Chris Staples - Holy Moly (2019)

Heiliger Bimbam: Chris Staples schlägt dem Pessimismus mit "Holy Moly" ein Schnippchen. Demütig fügt er seinen grüblerischen Pop-Songs Zuversicht und Vitalität hinzu.

Chris Staples aus Pensacola in Florida ist ein Singer-Songwriter, dessen Wurzeln nicht im Folk, sondern im Rock liegen, was noch manchmal durchschimmert, aber nie dominant ist. Schon als Teenager lernte er ab 1996 sein Handwerk als Sänger, Gitarrist oder Komponist in den Indie-Rock Bands Twothirtyeight, Discover America und Telekinesis. Einige Zeit war er auch als Gitarrist für andere Musiker tätig. Wie auch für Josh Tillman, der unter dem Pseudonym Father John Mistybekannt geworden ist. Seit 2004 brachte er parallel bisher vier intime, karge und ruhige Solo-Alben raus.
Für das fünfte Werk „Holy Moly“ fand die Musik als Therapieform statt. Denn Staples hatte 2018 damit aufgehört, Alkohol zur Steigerung der Kreativität zu konsumieren. Es hatte nicht funktioniert. Mit der Abstinenz kamen dann die Gedanken und Fragen wieder, wie er es formuliert. Neue Türen öffneten sich und begünstigten eine erweiterte gefühlsbetonte Innenansicht. Die Lieder für „Holy Moly“ wurden dann im Do-It-Yourself Verfahren in der eigenen Garage aufgenommen. Immer nachts von etwa 22 Uhr bis 4 Uhr in der Früh. Weil in der Nachbarschaft ein Haus gebaut wurde, konnte Chris sich tagsüber aufgrund des Lärms nämlich nicht richtig konzentrieren.
Die Kompositionen, die aus der wiedergefundenen Kreativität hervor gingen, wurden einer strikten Qualitätskontrolle unterzogen, bis sich die zehn Songs des Albums als Favoriten herauskristallisiert hatten. Obwohl sich die Songs manchmal mit deprimierenden Themen beschäftigen, tragen sie dennoch eine gehörige Portion Hoffnung in sich. Im Kern ist das klassischer Pop, der großen Wert auf Zugänglichkeit legt. Und das, ohne auf süßliche Verzierungen und bekannte Melodielinien zu setzen. Dazu sind die Lieder sowieso zu sparsam instrumentiert und werden unsentimental, wenn auch gefühlvoll vorgetragen. Die Poesie von Chris Staples ist greifbar und nicht zu abstrakt. Textlich verweist der Musiker beim Eröffnungs-Stück „World On Fire“ darauf, dass er zur gleichen Zeit glücklich und traurig sein kann. Mit einfachen Mitteln wird dieser widersprüchliche Zustand erzeugt, indem Melancholie und Fröhlichkeit nebeneinander in einem Track auftauchen. Der Gesang vermittelt hier Ernsthaftigkeit, während der Synthesizer sowohl Freude wie auch Tristesse ausdrückt.
Der muntere Power-Pop „Holy Moly“ setzt dagegen vornehmlich auf einen beschwingten Drum-Machine-Rhythmus, der von einer aufgeweckten E-Gitarre flankiert wird. Chris lässt seinen Gesang dazu sanft-melodisch einfließen und schafft so eine entspannt-beschwingte Atmosphäre. 
Das ruhige „Old Friend“ kommt dann auch mit wenigen Tönen aus, die sich förmlich wie akustische, zart getupfte Aquarelle anhören und den intimen Charakter exakt betonen. „Sliver Moon“ zeigt sich danach so entschleunigt wie ein JJ Cale-Song und so melodieverliebt wie eine Ballade von Wilco.
Das beschauliche, von Akustik-Gitarren filigran begleitete „Spinning Wheel“ verwandelt Schmerz in bittersüße Romantik. „Horse And Saddle“ wird von Staples als sein persönlicher Favorit bezeichnet. Hier geht es inhaltlich darum, wie widersprüchlich ein Leben als Künstler ausfallen kann: Mal ist es lebensbejahend und zu einem anderen Zeitpunkt demoralisierend. Deshalb sei es wichtig zu lernen, mit diesen Schwankungen fertig zu werden, um motiviert und engagiert zu bleiben. Der mit schwelgenden elektronischen Klängen ausgestattete Folk-Rock hat ein gemächliches Tempo und schmiegt sich gefühlvoll an das Herz an.
Da Chris nur mit wenigen Zutaten arbeitet, nutzt er bewerte Möglichkeiten, um in seinem Heimstudio eine spezielle Stimmung zu erzeugen. Das nur etwas über zwei Minuten lange „Everybody Said“ wird so durch zärtliche Piano-Töne, schnulzige synthetische Streicher und eine vorsichtig angeschlagene Akustik-Gitarre in ein Mini-Melodram verwandelt. Dadurch, dass der Gesang etwas Hall verordnet bekommt und manche letzten Silben verlängert werden, entsteht zusätzlich ein weichgezeichneter Eindruck. Der langsame Soft-Rock „Halfway Over“ trägt dann zwei Seelen in seiner Brust: Die Wehmut wird dabei allerdings nur notdürftig von hellen, optimistischen Tönen im Zaum gehalten.
Das Piano übernimmt bei „River In Reverse“ die Führung und lässt den Track erwachsen und besonnen klingen. Traurige, sonore Bläser bringen Ernsthaftigkeit ein und die Stimme bemüht sich vergeblich, nicht zu verletzlich zu klingen. Eine Herzschlag-Trommel und wenige schleifende Akustik-Gitarren-Töne sorgen für aufreizende Zwischentöne in diesem tragisch klingenden Stück. Klavier und Gitarre ertönen für das dunkel schimmernde „Running Out Of Time“ zunächst im Gleichklang. Der Synthesizer übernimmt dann die Ankündigung von Unheil. Gedanken wie: „Manche Tage sind wie Rosen, andere wie zerbrochenes Glas. Ich beobachte, wie sie in der Sanduhr zerrinnen“, flankieren das untröstliche Liebesleid in dem dramatischen Liebeslied.
Der unaufdringlich-sanfte Charme der Lieder hat etwas Entwaffnendes. Die herausgestellte Intimität trägt sympathisch-wohlige Züge. Das ist so, als würden die Töne das Gemüt in eine mollig-kuschelige Decke einhüllen. Die bittere Süße ist dabei in der Regel so ausgependelt, dass die Stimmung nicht aus lauter Wehmut erstickt, sondern das Licht am Ende des Tunnels hell scheint. Dazu kommt, dass Chris Staples ausgereifte und souveräne Melodien beisteuert, so dass es nicht verwundern würde, wenn manche dieser Songs demnächst von etablierten Musikern gecovert werden.
Erstveröffentlichung dieser RezensionChris Staples - Holy Moly

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