Lars Bygdén - One Last Time For Love

Lars Bygdén entfacht mit seiner Musik die Kraft der Liebe, die über den Tod hinaus reicht.

Wer sich in der tieftraurigen Schwermütigkeit der Tindersticks um Stuart A. Staples wohl fühlt, der wird auch Lars Bygdén lieben. Bygdén suhlt sich mitunter in einer verzweifelten Aufrichtigkeit, die betroffen macht und zu Herzen geht. Der Musiker schmückt dann diese innigen Kollektionen mit spirituell anmutenden Gesangspassagen aus, die einen geweihten Gospel-Touch in seinen orchestralen Dark-Folk hineintragen. Wie das Vorgängeralbum "Dark Companion" aus 2018 ist auch "One Last Time For Love" eine öffentliche Trauerbewältigung, denn die Platte hat Lars Bygdén wieder seiner Frau gewidmet, die 2017 an Krebs starb. 
Credit: Johan Bergmark

"Das Album macht dort weiter, wo mein vorheriges Werk "Dark Companion" endete. Nach der Beerdigung meiner Frau. Wenn Verwandte und Freunde endlich wieder in ihr normales Leben zurückgekehrt sind, nachdem sie ihre Kräfte um mich und die Trauer meiner Kinder vereint haben. Wenn man alleine auf dem Sofa sitzt und versucht zu verstehen, was passiert ist. Es geht um Trauer und unendlichen Verlust, aber auch um die Befreiung, die der Tod bedeuten kann, sowohl für den Erkrankten als auch für die Überlebenden. Es geht darum, dass wir die Dunkelheit brauchen, um das Licht sehen zu können und umgekehrt", erklärt der schwedische Singer-Songwriter.

Der Opener "A Bird And A Star" beginnt mit Klagegesängen, wie sie der Blues oder die Chaingang-Chöre von Strafgefangenen hervorgebracht haben. Das Elend materialisiert sich in Moll-Noten, findet in vielen Kehlen Widerhall und trägt so zur kollektiven Erleichterung der gemeinsam erlebten traumatischen Erlebnisse bei.
Diese sinister gestimmte Einleitung mündet in die auch von leidendem Gesang geprägte Folk-Jazz-Ballade "Born Again", die sich durch eine weichgezeichnete Melodieführung auszeichnet, bei der sich im Verlauf predigende Soul-Stimmen einfinden. Lars Bygdén baut eine zwingende Dramatik auf, wie sie nur von besonderen Musikern kitschfrei übermittelt werden kann. So gemahnt das Lied an die Stimmung von "No Other", dem dunklen, psychedelischen Folk-Rock-Meisterwerk des The Byrds-Gründungsmitglieds Gene Clark aus dem Jahr 1974. Spannungsvolle Intensität reibt sich hier mit mystischen Klängen.
Ganz behutsam räkelt sich "Forward" und kommt nur langsam in Gang. So wie sich manchmal aus dem Nebel nur schemenhaft Konturen der Landschaft abzeichnen, so bleiben auch hier Eindrücke flüchtig und undeutlich. Die Töne schälen sich erst spät aus dem Ungewissen hervor und hinterlassen ein trügerisches Abbild einer seltsamen und scheuen Komposition. Eine schatten- und rätselhafte Atmosphäre leitet "Back" ein. Opulente, rituelle, wortlose Gesänge und eine knorrig-aggressive E-Gitarre bringen den Zustand dann bis zum Kochen, wonach das Stück abrupt endet.

Der bittersüße Country-Folk "Into The Light" drückt sowohl Schmerz wie auch Zuversicht aus, er nimmt die Zuhörer und Zuhörerinnen behutsam und tröstend in den Arm und gibt durch die starken Gospel-Soul-Stimmen Halt.
Das Stück "One Last Time For Love" wird mit einem flotten Takt unterlegt, verbleibt gesanglich aber im schmachtenden Chris-Isaak-Crooner-Feeling ("Wicked Game",1989). Durch diese Diskrepanz werden die gemischt-verwirrten Gefühle vermittelt, die in einer Ausnahmesituation entstehen.
Bei "Under The Bean Tree" wird mit Hilfe von ätherischen Tönen durch Hall auf der Stimme, einer weinenden Geige und einem räumlichen Klangbild eine intim-transparente Atmosphäre geschaffen, in der Melancholie und Sehnsucht vortrefflich gedeihen können. 

"Fall Into The Night" ist bei ähnlicher Ausrichtung straffer und druckvoller organisiert, weil hier im Gegensatz zum Vorgänger eine lodernd rhythmische Begleitung Berücksichtigung findet. "Amnezia" huldigt sowohl Natur- wie auch sirenenhaften Geräuschen, bevor sich die wimmernde Geige wieder prägend einmischt. Gesanglich geht es weinerlich-schnulzig zu, was nicht zuletzt aufgrund der schwachen Melodie negativ ins Gewicht fällt.

Lars Bygdén ist eine feste Größe in der schwedischen alternativen Country-Folk-Szene. 1996 gründete er die Country-Rock-Band The Thousand Dollar Playboys, mit denen er zwei Platten aufnahm. 2002 löste sich die Gruppe auf und Bygdén begann seine Solo-Karriere. 2005 kam sein erstes Soloalbum ("Trading Happiness For Songs") heraus, das Platin-Status erreichte und ein Duett mit Ane Brun enthielt ("This Road"). 
2009 folgte mit "Family Feelings" ein Konzeptalbum über seinen Familienverbund. Enthalten war "Good Times". Der Song wurde ein schwedischer Sommer-Hit. 
Nach dem Best-Of-Doppelalbum "Songs I Wrote" (2011) folgten im Jahr 2012 mit "LB" 12 neue Lieder. Für das animierte Video zum Lied "The Hole" gab es dann sogar eine Grammy-Nominierung.

Auf die glücklichen Tage folgte die Katastrophe und seitdem sucht Lars Bygdén nach innerem Frieden. Die Musik scheint für ihn eine Therapiemöglichkeit zu sein. Er öffnet sich seinem Publikum, schüttet sein Herz aus und erfährt daraus hoffentlich Trost und Kraft. Uns schenkt er mit "One Last Time For Love" bewegende Momente, in denen wir unsere Empathie-Fähigkeit prüfen und uns an gefühlvollen Tönen laben können.

Für Bygdén ist "One Last Time For Love" ist in erster Linie eine emotionale Angelegenheit, die dazu beitragen soll, mit einem unersetzlichen Verlust weiterleben zu können. Der Schwede lehrt uns dabei nicht nur, dass es Liebe über den Tod hinaus geben kann, sondern auch, dass ein empathischer Mensch diese Gefühlslage von Schmerz und Sinnsuche in eindringlich-authentische Klänge umwandeln kann. Musik erweist sich in den Händen von versierten, empfindsamen Künstlern als eine universelle Sprache, die mehr als bloße Töne übermitteln kann, sie geht tief unter die Haut und bewegt das Gemüt.

Hoffentlich führt der öffentliche Umgang mit dem Erlebten dazu, dass Lars Bygdén positive Wirkungen auf sein Seelenheil ableiten kann. Möge "One Last Time For Love" für ihn ein Quell des Trostes und weiterhin ein gütiger, heilsamer Begleiter sein. Es ist zu hoffen, dass es ihm in Zukunft vergönnt ist, andere, nicht so schmerzvolle Inspirationen für seine sensiblen Songs zu finden.

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Waiting For Louise - Rain Meditation

Jahresbestenliste 2023

Lesestoff: Pop steht Kopf