"If You're Going To The City" - A Tribute To Mose Allison (2019)

Nicht nur „Parchman Farm“, „Young Man`s Blues“ und „The Seventh Son“ gehören zu den Evergreens von Mose Allison, wie das neue Tribute-Album "If You're Going To The City" belegt.
Mose Allison wurde am 11. November 1927 auf der Farm seines Großvaters nahe Tippo im Mississippi-Delta geboren und starb am 15. November 2016 in seinem Geburtsort. Seine Eltern besaßen ein Piano, auf dem er schon mit fünf Jahren Blues- und Boogie-Songs nach Gehör nachspielte, denn er war durch die Musik-Boxen des Ortes vom Sound der Südstaaten infiziert worden. Country-Blues, Jazz und Gospel bestimmten also sein Klavier-Spiel und die milde, auf den Punkt konzentrierte Stimme von Nat King Cole seinen Gesang. Nach dem Zweiten Weltkrieg nahm er zunächst ein Engagement in einer Army-Band an, bevor das Englisch- und Philosophiestudium beendet und das eigene Trio gegründet wurde. 1956 zog der Künstler nach New York und war dort unter anderem Mitglied in den Ensembles der Jazz-Künstler Stan Getz und Gerry Mulligan. Ein Jahr später startete er dann seine Plattenkarriere mit dem Album „Back Country Suite“.
Der Einfluss von Mose Allison auf die Pop-, Rock- und Jazz-Szene ist beachtlich. So gab Pete Townshend zu, dass es ohne den Einfluss des „Young Man`s Blues“ - den The Who in ihr Repertoire übernommen haben - vermutlich kein „My Generation“ gegeben hätte. Außerdem nahmen unter anderem auch The Clash („Look Here“), John Mayall („Parchman Farm“), Aerosmith („I`m Not Talkin`“) und Diana Krall („Stop This World“) Songs von ihm auf. Van Morrison widmete Mose mit „Tell Me Something“ 1996 sogar ein ganzes Album. Für „If You’re Going To The City: A Tribute To Mose Allison“ wurde jetzt eine ganze Schar illustrer Musiker versammelt, die ihren Beitrag zur Anerkennung des bedeutenden Komponisten einem guten Zweck zur Verfügung stellen.
Der Allrounder Taj Mahal begibt sich mit seiner Ragtime-Blues-Variante von „Your Mind Is On Vacation“ - dessen Original erstmalig im Juni 1962 erschien - stilecht auf die Spuren von Mose Allison, weil hier mit Old-Time-Jazz- und R&B die Hauptbestandteile des Tracks vermengt werden. Robbie Fulks lässt dagegen bei „My Brain“ durch progressive Bluegrass-Improvisationen durchaus experimentelle Züge zu. Die Stimme des Westcoast-Singer-Songwriters Jackson Browne hat seit den 1970er Jahren altersweise Patina angesetzt, so dass der einst klare Gesang jetzt angeraut tönt und wie für dunkle Stimmungen geschaffen zu sein scheint. „If You Live“ wurde für diese Aufgabe mit einer feinen Slide-Gitarre und eleganten Orgel-Schüben verfeinert. Dieser Slow-Blues-Rock biedert sich allerdings nicht durch robuste Handfestigkeit an, sondern überzeugt mit seiner bescheidenen Souveränität und überlegenen Beharrlichkeit.
Die Tippo All Stars werden von Fiona Apple angeführt, von der man nach ihren vier bemerkenswerten Veröffentlichungen seit 2012 leider nur noch wenig gehört hat. Apple legt für „Your Molecular Structure“ einen frechen, selbstbewussten Gesang an den Tag, der dem swingenden Jazz eine frische, unverbrauchte Note verpasst. 
Ben Harper & Charlie Musselwhite vermitteln mit „Nightclub“ tatsächlich eine schwüle, dunstige Nachtclub-Atmosphäre, zu der sich die Tänzer aufgrund der vorgerückten Stunde nicht mehr ausgelassen, aber cool und erotisch aufgeladen bewegen können. Die Pretenders-Frontfrau Chrissie Hynde präsentiert sich bei „Stop This World“ als desillusionierte, kühl-laszive Chanteuse und entführt die sozialkritische Hymne in einen verrauchten, halbdunklen, kleinen Keller-Club.
Iggy Pop verschrieb sich in letzter Zeit schon manchmal dem Jazz und dem Cabaret (z.B. auf „Préliminaires“ von 2009). Der Proto-Punk versucht „If You’re Going To The City“ aus der Ernsthaftigkeit zu lösen, verhaspelt sich aber zwischen Pop und Jazz und landet dadurch gefühlt in der Musik-Auffassung der Sesamstraße. Bonnie Raitt nahm schon 1973 eine schöne Cover-Version des Anti-Vietnam-Krieg-Songs „Everybody’s Crying Mercy“ für ihr Album „Takin`My Time“ auf, bei der sie übrigens von dem schon erwähnten Taj Mahal an der Mundharmonika begleitet wurde. Die vorliegende Live-Aufnahme des Liedes ist jedoch nicht ganz so zwingend: Die besondere Mischung aus Anklage und Trauer, die ihre Studio-Fassung sowie die Cover-Version von Elvis Costello auf „Kojak Variety“ (1995) und natürlich das Original von 1968 so bedeutsam erscheinen lassen, kommt hier nicht so stark zum Tragen.
Loudon Wainwright III macht „Ever Since The World Ended“ zu seinem Song, indem er dem Stück seinen speziellen, leicht exzentrischen, trockenen Folk-Stil aufdrückt und ihn pur zur akustischen Gitarre vorträgt. Von Richard Thompson wird eine akustische Live-Aufnahme des Klassikers „Parchman Farm“ beigesteuert, was ein bisschen schade ist. Denn ihm wäre auch locker zuzutrauen gewesen, dem von mindestens 33 anderen Künstlern eingespielten Track mit seiner elektrischen Gitarre so richtig Feuer unterm Hintern zu machen, ihn zu zerreiben und anschließend wieder sauber zu rekonstruieren. So ist „nur“ eine anständige, technisch einwandfreie Aufnahme dabei herausgekommen.
Peter Case, das ex-Mitglied von The Nerves (die das von Blondie interpretierte „Hanging On The Telephone“ geschrieben haben) und The Plimsouls („A Million Miles Away“) ist mit kräftig-souligem Power-Pop bekannt geworden und hat sich später als eindringlicher und sensibler Songwriter etabliert. Seine Variante von „I Don’t Worry About A Thing“ ist ein wenig bemüht ausgefallen. Will heißen: Dem traditionellen R&B-Rahmen fehlt es an Zündstoff, er ist nämlich etwas zu bieder ausgefallen. Die Brüder Dave und Phil Alvin, Mitbegründer der derb-knackigen Roots-Rock-Combo The Blasters legen mit „Wild Man On the Loose“ einen lauten, kratzbürstigen Rocker vor, der grundsätzlich um eine aufrührerische Stimmung bemüht ist, aber dennoch nicht vollständig die Beherrschung verliert. Die Ballade „The Way Of The World“ wird im Anschluss von dem Ensemble Anything Mose! einfühlsam, sanft und ruhig dargeboten.
Frank Black veröffentlichte mit seinen Pixies 1990 auf dem Werk „Bossanova“ mit „Allison“ eine Hommage an Mose Allison. Er nimmt sich jetzt „Numbers On Paper“ vor und macht daraus einen atmosphärisch dichten Folk-Jazz, der sich zwischen Bob Dylan und Robert Wyatt wohl fühlt. 
Amy, die Tochter von Mose, hat das ganze Projekt organisiert und verwirklichte mit Elvis Costello „Monsters Of The Id“. Den Beiden ist es gelungen, einen Original-Piano-Part von Mose in diesen raffinierten Art-Pop zu integrieren. Amys eigenartig verschrobene Stimme gewinnt dabei immer mehr an Reiz und verleiht dem Titel im Duett mit Costello eine verlockende, spannende Einzigartigkeit.
Nicht alle Verneigungen auf „If You’re Going To The City“ sind im Sinne einer überraschenden Neuinterpretation gelungen, aber alle zollen dem einflussreichen Musiker und Songwriter würdevoll Respekt. Die Texte von Mose Allison offenbarten eine zeitlos-kritische Weltsicht und diese Kompilation beweist, dass die Kompositionen auch heute noch stilübergreifend von Interesse sind. Der CD ist übrigens noch eine sehenswerte Dokumentation über die Karriere von Mose mit dem Titel „Ever Since I Stole The Blues“ als DVD beigelegt. Die Einnahmen aus den Verkäufen des Tribute-Werkes gehen an die Hilfsorganisation „Sweet Relief“ für die Betreuung von bedürftigen Musikern. Unter anderem wurden schon klingende Charity-Projekte für Victoria Williams und Vic Chesnutt aufgelegt, um deren Krankenrechnungen mit Hilfe der Erlöse zu begleichen.

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