Quantic - Atlantic Oscillations (2019)

Die Welt ist ein Dorf und Quantic entwirft mit "Atlantic Oscillations" globale Dorfmusik, die überall Aufsehen erregen kann.
Quantic ist nicht nur ein Band-, sondern auch ein Markenname sowie ein Symbol für grenzenlosen Freigeist geworden. Dahinter steckt der englische Multiinstrumentalist, DJ und Produzent Will Holland, der seit Beginn der 2000er Jahre mit seinen unterschiedlichen Ensemble-Ausprägungen wie The Quantic Soul Orchestra, Flowering Inferno oder His Combo Bárbaro musikalisch schon die halbe Welt erkundete und dabei etliche Stile aufgesaugt und transformiert hat. Dazu gehören Soul, HipHop, Jazz und diverse Musik aus Mittel- und Süd-Amerika. Seine Schöpfungen werden entweder instrumental vorgetragen oder unter Hinzunahme von Gast-Vokalisten fein auf die gewünschten Schwingungen abgestimmt. Die Begleitung der Songs wird sowohl elektronisch wie auch akustisch vorgenommen. Je nachdem, welcher Sound dem Stück
Nachdem Will einige Jahre in Kolumbien gelebt hat und dort lateinamerikanische und karibische Klänge studierte, wohnt er jetzt schon eine Weile in New York und bringt mit „Atlantic Oscillations“ eine Chronik seiner bisherigen und durch das Stadtleben erweiterten Einflüsse heraus. Ein paar Kompositionen tragen entsprechend den nervösen, unsteten Puls der Metropole in sich und verweisen darauf, dass die Stadt ab 1977 mit ihrem Aushängeschild, dem Studio 54, eine Hochburg der Disco-Welle war.
Die dynamisch vielfältig aufgestellte, orchestrale Ouvertüre „Divergence“ ist mit seinen wallenden Streichern, lebendigen Rhythmen und opulenten Beigaben ein atmosphärisch dichter Einstieg in das abwechslungsreiche, charaktervolle neue Quantic-Werk. Ein klopfender, prägnanter, zwingender Beat lässt „Incendium“ mit Rhythmusschleifen, die zwischen House, Funk und Rock eine neue Heimat finden, forsch und zackig erscheinen. Will Hollands Gesang mischt hier zwar im Reigen der begleitenden Instrumente, wie Keyboard und Gitarre, gleichberechtigt mit, steht aber nicht im Vordergrund. Sich verändernde Abläufe lassen den elektronisch ausgepolsterten Folk-Rock zum Schluss hin wie neu erschaffen klingen.
Pulsierend-oszillierende Synthesizer-Töne treiben den „September Blues“ an. Ein harter Rhythmus und seifige Geigen bilden Gegenpole in diesem sowohl eiligen wie auch schwelgenden Disco-Lounge-Instrumental-Titel. Das klingt, als würden Neu! und Kraftwerk Philly-Soul spielen. Komplex verschachtelte Funk- und Soul-Inhalte bilden bei „You Used To Love Me“ einen taumelnden Klang-Strudel, der vom lakonischen, desillusioniert erscheinenden Gesang von Denitia Odigie aus New York begleitet wird. Das Stück „Atlantic Oscillations“ verbindet Broadway-Ausschweifungen, Disco- und Latino-Rhythmen sowie die emotionale Reife französischer Chansons stimmungsvoll miteinander. Großzügige Opulenz trifft hier auf punktuelle Feinsinnigkeit.
Alice Russel gehört schon seit langem zu den bevorzugten Sängerinnen von Will Holland. Bei „Now Or Never“ ist sie teils Diva - die auch eine James-Bond-Titelmelodie vertonen könnte - und teils disziplinierte Soul-Queen. Sie stellt ihre klare, ausdrucksstarke Stimme uneigennützig in den Dienst dieses kraftvoll vorgetragenen Pop-Songs. Alice singt hoch, ohne im Falsett zu landen und verleiht ihrer Stimme dadurch eine gewisse natürliche Distanz. Die Streicher versprechen jedoch süße Sinnlichkeit, locken mit verspielter Erotik und verbreiten außerdem nüchterne, neutrale Hintergrundfärbungen. Der wirbelnd swingende Jazz-Track „Orquidea“ transportiert danach sowohl tänzelnde, wie auch folkloristische und spielerische Momente.
„Tierra Mama“ führt musikalisch nach Südamerika, wobei der Titel von fremdartigen Gesängen und hypnotischen Minimal-Art-Beigaben profitiert. „Motivic Retrograde“ verweilt dagegen in West-Afrika und bringt aufgestachelten Afro-Pop ein, der sich mit moderaten Techno-Effekten auf der Tanzfläche begegnet, während stoische Marimba-Takte bei „La Reflexión“ auf spacige Krautrock-Synthesizer-Themen treffen. Der Psychedelic-Pop „Is It Your Intention“ setzt dann auf rauschhaften Gesang, verträumte Harmonie-Stimmen und sphärische Ausflüge, die mit einem handfesten Rhythmus-Teppich verwurzelt sind.
Nachdem Will Holland als Teenager in diversen Rock-Bands Gitarre spielte, sammelte er Northern Soul-Singles, die seinen Horizont enorm erweiterten. Bei einer Reise nach Costa Rica baute er später seine Liebe zu weltmusikalischen Rhythmen aus und interessierte sich nebenbei noch für House und HipHop. Seine Musik zeugt deshalb auch von einem universellen Verständnis für Zusammenhänge, Inhalte und Aussagen. Damit nähert er sich in der Art der Arrangierkunst an einen großen Innovator und Visionär der Musikgeschichte an, nämlich an Duke Ellington. Der Bandleader kannte auch keine Stilgrenzen. Für ihn gab es eigentlich nur zwei Arten von Musik: Gute und schlechte. Hin und wieder fühlt man sich aufgrund der atmosphärischen Dichte bei gleichzeitiger Unbeschwertheit auch an Burt Bacharach (Easy Listening-Meister), Brian Wilson („Pet Sounds“), Edmundo Ros (Legendärer Latin-Big-Band-Leader) und John Barry (James Bond-Soundtracks) erinnert.
Innige Spiritualität fließt genauso in die Tonfolgen ein, wie hypnotischer Minimalismus, folkloristische Ursprünglichkeit, rhythmische Ausgelassenheit und melodische Eingängigkeit. Es fällt auf, dass grade die Sequenzen, die spielerisch leicht erscheinen, oft aufwändig und vielschichtig aufgebaut sind. Der Reiz der Kompositionen liegt auch darin, dass sie sich trotz ihrer üppigen Ausgestaltung stets geschmeidig und aufgeräumt anhören. „Atlantic Oscillations“ ist ein Werk, das Begriffe wie Weltmusik, Easy Listening, Jazz-Pop sowie Disco-Soul neu definiert und dabei Maßstäbe für anspruchsvolle Stil-Mixe setzt.

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