Ane Brun - How Beauty Holds The Hand Of Sorrow (VÖ: 27.11.2020)

Vor vier Wochen erschien mit "After The Great Storm" ein neues Album von Ane Brun, dass es den Hörern nicht unbedingt leicht machte, aber nichtsdestotrotz (oder grade deswegen) lohnend ist. Und nun stellt sich die Frage: Welche Ausdrucksformen wurden für den schnell hinterher geschobenen Nachfolger "How Beauty Holds The Hand Of Sorrow" gewählt, der ja eigentlich der zweite Teil des geplanten Doppel-Albums ist. Werden experimentelle Ausgestaltungen gesucht oder bewährte Folk-Noir-Strukturen angeboten?

Der Opener "Last Breath" ist offensichtlich noch vom Tod des Vaters beeinflusst worden. Denn was sich zunächst wie die Ankündigung des Sonnenaufgangs anhört, wird rasch in eine Untergangsstimmung überführt. Schwerblütige Streicher erzeugen Trauer und legen sich betrübt und dominant wie ein Leichentuch auf die Seele. Trostlosigkeit macht sich breit und erzeugt einen Soundtrack für den Totensonntag.

"Closer" führt weiter durch die Dunkelheit und dient als Diener der verlorenen Seelen und Betrübten, indem es zwischen Diesseits und Jenseits vermittelt. 

"Song For Thrill And Tom" bringt dann die Hoffnung zurück und zeigt, dass es einen Weg ans Licht geben kann. Himmlische Chöre weisen die Richtung und Ane verbreitet in diesem Gospel-Folk wachsende Zuversicht. "Meet You At The Delta" knüpft zarte Banden und ist so filigran, dass man kaum zu atmen wagt, um dieses empfindsame Gebilde nicht zu zerstören. Zur Erzeugung dieser tongewordenen Spinnweben bedarf es nur des mitfühlenden Einsatzes von Stimme, Gitarre und Piano.

"Trust" ist dann wieder auf dem Boden der Tatsachen angekommen. Das Lied lässt zwar noch Verbindungen in sphärische Gefilde erkennen, setzt sich aber letztlich durch selbstbewusste Strukturen als lockerer Folk-Rock gegen den Sog der Traumwelten durch.
"Gentle Wind Of Gratitude" pendelt mechanisch ablaufende Percussion und romantische Easy-Listening-Färbungen miteinander aus. So verlieren die Klassik-Pop-Elemente ihre Süße und die Rhythmen ihre statische Ausrichtung. Wenn das keine Win-Win-Situation ist...

Die Kraft der Ruhe und die Ausgeglichenheit der Langsamkeit verhelfen "Breaking The Surface" zu einer meditativen Einkehr. Ganz selbstvergessen gleitet das Stück dahin und nimmt die Hörer mit auf eine Reise, die jenseits von Zeit und Raum stattzufinden scheint. Der amerikanische Pianist Dustin O’Halloran trägt für "Lose My Way" weich gezeichnete Töne bei, die die ruhige Nummer rücksichtsvoll unterstützen. Auf diese Weise fügen sich die flehende Stimme und die dezenten Streicher zu einem zart-anrührenden Gesamtkunstwerk zusammen. 
Aus dem modern arrangierten "Don’t Run And Hide" von "After The Great Storm" ist hier eine traurig-verzweifelte Piano-Version geworden, die die Schönheit der Komposition ans Tageslicht bringt.

"How Beauty Holds The Hand Of Sorrow" kann als geläuterte, auf innere Werte komprimierte Schwester von "After The Great Storm" bezeichnet werden. "After The Great Storm" setzt auf das trotzige, nicht akzeptieren wollen von dem, was das Leben so anbietet. "How Beauty Holds The Hand Of Sorrow" lenkt ein und behält sich zumindest die Möglichkeit offen, dass es eine göttliche Fügung gibt, die alles in die richtige Bahnen lenkt. Auch wenn nicht unbedingt sofort erkannt werden kann, dass das so ist. Beide Methoden haben nebeneinander ihre Berechtigung und präsentieren eine Künstlerin, die offen für neue Einflüsse ist und sich nicht scheut, schwierige Wege zu gehen.

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Waiting For Louise - Rain Meditation

Jahresbestenliste 2023

Lesestoff: Pop steht Kopf