Rodrigo Leão - A Estranha Beleza da Vida

Die Betörung der Sinne erfolgt durch das Verständnis der seltsamen Schönheit des Lebens.  

Der portugiesische Musiker und Komponist Rodrigo Leão ist mit seinem neunzehnten Volle-Länge-Werk (wieder einmal) der seltsamen Schönheit des Lebens auf der Spur. Er lässt seine Kompositionen gerne wie einen Film ablaufen, mit Haupt- und Nebendarstellern, die phantasievolle Geschichten erzählen, welche unterschiedliche Gefühlsebenen offenbaren. Dabei entstehen dann wie selbstverständlich seltsame, schöne, ungewöhnliche und auch vertraute Tondichtungen, die speziell, aber auch eingängig sein können. "A Estranha Beleza da Vida" ist voll von solchen Gebilden, die durch ihren eigentümlichen Charme lange Schatten werfen, die nachhaltige Höreindrücke gewährleisten.
Die russisch-stämmige, in Kanada lebende Singer-Songwriterin Michelle Gurevich, die auch schon unter dem Namen Chinawoman Musik gemacht hat, leiht ihre laszive Alt-Stimme - die stellenweise an Chrissie Hynde von den Pretenders erinnert - der Eröffnungsnummer "Friend Of A Friend". Die kurzen Akkorde der Geigen weisen Elemente der modernen Klassik auf und tragen zum Tanz-Rhythmus bei. Die Streich-Instrumente könnten sich aber genauso in einem Kaffeehaus-Orchester wohl fühlen. Wenn sie ihre schwelgenden Töne absondern, scheinen sie den Soundtrack für einen romantischen Film abzubilden, der von Pop-Leichtigkeit gespeist wird. Diese gegenläufigen Tendenzen tragen zur Eigenartigkeit dieses Songs bei, der sowohl agile wie auch versonnene Momente aufweist.
Mit "A Sala" erschafft Rodrigo eine Klangebene, für die der Begriff Easy Listening wie geschaffen ist, so entspannend und zugänglich legen sich die Töne auf die Hörnerven. Auch "Sibila" hat die Ruhe weg: Tropfend, klopfend und klingelnd erinnern die Schwingungen an das rhythmisch bestimmte Schulwerk von Carl Orff, wobei hier ein indisches Harmonium die bedächtige Melodieführung übernimmt.

Für "Who Can Resist" suhlt sich Kurt Wagner von Lambchop mit seinem knurrigen Bariton im nostalgischen Cabaret-Jazz. Dabei füllt er seine Rolle als erhabener Schnulzensänger voll aus. Zur Unterstützung breiten die Instrumente eine sentimentale Atmosphäre vor ihm aus.
Bei "45 Segundos" ist der Name Programm, denn das todtraurige, von Streichinstrumenten aufgeführte Stück hat (fast) genau diese Länge.

Die portugiesische Sängerin Débora Umbelino, die sich Surma nennt, verleiht dem geisterhaften Klanggebilde "O Ovo do Tempo" durch ihren sphärischen Gesang eine eindringlich-gespenstische Note. Die fragile und klangmalerische Begleitung übernehmen ausschließlich Synthesizer und ein akustischer Stand-Bass. Die spanische Sängerin Martirio kennt sich im Flamenco aus und gibt der dunklen Calexico-Style-Ballade "Voz de Sal" danach eine leidend-folkloristische Färbung mit.

"Introdução nº 8" klingt wie die Einleitung zu einem Film mit tragisch geprägtem Inhalt, während "A Valsa da Petra" spritzig-perlend und schunkelnd doch eher eine genießerische, frankophile Lebensart in den Vordergrund rückt.
Bei "O Maestro" hat der Tango deutliche Spuren hinterlassen, was den Track mondän und lustvoll erscheinen lässt, wogegen "Old Happiness" getragen und schwermütig nach ernster "Hochkultur" klingt und "Janeiro 2021" ausgleichend, hell und harmonisch aufgestellt ist.

Das Licht des Polarsterns soll Orientierung geben und so sorgt auch "Estrela do Norte" für eine klare Ausrichtung auf ein ergriffen-besinnliches musikalisches Thema. 
Der Gitarrist, Komponist und Produzent Suso Sáiz war ein Pionier der New Age-Musik in Spanien und hat den Track "A Estranha Beleza da Vida" durch eine idyllisch-neblige Klanginstallation geprägt, die Alltagsgeräusche genauso wie Space-Sounds enthält. Schönheit liegt im Auge des Betrachters und muss nicht unbedingt nur positiv gestimmt sein.

Kunst ist manchmal eine ernste, trockene Angelegenheit. Nicht so bei Rodrigo Leão, denn weil seine Kompositionen so vielfältig dargeboten werden, kommt keine Langeweile auf und weil er nicht provozieren möchte, klingen seine Werke so würdevoll. "A Estranha Beleza da Vida" feiert das Leben in all seinen Facetten und zelebriert eine akustische Weltreise. Die Platte überzeugt durch Einfühlungsvermögen und formvollendete Arrangements. Ein besonderer Triumpf der seltsamen Schönheit des Lebens!

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