Peter Piek - Walking Zschopau

 Peter Piek zelebriert Chansons, die sich zugänglich und berührend an Leib und Seele heften. 

Nur nicht täuschen lassen! Grimmig dreinblickende Menschen können sehr warmherzig und lächelnde Personen Ganoven sein. Und wenn eine Stimme weiblich-lieblich klingt, kann sie durchaus auch einem Mann gehören. Und wenn unschuldig-sensible Töne ungekünstelt und von reiner Natur sind, dann können sie die Sinne wohlig kitzeln. So wie es beim Maler, Performance-Künstler und Musiker Peter Piek aus Sachsen geschieht, der mit "Walking Zschopau" sein erstes Live-Album vorlegt. Einzige Zeugen der Entstehung waren abstrakte Malereien, die in seiner Kunstgalerie entstanden. Von den eingespielten Songs sind fünf bereits bekannt ("1st Song", "I Want You" und "Let Love Begin" von "+" (2016) sowie "Blue" und "Blue Flamingo" von "The Time Travelling" (2020)) und fünf neu dazu gekommen.

Etwa hundert Kilometer südöstlich von Leipzig entfernt liegt die selbsternannte Motorradstadt Zschopau, welche am Fluss Zschopau in Sachsen liegt. An diesem ging Peter als Kind häufig entlang und fragte sich, wo das Wasser wohl herkommen mag und wohin es fließen wird. Auch das neue Album ist für Piek wie eine Suche nach der Quelle und der Mündung seiner Musik. Denn schon vor 13 Jahren wurde der Ursprung der Entstehung von "Walking Zschopau" gelegt. Peter nahm die Anregung  seines Fans Melissa ernst - die er 2008 auf der ersten US-Tournee in Rochester NY kennen lernte - ein Live-Album aufzunehmen. Jetzt ist es nach mehreren vergeblichen Anläufen also endlich da, wenn auch wahrscheinlich anders realisiert, als es sich Melissa damals vorgestellt hatte. Es fehlt nämlich das Publikum. Dafür erscheint am 6. August 2021 parallel zur Musik ein neuer Katalog mit Kunstwerken. Auf diese Weise entstand ein Multimedia-Werk, das Ohren und Augen erfreuen soll.

Die Songpoesie von Piek berücksichtigt sowohl einen künstlerischen Anspruch, wie auch eine sensible Erdung, wie sie im Americana-Genre zu finden ist. Musikalisch kann bei Peter Piek eigentlich ganz viel passieren. Unter anderem ist Pop-Eingängigkeit, Klamauk oder Besinnlichkeit möglich. "Walking Zschopau" offenbart kunstvolle Chanson-Ernsthaftigkeit und intime Folk-Klänge, die von Hingabe, Virtuosität und Einfühlungsvermögen geprägt sind.

Nach ein paar "Intro"-Akkorden auf der halbakustischen Gitarre folgt "Home", das Metaphern benutzt, um die Innigkeit von Liebes-Beziehungen bildhaft werden zu lassen. Es wird an eine Hummel gedacht, die eine Blume sucht oder die Vorstellung geweckt, dass das Leben wie eine Linie verläuft und Verliebte dabei Punkte auf einer kreisförmigen Leinwand sind. Peter Piek führt dazu seine Gitarrenarbeit kraft- und druckvoll aus, nähert sich dem Folk-Jazz, baut etwas Rhythmus-Unterstützung ein und verblüfft durch einen androgynen Gesang, der fest und ausdrucksstark ist, aber auch zerbrechliche Passagen aufweist.

"Binoculars" ist ein Lied über Grenzen, Freiheit und Strände, sagt Peter Piek und vermengt die Begriffe im Text so miteinander, dass zum Schluss die Erkenntnis reift, dass Freiheit eine Illusion ist. Wir müssen also zwangsläufig mit Einschränkungen leben, können aber die Sehnsucht zum Antrieb werden lassen, um Mauern zumindest gedanklich einzureißen. Vielleicht geht es aber auch nur um einen Tag am Strand, an dem die Gedanken frei fließen und Purzelbäume schlagen. Piek baut mit effektiv gezupfter Gitarre und einem dumpfen, monotonen Taktgeber eine intim-fordernde Stimmung auf, die ländlich-offen und urban-eilig zugleich ist.

"Blood" ist ein Lied, das aus der Perspektive von Flüssigkeiten geschrieben wurde, die Bestandteil des Lebens sind. Wobei Wasser sowohl lebensspendend wie auch lebensbedrohend sein kann. Blut, Schweiß und Tränen sind in diesem Zusammenhang Ausdruck für starke Emotionen. Der Song beginnt als etwas verspielter und undeutlich gekennzeichneter Country-Folk, bekommt durch hypnotische Bass-Trommeln gradlinige Konturen, kann sich aber letztlich weder als Ballade, noch als Uptempo-Nummer positionieren. Gut so! Es lebe die Zweideutigkeit.
Instrumentenwechsel: Ein mit Hall versehendes Klavier simuliert einen großen, leeren Raum, den Peter Piek mit leicht manipuliertem Gesang füllt, der durch ein historisches Mikrofon oder ein Telefon zu kommen scheint. Immer dabei: Das verloren-einsame Piano, das traurig-herzzerreißende Akkorde absondert. "Human" ist ein berührender Song, der im ersten Halbjahr 2020 geschrieben wurde. Die verträumt-romantische Melodie hat Peter dabei geholfen, mit der Pandemie klar zu kommen.
Piek spielte für "Silence" schnelle Akustik-Gitarren-Töne ein, so wie einst in den 1970er Jahren der Gitarren-Großmeister Leo Kottke. Das Lied ist aber gar nicht still, sondern aufgeweckt und abenteuerlustig. Und das, obwohl es entschleunigende, meditative Gedanken wie "Wenn du die Stille genießt, ist das Leben wie ein Blatt, das vom Baum fällt" transportiert.

Halbzeit. Das instrumentale Zwischenspiel "Interlude" läutet mit schwirrend-sphärischen Klängen die zweite Runde ein. Das Piano sondert bei "Let Love Begin" räumliche, klare und bitter-süße Töne ab, wie sie auch während der Keller-Aufnahmen für Neil Youngs "After The Goldrush" (1970) zu hören waren. Der romantisch-traurig-schöne Folk-Pop wird von einer Stimme eingerahmt, die sich anhört, als käme sie aus einem leeren Nebenraum.

"I Want You" ist ein Folk-Song, der zielstrebig, nachdenklich, lyrisch ansprechend und dynamisch aufgebaut ist. Gesang und Gitarre interagieren stark, unterstützen sich, treiben sich an und trösten sich gegenseitig. Aggressive Folk-Punk-Töne lassen "1st Song" hektisch erscheinen, während die Stimme versucht, harmonisch-intim zu vermitteln. Das Duell endet unentschieden.

Bei "Blue" steht wieder das plastische, raumfüllende Klavier im Vordergrund, das eine aufmunternde Stimmung und ein fülliges Volumen mitbringt. Peter singt betörend und wird von sinnlicher Melancholie gefangen und getrieben. Die akustische Gitarre grummelt bei "Blue Flamingo" schnarrend und lässt deshalb sofort an Leonard Cohen denken, der so sein Publikum wie der Rattenfänger von Hameln in seinen Bann zog.

Wie erwähnt, gehört zur Veröffentlichung der Musik auch ein neuer Katalog mit den Bildern, die Peter während der Entstehung der Songs gestaltete. Die Schöpfungen sind bunt, psychedelisch und unterschiedlich in Form und Zusammensetzung. Sie sind ungewöhnlich-abstrakt, erinnern manchmal an Collagen aus Bruchstücken, wirken unruhig in der Wahrnehmung und regen die Fantasie an.
Die Musik hört sich oft wie eine Antithese dazu an, wie ein Gegenpol, der eine vertraute Konstante mit warm-herzlicher Atmosphäre abbildet, die leicht nachvollzieh- und erfassbar ist. Musik und Malerei ergeben ein stimmiges Gesamtkunstwerk, das von starken Emotionen und einer sinnlich-kreativen Kraft lebt. Peter Piek verbindet weitgehend traditionelle Musik-Stile wie Folklore mit bildender Kunst. Das zeigt einmal mehr, dass es nicht auf die Form, sondern auf den Ausdruck ankommt, um die Bedeutung einer Kunstform hervorzuheben. Bei Peter Piek ist es sowohl die Musik, wie auch die Malerei, die anspruchsvoll dargeboten wird.

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