Vug - Onyx (2019)

„Onyx“ von Vug lässt neue Perspektiven in der Rockmusik erkennen.
„Onyx“ sollte unvoreingenommen gehört werden, denn es ist unerheblich, woher die Musiker stammen und welcher Stil-Schublade sie bisher zugeordnet wurden. Die Musik spricht für sich und will entdeckt werden. Die Band zitiert und probiert, nimmt nachvollziehbare Einflüsse auf und baut überraschende Wendungen ein. Die Gruppe hat sich nach einem heute recht anachronistisch anhörenden Song der Progressive-Rock-Band Atomic Rooster benannt, deren „Devil`s Answer“ 1970 ein angesagter Song in Progressive-Rock-Kreisen war. Das Stück beinhaltet sowohl improvisierte, freie jazzige Elemente wie auch einen pumpenden Boogie-Blues, der im Hintergrund alles zusammenhält. Ein wagemutiger Track also, der sich eigentlich zwischen alle Stühle setzt und nur im damaligen Psychedelic-Hippie-Kontext ein Publikum finden konnte. Aber nachvollziehbar ist die Namenswahl schon, denn auch Vug legen Wert auf ein solides Gerüst, auf dem sie ihre vielseitigen Ideen ausbreiten können.


Im Detail bedeutet das folgendes: „Blue Onyx“ orientiert sich am Hard- und Heavy-Sound der 1970er Jahre, bringt aber so viel Eigenständigkeit auf, dass dieser Vergleich nicht an einer einzigen Gruppe festgemacht werden kann. Das Stück hat eine dynamische Rhythmus-Abteilung hinter sich und weist einen Gitarristen auf, der mit allen Rock-Wassern gewaschen ist. Der Sänger setzt seine Stimme so ein, dass sie sowohl für Schärfe sorgt, aber auch nicht unbedingt das brachial-ätzende Hard- und Heavy-Klischee bedient. So geht zukunftsweisende Rock-Musik: Nicht verschrecken, aber durch Intensität nachhaltig beeindrucken.
„Easy“ setzt den Verblüffungs-Siegeszug in Richtung Power-Pop fort und präsentiert satt-knackende Gitarren-Riffs. Der Song hat das Zeug dazu, ein Live-Favorit zu werden. Nanu, was ist das denn? „Tired Of“ zitiert das berühmte „Rumble“-Riff von Link Wray, um dann aber nicht im Urschleim des Rock & Roll stecken zu bleiben, sondern punk-poppig neue Höhen zu erklimmen. Die folgende halb-akustische Ballade „On My Way“ hört sich so an, als wäre sie von einer ganz anderen Formation eingespielt worden und versehentlich aufs Album geraten. Gut so! Bloß nicht berechenbar werden!
Das Stück „Palace Of Sin“ braucht durch das anfängliche Bass-Solo ein wenig, um auf Touren zu kommen. Es zeigt eine weitere Facette der Gruppe auf, nämlich die Lust an der Improvisation und am Verlassen von Konventionen. Das ist hier aber nicht ganz ausgereift, weil das Stück im Verlauf der fast neun Minuten an Konturen verliert und dadurch im verkopften Prog-Rock-Universum verloren geht. „Grief“ setzt zeitweise auf die schwindelerregende Wirkung von vielen Tönen in möglichst überschaubarer Zeit, behält aber dennoch die Fäden in der Hand. Will heißen: Der Track hat Energie und Schwung - aber leider keine zwingende Melodie.
„Inferno“ ist ein stramm marschierender Rock-Song, der leider zu früh beendet wird, während akustische Gitarren das Lied „Todbringer“ im Zaum halten. Es hinterlässt den Eindruck, als sei es eine Demo-Version, der noch eine brachiale Variante folgen wird. Mit diesem relativ ruhigen Stück endet ein Album, das überwiegend einen starken Eindruck hinterlässt und auch Entwicklungspotential offenbart.
Im Gegensatz zum Erstling „Vug“ von 2017 kommt „Palace Of Sin“ wesentlich gelöster und gereifter rüber. Manche Stücke erobern das Rock-&-Roll-Herz auf Grund ihrer Unbekümmertheit und Intelligenz im Sturm. Anderen Liedern mangelt es noch an konsequenter, schlüssiger Durchsetzungskraft. Aber es ist nur noch ein kleiner Schritt, um einen durchgängig unabhängigen, griffigen Sound zu erschaffen. Es geht letztlich um die Entscheidung, ob in Zukunft die Erwartungen der Progressive-Rock-Szene erfüllt oder neue Ufer entdeckt werden sollen. Es kommt also die Zeit der Weichenstellung.
Die Formation, die in der Besetzung Felix Scholl (Gitarre & Gesang), Leonard Vaessen (Drums), Philipp Hennermann (Bass) und Maximilian Raine (Gitarre) auftritt und in Berlin ansässig ist, hat sich von ihrem Förderer und Teilzeit-Mitglied Nick DiSalvo (von den US-Psych-Prog-Rockern Elder) emanzipiert, obwohl der Freund noch auf dem Track „Palace Of Sin“ an den Drums aushilft. Der neue Schlagzeuger Leonard Vaessen integrierte sich indessen nicht nur lückenlos, sondern übernahm auch gleich die Produktion von „Onyx“. Das Album zeigt, dass in dieser Besetzung noch einiges möglich ist, wenn die Musiker weiterhin entsprechend neugierig und kreativ bleiben.
Erstveröffentlichung dieser Rezension: Vug - Onyx

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