiden Teile der „The Bitter Suite“). Den zart schmelzenden Lead-Gesang teilen sich Beam und Burns, sie nähern sich allerdings soweit aneinander an, dass für eine Unterscheidung gut zugehört werden muss.
Sonniger Pop lässt die sehnsüchtigen Country-Zutaten von „What Heaven's Left“ in einem sanft glänzenden Licht erstrahlen. Zackige Trompeten-Fanfaren verleihen dem Track zum Ende hin noch eine aufmunternde Tendenz. Der bedächtig-sakrale Country-Folk „Midnight Sun“ hebt vorsichtig, aber unaufhaltsam in psychedelische Gefilde ab, bevor das Stück nach einer Dosis übersteuerter E-Gitarren wieder sensible Bodenhaftung erhält. Wer in den frühen 1970er Jahren schon rauschhaft veredelten West-Coast-Country-Rock gehört hat, der wird sich an die New Riders Of The Purple Sage oder an „Blows Against The Empire“ von Jefferson Starship erinnert fühlen. 
Der melodische Reichtum und der hinreißende mehrstimmige Gesang des klar strukturierten Folk-Rock „Father Mountain“ klingt nach einem vergessenen Track der Byrds in der Originalbesetzung um Roger McGuinn, David Crosby, Gene Clark und Chris Hillman.
Das knapp zweiminütige „Outside El Paso“ zeigt die experimentelle Seite der Musiker, die in dieser Zusammensetzung bisher nicht ausgelebt wurde. Lautmalerisch erschaffen Trompete, Bass und Schlagzeug eine verstörende Stimmung, die zum Beispiel zur Untermalung angstvoll-unheimlicher Szenen geeignet ist. Einige produktionstechnische Tricks und wirkungsvolle Details machen aus dem filigranen „Follow The Water“ ein sinnliches Vergnügen: Der bitter-süße Gesang bekommt durch den leichten Hall eine beinahe übernatürliche Präsenz verliehen. Die Orgel rauscht nur leicht vernehmbar im Hintergrund. Wie ein unaufdringlicher Windzug, der fast unbemerkt durch den Raum streicht. Das Schlagzeug weckt gefühlvoll die Lebensgeister und die dynamische Melodieführung garantiert wohlig-anregende Unterhaltung.
Die achtminütige „The Bitter Suite“ verbindet drei unterschiedliche Song-Ideen miteinander, die nicht flüssig ineinander laufen, sondern als separate Bereiche nebeneinander stehen: Das melancholische, von Trompeter Jacob Valenzuela gesungene „Pájaro“ verfolgt traditionelle Border-Song-Aspekte und wird abrupt vom irrlichternden Folk-Jazz „Evil Eye“ abgelöst. Der letzte Abschnitt heißt „Tennessee Train“ und ist ein versöhnlicher Song, der von einem romantischen Akkordeon und von glitzernden Vibraphon-Tönen veredelt wird. Das Stück „Years To Burn“ findet quasi in Zeitlupe statt und verbreitet eine getragen-traurige Stimmung, bei der Schönheit und Anmut jedoch die Oberhand behalten. Burns wispert die Worte demütig und unterstreicht so den intimen Klang. Bei „In Your Own Time“ trifft Country & Western auf mexikanische Folklore und vermengt sich zu einer harmonischen, friedvoll klingenden Einheit.
Der Album-Titel „Years To Burn“ hat nach Aussage von Sam Beam eine doppelte Bedeutung: Er meint Übermut, wenn das Leben in uns brennt und uns inspiriert. Er symbolisiert aber auch, dass das Leben uns niederbrennen und den Mut rauben kann, wenn es ungerecht zu uns ist. Die Musik steht aber über allem für Freundschaft und Liebe, für Anmut und Dankbarkeit, auch wenn sie ansatzweise manchmal kompliziert ist, so wie das wirkliche Leben ja auch!
Die komplexe Leichtigkeit der Musik macht einen nicht unerheblichen Reiz aus. Hier treffen sich sensible Künstler, die die Wirkung von Tonfolgen so einsetzen, dass selbst bekannte Muster in neuem Licht erstrahlen und für beglückende Momente sorgen. Die Arrangements sind luftig und transparent, aber trotzdem raumfüllend. Die Kompositionen bieten Abwechslung, sind griffig und werden meisterlich interpretiert. Nur schade, dass nach 32 Minuten schon Schluss ist.



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