Leonard Cohen - Live In Dublin (2014)

Der alte Mann und das Mehr: Der charismatische Leonard Cohen präsentiert „Live In Dublin“ in drei Stunden alle Facetten seines Könnens. Kleine Fehler inbegriffen.
2014 ist ein ergiebiges Jahr für Leonard Cohen-Fans. Eigentlich macht sich der kanadische Altmeister ja relativ rar. In diesem Jahr verwöhnte er uns zunächst mit dem neuen Studioalbum „Popular Problems“ und schiebt jetzt noch einen opulenten Konzert-Mitschnitt nach. Der vielseitige Künstler hatte erst 2008, im Alter von 74 Jahren, nach etwa 15 Jahren wieder begonnen, aufzutreten. Diese Wiederkehr auf die Bühne wurde unter dem Titel „Live In London“ dokumentiert. Seitdem absolvierte er 470 Auftritte in 31 Ländern, die über vier Millionen Zuschauer gesehen haben. Bei diesen Events handelte es sich nicht einfach nur um das nostalgische Abspulen von alten Hits und Live-Favoriten, sondern um das Zelebrieren einer musikalischen Vision. Cohen ist ein Poet, ein besinnlicher Wanderer zwischen Lust und Glauben sowie ein aufgeklärter Zeitgenosse, der einen eigenen Erzähl- und Vortragsstil kreiert hat. Diese literarisch-romantische Art hat ihn zu einem Denkmal unter den altvorderen Liederschreibern gemacht. Am 12. September 2013 stellte der Kanadier unter anderem sein 2012er Album „Old Ideas“ in der irischen Hauptstadt im Rahmen der ausverkauften Welttournee vor und wurde dabei in Ton und HD-Bild festgehalten. Das Repertoire umfasst außerdem diverse Klassiker und auch nicht so offensichtliche Beiträge.
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Die Inszenierung wird vom Meister bestimmt und gelenkt. Seine Präsenz wird durch seine elegante Optik noch verstärkt. Er ist in einen dunklen Anzug gekleidet, trägt Hut und verspricht durch sein Äußeres Seriosität. Die angewendete Gestik unterstreicht den zumeist intimen, pastoralen Rahmen der Veranstaltung. Cohen hält gelegentlich die linke Hand seitlich vor das Mikrofon, als wolle er dafür sorgen, dass keine seiner innigen, wertvollen Töne verloren gehen. Leonard Cohen-Konzerte haben die Aura einer feierlichen Zeremonie und dazu gehören auch Rituale und Symbole. Die teils ungelenk erscheinenden Bewegungsabläufe und die immer wieder vorgenommene demütige, gebückte Körperhaltung ist dabei Teil seiner Charakterdarstellung und unterstreicht seine individuelle Persönlichkeit.
Als Lichtgestalt unter den lebenden melancholisch-nachdenklichen Musik-Autoren hat er sowieso die volle Aufmerksamkeit seiner Zuhörer. Was jetzt noch den Unterschied zwischen einer gelungenen und einer herausragenden Performance ausmacht, ist die Qualität der Interpretation des Materials. Für die Umsetzung stehen ihm hervorragende Spezialisten zur Verfügung, die zum Teil schon seit seinem Bühnen-Comeback zur Tournee-Mannschaft gehören. Das sind der Zeremonienmeister und Bassist Roscoe Beck, Schlagzeuger Rafael Gayol, Tastenmann Neil Larsen und die Sängerin und Co-Autorin einiger Cohen-Songs, Sharon Robinson. Neu dabei ist der exzellente Gitarrist Mitch Watkins. Die Musiker kennen die Vorgehensweise ihres Brötchengebers genau und versuchen ihn konstruktiv zu unterstützen und ihm Sicherheit zu verschaffen. Cohen räumt seinen Begleitern im Gegenzug Freiheiten und ein offenes solistisches Betätigungsfeld ein.
Das Konzert beginnt - wie auch „Live In London“ - mit dem rührseligen, berechenbaren „Dance Me To The End Of Love“, zu dem Leonard mit sonorer, brüchiger Stimme beschwörend und galant einlädt. „The Future“ ist dann ungewohnt lebendig und gesanglich beweglich. Den Klassiker „Bird On The Wire“ kann man in einer sehr entspannten siebenminütigen Version mit Gitarren- und Hammond-B3-Solo-Einlagen hören. Gesellschaftskritik äußert der Altmeister mit „Everybody Knows“ analytisch in mahnender Pose.
Mit einem ellenlangen, weltmusikalisch-folkloristischen Intro ist „Who By Fire“ ausgestattet und das sehr entschleunigte „The Gypsie`s Wife“ führt das hektische Streben des Alltags ad absurdum.
Irgendwann bekommt Mr. Cohen jeden willigen Zuhörer auf seine Seite. Spätestens bei „Darkness“ ist der Widerstand gebrochen. Der Song gehört zu den Höhepunkten des Konzertes. Virtuos, abgeklärt und akzentuiert massiert er die Seele und gleitet feinfühlig dahin. „Amen“ wird im Anschluss zur heiligen Blues-Jazz-Pop-Messe erhoben. Gospel-Feeling, Inbrunst und Verzückung inklusive. Eine festliche Stimmung macht sich durch den wohltemperierten Einsatz des Background Chors (Sharon Robinson + Webb Sisters) bei „Come Healing“ breit. „Lover Lover Lover“ bekommt einen Latino-Anstrich, was dem etwas überstrapazierten Song gut tut und Anthem ist mit seiner andächtigen Ausrichtung quasi kirchentagstauglich.
Während „Tower Of Song“ bedient der kanadische Poet ein Keyboard mit einfachen Akkorden und nutzt diesen Einsatz für eine humoristische, selbstironische Einlage. Für „Suzanne“ begleitet er sich nicht grade sicher und fehlerfrei auf der Gitarre. Selbst seine gut geölte Band kann diese Patzer nicht kaschieren. Beim sparsam begleiteten „Chelsea Hotel #2“ klappt das dann schon besser. Sachte elektronische Beats werden für „Waiting For The Miracle“ mit kammermusikalischen Elementen verbunden und „The Partisan“ verbreitet slawische Volkslied-Atmosphäre. Soulig wird es mit „In My Secret Life“, bevor Sharon Robinson Gelegenheit für einen Solo-Part bekommt und mit einer unaufdringlichen Folk-Ballade („Alexandra Leaving“) überzeugt. Gerne stimmt das Publikum beim Refrain von „I`m Your Man“ mit ein. Dann kommt der Poet in Cohen durch und er rezitiert ein Gedicht („Recitation w/ N.L.“). Endlich wird sein berühmtestes Lied angestimmt. Allerdings interpretiert er „Hallelujah“ längst nicht so eindringlich wie John CaleRufus WainwrightWillie Nelson oder Jeff Buckley. Auch das folgende, den zweiten Set abschließende „Take This Waltz“ ist eher unspektakulär und bieder.
Insgesamt werden dann acht Zugaben spendiert. Das bekannte „So Long, Marianne“ macht in einer recht flotten Version den Anfang. Das verführerische „Going Home“ bekommt höhere Weihen durch den wunderbar schwerelosen Harmonie-Gesang des weiblichen Gesangs-Trios und „First We Take Manhattan“ wird mit einem strammen Bass versehen. Die Damen retten den Song im Verlauf mit ihrem betörenden Gesang vor der Gleichförmigkeit. Das erzählerisch starke „Famous Blue Raincoat“ ist unkaputtbar und transportiert wohlige Schwere. Jetzt bekommen auch die Webb Sisters die Möglichkeit, sich auszuzeichnen. Sie geben „If It Be Your Will“ zum Besten, eine schüchterne Folk-Nummer mit Harfe und Gitarre als Lead-Instrumente. Nun ist irgendwie die Luft raus: „Closing Time“ klingt etwas holprig und hölzern, gesanglich ist das neben der Spur. Beim Blues „I Tried To Leave You“ wurde überflüssigerweise Raum für Solo-Darbietungen aller Begleitmusiker eingebaut. Der abschließende Gassenhauer „Save The Last Dance For Me“ kann auch keine Innovationspunkte mehr sammeln.
Die Chronik dieser Aufführung zeigt, dass es sich bei diesem Auftritt mehrheitlich um ein vergnügliches Ereignis gehandelt hat. Vergleicht man „Live In Dublin“ mit „Live In London“ (aufgenommen 2008), so ist die aktuell vorliegende Show die lockerere, launigere, besser austarierte Veranstaltung. Hier wird ein vollständiges, dreistündiges Konzert mit allen Höhepunkten und Fehlleistungen ungeschminkt präsentiert (die DVD/Blu-ray bietet noch drei Bonus-Stücke, die auf derselben Tournee in Kanada aufgenommen wurden). Die Musiker sind in ausgelassener Spiellaune und bieten dem Cohen-Fan eine emotionale Vollbedienung. Man kann natürlich nicht erwarten, dass über drei Stunden ein durchgängig stabiler Qualitätslevel gehalten wird. Trotzdem ist „Live In Dublin“ eine über weite Strecken kurzweilige Vorstellung auf hohem Niveau, bei der man sich wünscht, dabei gewesen zu sein.

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