Jesper Lindell - Everyday Dreams (2019)

„Everyday Dreams“ von Jesper Lindell bietet authentischen Retro-Soul mit Pop-, Folk-, Blues- und Gospel-Bezügen.
Sein halbes Leben lang hat der Schwede Jesper Lindell - der aus der Provinz Dalecarlia stammt, aus der auch Mando Diao und The Tallest Man On Earth kommen - damit zugebracht, sich intensiv mit Musik zu beschäftigen. Mit 13 Jahren fing der heute 26jährige Musiker an, Bass zu spielen und in einer Garagen-Band zu singen. 2017 erschien dann seine Solo-EP mit dem Namen „Little Less Blue“, auf der die Schwestern von First Aid Kit Harmonien singen und deren Vater Benkt Söderberg für die Produktion zuständig war. Nun steht die Veröffentlichung des ersten Albums an, bei dem der Blues Pills-Bassist Zack Anderson die Regie übernommen hat. Lindell zeigt sich hier als tiefgründiger Sänger und Komponist, dessen Eckpfeiler im Folk und Soul zu suchen sind.
Jesper Lindell - Everyday Dreams (2019, CD) | Discogs
Der Opener „Whatever Happens“ ist im herzzerreißenden, schwülen Southern-Soul-Gospel zu Hause. Jesper lässt zu der hingebungsvollen Melodie seinen herb-süßen Gesang genuss- und leidvoll schwelgend gleiten. 
Bei den Balladen „So Long“ und „Good Side Of Me“ erinnert die betroffene Brüchigkeit der Stimme in den langsamen, ruhigen, in sich gekehrten Momenten dann eher an Joe Henry.
„Stormy Waters“ entstand in nur etwa fünf Minuten nach einer frustrierenden Situation: Lindell hatte seiner damaligen Plattenfirma Demos für ein kommendes Album vorgestellt, aber der Chef des Unternehmens mochte sie alle nicht. Dieser Ärger machte sich in der nachdenklichen, aber hintergründig-kämpferischen Komposition Luft, die nun als schmachtende Soul-Pop-Hymne verewigt wurde.
Der im Grunde genommen besinnliche Folk-Rocker „Cheers“ erhält seine Dynamik gelegentlich durch kraftvolles gesangliches Aufbegehren und „France“ besitzt einen aufhellenden Rhythmus, der allerdings durch den nachdenklichen Gesang im Zaum gehalten wird. Der traditionell wirkende Folk-Song „Even If It Ain't True“ kommt rumpelig-schunkelnd daher und wird auf Ohrwurm getrimmt, was sich jedoch als aufgesetzt und bemüht erweist. Der Roots-Rock von „Just Holler“ ist instrumentell kantig-schroff angelegt, bekommt jedoch ab und zu versöhnlich-harmonische Passagen verordnet.
„Sweet As Yesterday“ wildert danach im balladesken, ausladenden, orchestral wirkenden Soul-Folk, so wie ihn auch Jonathan Jeremiah schätzt.
Auch das sich dem Kummer hingebende „Momentary Love“ holt weit aus, um seine auf die Tränendrüse drückenden Töne ausschweifend-emotional unters Volk zu bringen. Dabei wird als origineller Nebeneffekt hin und wieder eine gewisse asiatische Stimmung erzeugt. Der Boogie-Blues „If I Wake Up In The Morning“ bekommt die Möglichkeit, den einengenden Blues-Standard-Schemen zu entfliehen und entwickelt daraufhin ein abwechslungsreiches Adult-Pop-Eigenleben. Die Piano-Ballade „Burn“ wird dadurch im Verlauf des Geschehens zu einer sich phasenweise opulent auftürmenden Gospel-Nummer umfunktioniert.
Für „Everyday Dreams“ steuert Lindell nicht nur den Gesang bei, sondern spielt auch Gitarre, Bass, Keyboards und Percussion. Neben festen Instrumentalisten an Schlagzeug, Bass und Piano arbeitete er bei der Einspielung noch mit Background-Sängerinnen und -Sänger sowie unter anderem mit Gästen an Geige und Vibraphon zusammen. Die Musiker lassen einen warmen Vintage-Folk- und Blues-Soul entstehen, der den Hörer zurück in die 1960er und 1970er Jahre versetzt.
Jesper Lindell ist ein aufstrebender Singer-Songwriter, zu dessen Lieblingsplatten „The Novelist“ von Richard Swift, „Astral Weeks“ von Van Morrison und „Break Mirrors“ von Blake Mills gehören. Gemessen an diesen hochgradig individuellen Vorbildern vertraut „Everyday Dreams“ tendenziell eher auf bewährte Werte, kennzeichnet aber nachdrücklich, auf was es dem Schweden ankommt: Solides, kreatives Handwerk, unter die Haut gehende Emotionen, kontrastreiche Kompositionen und sehnsüchtig-malerische Melodien. Jesper Lindell ist jedenfalls definitiv ein Typ, den man im Auge behalten sollte.

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