Beady Belle - Nothing But The Truth

"Nothing But The Truth" oder der unstillbare Drang nach Wahrhaftigkeit.

Manchmal braucht man Glück, um seine Talente optimal einbringen zu können. Dieses Glück hatte im Jahr 1999 die norwegische Musikerin Beate S. Lech, als ihr Bugge Wesseltoft vorschlug, für sein neues Label "Jazzland" ein Album aufzunehmen. Der norwegische Produzent ließ seiner Künstlerin totalen Freiraum, der zu weiteren Arbeiten führte und mit "Nothing But The Truth" kommt jetzt schon das neunte Album in gemeinsamer Regie auf den Markt.

Die erste Platte als Beady Belle brachte Beate im Jahr 2001 unter dem Namen "Home" heraus. Sie steuerte hierzu nicht nur den Gesang, sondern auch die Kompositionen bei, verfasste die Arrangements, schrieb die Texte und bediente die elektronischen Instrumente. Unterstützt wurde sie dabei von ihrem Ehemann Marius Julian Reksjø am Bass. 

Bei der Tournee zum dritten Album "Closer" nahm 2005 bei einem Konzert in London Jamie Cullum Kontakt auf, um die Gruppe als Support-Act für seine Konzertreise durch Großbritannien, Deutschland, Frankreich, Norwegen, Schweden und Dänemark zu engagieren.

In den Folgejahren wurde der Beady-Belle-Sound mal durch Country-Folk-Elemente angereichert, mal in Richtung Soul und dann wieder in jazzige Gefilde geführt. Im Kern sorgte das Duo daneben immer für einen gefühlvollen und hochwertigen Klang, der Beate S. Lechs rauchzarter, betörender, stabiler Stimme den geeigneten Rahmen für ihr samtig-sinnliches Timbre bot.

Für "Nothing But The Truth" bevorzugt Beady Belle modernen Rhythm & Blues mit Soul als Basis der Tonkunst-Erkundungen. Ergänzt wird dieses grundsätzlich melodisch aufgebaute Fundament manchmal durch Break-Beats, was dann naturgemäß eine gewisse Sperrigkeit verursacht. Wer also seidige, durchgängig flüssig ins Ohr gehende Songs erwartet hat, der kommt vereinzelt nicht voll auf seine Kosten. 

Wer dem Werk aber mehrere Durchläufe gönnt, der wird merken, wie die Kanten allmählich zu prickelnd-prägnanten Stolpersteinen werden und die Harmonie über das Stockende siegt. Ja, man muss sich die Platte schön hören, zumindest wenn eine andere Erwartungshaltung an die stilistisch Unberechenbare bestand. Und das ist gut so, das macht die klangliche Entdeckungsreise interessant. Bei dieser unterschwelligen Provokation und Reizauslösung stellt sich grundsätzlich die Frage, ob der HipHop der neue Jazz ist.

"Nichts als die Wahrheit" steht als erwartungsvolle Ankündigung über der aktuellen Song-Auswahl: Die Wahrheit ist sauber und rein, aber es besteht die Gefahr des Missbrauchs, weil wir keinen Schutz mehr haben, wenn wir uns offen präsentieren, behauptet Beate S. Lech in "Truth Wide Open". Und sie fragt ihren Partner: "Kannst du es ertragen? Oder willst du weggehen?" Blubbernd-zirpende Space-Sounds und undeutliche Gesprächsfetzen leiten das Stück ein, bevor sich der ernste, auch schmerzlich-flehentliche Gesang zwischen das Zirpen und dem sich vorsichtig orientierenden, langsamen Groove einordnet. Der gemächliche, holpernde Takt wird vom leidenschaftlichen Gesang geadelt, denn die hinreißend emotionale Stimme dominiert das Geschehen, so wie es generell auf "Nothing But The Truth" der Fall ist.
Der Funk von "Lost" ist elegant und zurückhaltend, aber scheint ständig auf dem Sprung zu sein, wie ein auf Beute lauerndes Raubtier. Ein unvermittelt eingebauter Rap wirkt sich bremsend auf den geschmeidigen Ablauf aus, so wie ein Hakenschlag eines Beutetiers. ""Lost" ist ein Lied über das Verlieren und Wiederfinden im Leben, auch in der Liebe kann man sich verlieren. An jemanden, den man so sehr liebt und bewundert, dass man so sein möchte wie er. Und dann verändert man sich immer mehr - unmerklich - bis man fast zu diesem Menschen geworden ist", kommentiert die Formation diesen Song.
"Morning, Pt. 1 (Interlude)" ist ein kurzes Zwischenspiel, das eine Spoken-Word-Passage in den Mittelpunkt eines HipHop-Jazz-Experiments stellt.
Der nächste Einschub "Buoy (Interlude)" bietet eine romantisch-märchenhafte Untermalung einer Erzählung an.
Die Soul-Ballade "Sinking Ship" leitet den Beginn einer recht ruhigen Sequenz des Albums ein, sie steht sinnbildlich für das Auge des Wirbelsturms. Der Song zeigt sich nämlich durchgehend friedlich und ausgewogen, auch wenn die Dynamik in Form eines Soges allmählich zunimmt.
"The Animal" baut diese Stimmung weiter aus, ist aber lebhafter im Sinne einer knisternden, heimlichen Erotik, die durch ein federndes Schlagzeug befeuert wird. Das Lied "...handelt von der ungezähmten und wilden Wahrheit - und ihrer Unbequemlichkeit", gibt Beady Belle als Hinweis mit.
"Quiet Sounds" hat die Schönheit gepachtet und kann mit andächtigen Tönen dienen, die klar, ehrlich und berührend die Seele durchdringen. Das hört sich dann wie eine heilige Messe für die Liebe an.
Das Intermezzo "Morning, Pt. 2 (Interlude)" klingt nach vorsichtigem Neubeginn und Aufbruch.
Der Electro-Pop "Independence" wagt anschließend den Spagat zwischen futuristisch-introvertiert und druckvoll-extrovertiert, beherbergt also sowohl meditativ-zurückhaltende wie auch impulsiv-schäumende Momente.
Der experimentelle Rap "Morning Part III (Interlude)" arbeitet mit einem schleppenden Beat und beinhaltet ein Barock-Pop-Flair, das für einen spannenden Kontrast sorgt. 
Mit "Last Dance" geht es fröhlich-ausgelassen auf den Tanzboden, wobei hier Dynamik- und Tempo-Rücknahmen für gewollte Stil-Brüche sorgen.

"Cocoon" gehört zu der Sorte von Songs, die einen von der ersten bis zur letzten Sekunde aufgrund ihrer mysteriösen Faszination regelrecht in einen Bann ziehen können. Stimmlich begibt sich die Norwegerin auf ein Abenteuer, das sie von einem leisen Hauchen über sinnliches Seufzen bis hin zu schwindelerregenden, jubilierenden Höhen führt, wobei sich ein Ende des Stimmumfangs noch lange nicht abzeichnet. Betörend, beachtlich und besonders!
Die vorletzte kurze Einlage mit Namen "Morning Part IV (Interlude)" könnte durchaus aus dem Fundus von Prince stammen, so verspielt und überdreht hört sich dieser Funk-Appetithappen an.
Schmachtend, mit Gospel-Chor-Inbrunst verziert, sorgt "Happiness" hinsichtlich der gesanglichen Höchstleistung für Erstaunen, bewegt sich aber kompositorisch und gestalterisch im R&B-Mittelfeld. 
"Wir alle kennen das verlockende Gefühl, mit etwas zu spielen, das ein bisschen illegal ist. Die Grenze zu überschreiten - nur ein kleines bisschen... nicht um sich zu verbrennen, sondern um die Hitze zu spüren", kommentiert Beate S. Lech die Inspiration, die zu "Playing With Fire" geführt hat. Der Song verströmt einen rasanten Schwung, der mit einem knackigen Rhythmus zusammengebracht wird, was den Track für die Charts prädestiniert. Etwas zu aufgesetzt und kalkulierbar ist das schon. Trotzdem oder grade deswegen kann sich dieses schmissig und sauber produzierte Stück als Ohrwurm erweisen.
"Flyte (Postlude)" beendet das Werk mit einem Spoken-Word-Beitrag in Norwegisch, der sich anhört, als wäre er unter Wasser aufgenommen worden. Ein eventuell metaphorischer Bezug zum Wasser taucht bei den neuen Songs unregelmäßig auf. So wie zum Beispiel bei "Sinking Ship". Der Kreis ist nun geschlossen.

Beady Belle bewegen sich bei "Nothing But The Truth" sicher und authentisch im R&B- und Soul-Umfeld, so dass sie auf einer Stufe mit India.Arie, Alicia Keys oder Erykah Badu agieren. Dass diese Töne in Norwegen entstanden sind, darauf würde wohl kaum jemand sofort tippen. Die Verschiebungen der Koordinaten im Klang-Kosmos von Beady Belle sind aber gelungen und machen jetzt schon neugierig auf die nächsten Schritte und Wendungen von Beate S. Lech, eine Künstlerin, für die Selbstreflexion keine Bürde, sondern eine gewollte Herausforderung ist und die Wahrhaftigkeit im Zentrum ihres Handelns steht.

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