Faye Webster - I Know I`m Funny haha

 

Faye Webster: Kann eine neue Liebe die künstlerische Integrität hörbar beeinflussen?

Faye Webster ist nicht mehr Solo, sie lebt mit ihrem Partner zusammen und ist glücklich. Ist ein glückliches, unbeschwertes Leben nicht ein Killer für jegliche kritische Distanz, für kreative Leidenschaft und unbequeme musikalische Wendungen? Das wird sich zeigen. 

Außer der Musik liebt Faye gestellte Fotos, dafür gibt sie sich genau soviel Mühe wie für ihre Songs. Das neue Cover zeigt eine offensichtlich nicht erheiterte Frau, die mit vielen "haha"-Aufklebern dekoriert ist. Der Spaß findet - wenn überhaupt - nur im Kopf statt. Das provokante, etwas eklige, unappetitliche Cover-Bild ihrer letzten Platte "Atlanta Millionaires Club" aus 2019 hat sie in drei Tagen zusammen mit Eats Humans entwickelt. Es zeigt, wie sie Schokoladen-Geld isst, wobei ihr die Kakao-Masse aus dem Mund läuft und ihr Gesicht damit verschmiert ist. 
Die Frau aus Atlanta hat ihren eigenen Kopf, auch was Arrangements angeht. So hat sie ein Faible für den Klang einer Steel-Gitarre entwickelt, was sie genüsslich bei ihren Liedern auskostet. Ein Überbleibsel aus den Erfahrungen ihrer Kindheit, denn ihre Mutter stammt aus Texas und zuhause wurde ständig die Western-Swing-Band Asleep at The Wheel gehört. Der mitreißende Sound brennt sich ein und prägt, ob man das nun will oder nicht.

Am 25. Juni 2021 ist das vierte Album "I Know I`m Funny haha" erschienen, bei dem Faye Webster auf eine feste Begleitung gebaut hat: Produzent und Mixer Drew Vandeberg (Deerhunter, Of Montreal, Kishi Bashi), Harold Brown (Schlagzeug), Bryan Howard (Bass), Nic Rosen (Keyboards) und der prägende Matt “Pistol” Stoessel an der Steel-Guitar bilden die Crew, die für einen direkten, ungefilterten, homogenen Sound mit hohem Wiedererkennungswert sorgen soll.

Schüchtern und zurückhaltend berichtet uns Faye beim Opener "Better Distractions" von ihrer Sehnsucht zu ihrem Partner. Der Song wird durch einen runden, voluminösen Bass geerdet, der eine effektive Verstärkung durch das Schlagzeug erhält. Gut, dass Matt Stoessel mit an Bord ist, denn grade durch seine weinend-flehenden Töne entsteht die fesselnd-sentimentale Stimmung des cool swingenden Liedes. Der sanft groovende Country-Soul trägt die wehmütigen Töne in schwindelnde Höhen, wo sie durch perlende Piano-Einschübe wieder auf den Boden der Tatsachen begleitet werden.
Und wieder demonstriert Faye, was für eine außerordentlich sensible und sinnliche Sängerin sie ist. Leise und dennoch prägend schlüpft sie bei "Sometimes" in die Rolle der Verlassenen, die die Gründe der Trennung nicht verstehen und verarbeiten kann ("Und dann verließ er mich für jemanden, der genauso aussieht wie ich"). Ein ruhiger, langsamer Folk-Jazz bildet die Basis für die Übermittlung dieser bleiernen Tristesse. 

Die Schilderung einer alltäglichen Beziehungs-Situation ist die textliche Grundlage für "I Know I’m Funny haha". Es geht dabei um Streit, Zukunftspläne und Erinnerungen an Verwandten-Besuche. Der ganz normale Wahnsinn also. "Dinge, die die Leute vielleicht leicht übersehen und nicht für würdig oder schön genug halten, um sie zu singen", möchte Faye beim Komponieren berücksichtigen. Hin und wieder denkt die Singer-Songwriterin dann: "I Know I`m Funny haha", verrät sie zur Motivation für die Entstehung ihres Platten-Titels. Ein schläfrig-trockener Country-Folk-Rock untermalt die Gedanken, die spontan entstanden zu sein scheinen, mit der gleichen stoischen Abgeklärtheit, mit der Faye auch singt.
Bei "In A Good Way" geht es darum, dass man vor Glück auch weinen kann. Die Musikerin feiert eine glückliche Beziehung, tut dies aber nicht mit süßlich-schmalzigen Tönen, sondern mit einem Soft-Funk auf Art-Folk-Basis. Also mit romantischer Musik, die Haltung und Niveau beweist.
Nanu, ist das ein Eagles-Song? Deren "Peaceful Easy Feeling" hat nämlich Einzug in "Kind Of" gehalten. Diese Komposition ist beinahe so friedvoll, gelassen und aufbauend, wie es der Klassiker der kalifornischen Soft-Rocker um Don Henley und Glen Frey ist. Allerdings weist "Kind Of" neben harmonischen Abschnitten auch gefahrlose Sollbruchstellen und unnötige Endloswiederholungen auf. 

"Cheers" ist wesentlich härter, aggressiver und direkter als alle anderen Tracks auf dem Album. Zumindest, was die instrumentelle Unterstützung angeht. Die Rhythmus-Fraktion zeigt sich druckvoll und bestimmend, wobei der Gesang im Kontrast dazu überlegt und überlegen bleibt. Der Heavy Metal-Rhythmus trifft ab und zu auf lieblich-entzückte Gitarren-Einspielungen, die ausgleichend wirken und dem Stück etwas die Schärfe nehmen.
"Both All The Time" schafft es, alleine durch Lässigkeit und einem verschleppten Tempo eine Stimmung aufzubauen, die sowohl traurig wie auch zuversichtlich wirkt. Es ist viel Platz zwischen den Noten, der durch eine bittere Süße gefüllt wird.

Für "A Stranger" werden große Geschütze aufgefahren, um reichlich Pathos zu erzeugen. In Wehmut schwelgende Streicher, die von der winselnden Steel-Gitarre unterstützt werden, sind nur ein Eckpfeiler der Melancholie-Offensive. Der Rhythmus befindet sich kurz vorm Herz-Stillstand und der Gesang wird soweit zurück gefahren, dass es bisweilen zu Erzählungen kommt. Die Zeichen stehen also auf Resignation.

Bei "A Dream With A Baseball Player" geht es darum, wie eine Schwärmerei für einen Star das Leben verändern und beeinflussen kann. Gemeint ist hier der Atlanta Braves-Baseballspielers Ronald Acuña Jr., den Faye tatsächlich treffen konnte, als sie 2019 eingeladen wurde, bei einem Spiel der Atlanta Braves zu singen. Das Stück kommt elegant, erfahren und mit gebremstem Funk rüber. Das Saxophon wird einschmeichelnd-sanft geblasen und der Rhythmus ist weich, exakt und ausgeruht. So erotisch kann Soft-Rock klingen.
"Overslept" könnte als hypnotisierend langsame Folk-Tronic-Ballade beschrieben werden, die unter gesanglicher Mithilfe der gleichgesinnten japanischen Singer-Songwriterin Mei Ehara entstand. Die hellen, hohen Stimmen erzeugen dabei eine kristalline, kühl schimmernde, unwirkliche Atmosphäre.
"Half Of Me" präsentiert Faye zum Abschluss pur an der akustischen Gitarre. Zerbrechlich, verloren und einsam legt sie nochmal ihre Seele frei.

Das Album "I Know I`m Funny haha" ist von der neuen Beziehung von Faye Webster geprägt, was sich zwar thematisch auswirkt, aber musikalisch nicht dazu führt, dass es seicht, nachvollziehbar oder langweilig ausgefallen ist. Die Platte wurde überwiegend in Moll gehalten, verursacht aber trotzdem keine schlechte Laune, weil die Songs eine dezente erotische Ausstrahlung versprühen. Wie schon angedeutet, ist auf die Begleitmusiker Verlass. Sie verpassen Faye Webster ein schützendes Korsett, das es ihr ermöglicht, sich auszuleben und ihre gesanglichen Qualitäten voll einzubringen. Diese bestehen besonders darin, eine verletzte oder verletzliche Persönlichkeit zu offenbaren, die authentisch mit den Themen verschmilzt. Mit dem Steel-Guitar-Player Matt “Pistol” Stoessel scheint es sogar eine telepathische Verbindung zu geben, denn die Interaktionen wirken wie eine unsichtbar abgestimmte, sensible und wirkungsvolle Aktion zweier Individuen.

Nicht ohne Grund hatte Barack Obama das Stück „Better Distractions“ von "Atlanta Millionaires Club" auf seine Jahres-Playlist für 2020 gesetzt. 
Der Mann weiß schließlich was er tut und er hat einen erlesenen Musik-Geschmack. Auch "I Know I`m Funny haha" hält wieder einige potentielle Lieblings-Stücke parat. Man darf gespannt sein, welchen Song der ex-Präsident für seine Bestenliste von 2021 auswählt. Jedenfalls sind trotz veränderter Lebensbedingungen keine Qualitätseinbußen zwischen dem hervorragenden "Atlanta Millionaires Club" und "I Know I`m Funny haha" festzustellen.

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