Albert Luxus - YinYin

Kein Yin & Yang, sondern ein YinYin bestimmt derzeit die Weltordnung.

Eines vorweg: Es gibt keinen Albert Luxus. Jedenfalls nicht in der Formation, die unter diesem Namen Musik macht. Albert Luxus ist nämlich ein 2009 in Köln gegründetes Duo, bestehend aus Matthias Albert Sänger (Sänger (!) und Multiinstrumentalist) und Andreas Kiwitt (Schlagzeug). 
Auf den ersten beiden Alben wurde noch in Englisch gesungen, erst 2018 erschien die erste deutschsprachige Veröffentlichung mit der kurioserweise englisch betitelten EP "TeaTimeHoney". Diese Verdrehung der Sprachebenen ist schon ein wenig skurril, zumindest klingt das nach einem sympathisch-schrägen Humor. Nach dem ersten Album mit deutschen Texten ("Diebe", auch aus 2018) folgte am 26. November 2021 die Download-Version des Nachfolgers "YinYin" und im Januar 2022 soll eigentlich die Vinyl-Ausgabe folgen, sofern sich die Lieferschwierigkeiten des Papiers und der Kartonagen beheben lassen.
Beim Album-Titel "YinYin" denkt man spontan an Yin & Yang, zwei gegensätzliche Kräfte, die sich dennoch ergänzen. So funktioniert die Welt aber grade nicht. Immer mehr unversöhnliche Spannungen bauen sich auf. Es fehlen oft ausgleichende, harmonische Impulse, charismatische, weitsichtig handelnde Persönlichkeiten oder zwingende, eindeutig helfende Ideen. Deshalb wirken ordnende, selbst heilende Mächte nicht mehr in ausreichendem Maße. Statt Yin & Yang regiert nun YinYin und Frieden, Natur und Eintracht sind in Gefahr.

Das Duo agiert auf "YinYin" so, als wäre es von der Rock- und Pop-Musik der 1960er bis 1980er Jahre inspiriert worden und wolle diese Erfahrungen destillieren, um sie in einem frischen Space-Age-Adult-Pop-Gewand zusammensetzen zu können. Garniert wird dieser Mix mit dadaistisch veranlagten Texten, die das Hirn in Wallung versetzen.

Das Lied "YinYin" geizt nicht mit versöhnlichen, gütigen Klängen, die eine angenehm-entspannte Stimmung erzeugen. Die Texte sind assoziativ, aber dennoch gedanklich zusammengehörig. Glitzernde und schwebende Töne leiten das Stück vielversprechend ein, denn es entsteht dadurch eine geheimnisvolle Atmosphäre. Melodische Synthesizer-Akkorde und ein langsamer Trip-Hop-Rhythmus lassen den Song danach zusammen mit verspielten E-Gitarren-Passagen ein wenig Progressive-Rock-Luft schnuppern, die nach "Wish You Were Here" von Pink Floyd klingt. Erst dann setzt der mal bedächtige, mal selbstbewusste und deutliche Gesang ein, der für ein nüchternes Gegengewicht in diesem malerisch-selbstvergessenen Konstrukt sorgt.
Die Idee zu "Gott vs. Tinder" entstand bei einer Zugfahrt, als Matthias Albert Sänger einen Mann beobachtete, der hektisch Tinder-Vorschläge bearbeitete, während auch drei Frauen anwesend waren, die sich später als Zeugen Jehovas entpuppten. Das waren zwei Beispiele dafür, worin sich Personen verlieren oder Halt finden können: In der Religion für das Seelenheil oder bei Beziehungsabenteuern, die Bestätigung geben sollen ("Du hast Gott, ich hab Tinder. Halt Dich fest wo Du kannst"). Ein strammer Rhythmus, sirenenartige Synthesizer, giftige Gitarren und honigsüße Harmonie-Gesänge versorgen die attraktive Melodie mit kontrastreichen Zutaten, so dass sich der Song eingängig und ungewöhnlich zugleich präsentiert.
Hard- und Soft-Rock kollidieren bei "Zeitzonen" und erzeugen aufeinander folgende, in sich stimmige, auf- und abschwellende Klang-Kaskaden, so dass "Hotel California" (Eagles) auf "Learn To Fly" (Foo Fighters) zu treffen scheint. 
"Himalaya" badet in Wohlklang und gefällt sich in schwelgenden Gefühls-Breitseiten, die in wallende Keyboard-Schwaden verpackt werden, welche an die wollweichen Arrangements des französischen Synthie-Art-Pop-Duos Air erinnern. Möglich wird dieser Eindruck durch den nicht nur hier vorgenommenen Einsatz eines 70er Jahre-Synthesizers mit dem Namen Solina String Ensemble. Dazu gesellen sich noch zackige E-Gitarren-Spuren, die veranlassen, dass sich der Track nicht in Gefühlsduselei verliert.
Das Lied "SUV" lässt sich nicht so leicht aus dem Gleichgewicht bringen: Genießerisch und sakral breitet sich der Song über eine schwebend-swingende Oberfläche aus und lässt dabei keine besondere Eile oder Unruhe aufkommen.
Der motivierende Refrain von "Ein Glas aus Sympathie" bewirkt, dass die Komposition aufgekratzt und lebensbejahend erklingt. Eine stimulierende Power-Pop-Energie garantiert dabei eine freudvolle, kurzweilige Unterhaltung.
In "Voodoo" geht es um Beziehungs-Stress. Etwas kryptisch heißt es da: "Wir stürzen ab. Fallen tief. Landen weich im alten Mief. Ein stiller Wunsch. Der laut zerbricht." Das Lied hält sich nicht strikt an geläufige Song-Strukturen, sondern stellt eine forsche, wortreiche Erzählweise in den Vordergrund, die von einem agilen, zweckdienlichen Instrumenten-Cocktail effektive Impulse erhält.
Die Musiker ergötzen und verlieren sich bei "Sibirisches Eis" in einer Melodie, die so süß ist, dass sie die Sinne angenehm berauscht. Da ist jegliche kritische Distanz zwecklos. Hat da jemand "Münchner Freiheit" gerufen?
Aus der Hard-Rock-Ballade "Einsame Hornissen" wird im Laufe der Zeit ein aufreizender Psychedelic-Rock mit moderat aggressivem Grunge-Flair. In der Reibung steckt der Lustgewinn.
Der Fake-Walzer "Lebewohl" wird zum Fake-Rhythm & Blues und dann zum Fake-Rock & Roll. Nichts scheint hier wirklich ernst gemeint zu sein, ohne dass es albern wirkt. Dennoch hat billiger Klamauk hier keine Chance.
Das ruhige Instrumental-Stück "Earl Grey" bildet einen friedlich-unkomplizierten Abschluss unter ein Werk, das die Pop-Musik zwar nicht neu definiert, sie aber aufpoliert, indem sich die Songs aus diversen Vorlagen speisen. Deren Ursprünge sind nicht immer klar erkennbar, jedoch werden die Zutaten stets wirkungsvoll in Szene gesetzt. Die Inspirationen wirken sich positiv auf die jeweilige Song-Qualität aus und ergänzen die eigenen Ideen somit sinnvoll. Eine stabile melodische Basis findet dabei einen exklusiven Sound-Rahmen mit Texten, die sich durch einen spontanen Charakter hervortun.
Der Pop-Entwurf von Albert Luxus erhält auf diese Weise eine reizvoll-bekömmliche Ausprägung. Das Duo findet sein Betätigungsfeld in einem anspruchsvollen Singer-Songwriter-Chanson-Pop-Umfeld und erinnert mit seinen Kompositionen an Projekte wie Palais Schaumburg oder Die Höchste Eisenbahn, was für eine unkonventionelle Herangehensweise spricht.

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