Dekker - I Won`t Be Your Foe

Freundlichkeit als Mittel, um der verwirrenden Realität ein Bein zu stellen.

Seit "In Parallel" von 2018 ruhen die Veröffentlichungsaktivitäten des Duos Rue Royale, bestehend aus Ruth und Brookln Dekker. Der letzte Facebook-Eintrag ist vom 16. Mai 2021 und beinhaltet ein Wohnzimmer-Konzert. Danach geht es mit Meldungen zur Solo-Karriere von Brookln Dekker weiter, der am 20. Mai 2022 mit "I Won`t Be Your Foe" sein zweites Werk unter eigenem Namen nach "Slow Reveal: Chapter One" vom 20. November 2020 veröffentlicht.
Credit: Emily & Katy

Die Dekker-Solo-Songs sind von minimalistischen Instrumentierungen, grazilen Arrangements, Demut in der Haltung und Klarheit bei den Abläufen geprägt. Für alle diese Tugenden ist "Small Wins" ein Musterbeispiel. Der Song beginnt folkloristisch-gelöst mit einer gezupften akustischen Gitarre, gefolgt von Duett-Gesang mit versetzten Stimmen und einem swingenden Schlagzeug. Alles schön transparent in Szene gesetzt und sauber, aber nicht steril produziert. Später kommen noch dezente glockenhelle Töne dazu, die sich nahtlos ins sensible Klanggefüge einordnen. Die Stimmung ist locker, aber nicht ausgelassen fröhlich, der Gesang wirkt nachdenklich, aber nicht depressiv.
Das etwas langsamere "Let's Pretend" wurde noch sparsamer ausgestattet: Die zart angeschlagene Gitarre bekommt nur Unterstützung von zartem, kaum wahrnehmbarem Klatschen, einem Minimal-Art-Akkorde spielenden Piano und leisen elektronischen Schwebetönen. Dekker setzt auch hier darauf, seinen Gesang mehrfach aufzunehmen, um die Stimme als vorherrschendes "Instrument" zu präsentieren.
Trotz elegant fließender Taktfolgen kann "Back And Forth" seine betrübte Innenansicht nicht verbergen. Traurig flötende Mellotron-Töne und eine am Falsett angelehnte Stimme, die der Verzweiflung nahe zu sein scheint, sprechen in dieser Zusammensetzung Bände, indem sie die gemischten Gefühle aufdecken.
Die Hymne "Gem Of The World" kann durch ihre schwirrend-rauschhaften Synthesizer-Wolken den Folk-Charakter des Stückes zurückdrängen und so als milder Psychedelic-Rock bestehen.
"Maybe October" lebt von seinem eingängigen Refrain, der dem Song einen hypnotischen Pop-Anstrich beschert. Es besteht Ohrwurmgefahr!
Der mühelos und süffig groovende Soul-Pop "I Only Hope To Feel Love" klingt so entspannt, als wäre er eine Gemeinschaftsproduktion von JJ Cale und Jack Johnson.
"Are We Left To Help Ourselves" ist ein Lied über Vertrauen und Optimismus, das seine sprühende Lebensfreude über einen sprunghaften Rhythmus ausdrückt, sich aber gesanglich nicht gänzlich aus der Reserve locken lässt.
Der von Nebel umhüllte Psychedelic-Folk "Supposed To Be A Friend" hat ordentlich Pop-Schwung getankt, so dass die Grenzen zum Power-Pop verwischt werden. Aufgrund dessen erhält die Sonne noch eine Chance, den Nebel vertreiben zu können.
Wenn die große Liebe davon geht, dann kann sich das so anfühlen, als würde einem der Boden unter den Füßen weggezogen werden. "Everything Goes" transportiert dieses Gefühl der plötzlichen Leere auf beeindruckend greifbar-nachvollziehbare Weise. Die Interaktion zwischen akustischer Gitarre und den Stimmen in Verbindung mit etwas raschelnder Percussion und synthetischem Vibraphon erzeugt Gänsehaut und ist erschütternd.
Im Gegensatz zu den bisherigen Liedern wurde "A Sparrow Perched Beside A Drain" nahezu orchestral und laut arrangiert. Ein knallig-kräftiges Schlagzeug ist vorne im Klangbild angeordnet und die akustische Gitarre bekommt Verstärkung durch einen prägnanten Bass und raumfüllende Keyboards. Das Konstrukt klingt wuchtig, aber beherrscht, rockig, aber diszipliniert.
Die Ballade "Do It All Again" wird von künstlich erzeugten, kurzen Gitarren-Echos flankiert, zeigt sich ansonsten naturbelassen-unschuldig, von akustischen Instrumenten begleitet, folk-rockend und auch romantisch verklärt.
Auf den ersten Blick offenbart sich "Would You Mind Sharing Your Light" verletzlich und leidvoll. Der aufmunternde Drums-Percussion-Rhythmus lässt aber deutliches Licht am Ende des Tunnels erkennen.

Der Hutträger Brookln Dekker, der sein Gesicht gerne durch riesige Kopfbedeckungen anonym hält, befindet sich musikalisch in guter Gesellschaft mit solchen Feingeistern wie Fink, Loney Dear, The Late Call, Songs Of Boda oder José González (Junip). Auf "I Won`t Be Your Foe" singt er, schrieb die Songs und spielt Gitarre und Keyboards. Ihm zur Seite stehen Stefan Wittich (Schlagzeug, Percussion, Produktion) sowie Zach Hanson (Bass und Toningenieur). 

Das Verstecken hinter einem Hut ist keine Marketing-Maskerade, sondern drückt die Unsicherheit des sensiblen Künstlers aus, der Musik auch als Möglichkeit nutzt, um mehr über sich selbst zu erfahren. Die Jahre 2020 und 2021 haben allerdings dazu geführt, dass er das Vertrauen in seine eigenen Fähigkeiten zu verlieren drohte. Aber schließlich besiegte er die Angst und fand wieder Halt, Trost und Sinn in seiner Arbeit. 

Der Titel "I Won`t Be Your Foe" bezieht sich darauf, dass sich Dekker fragte, "ob es heutzutage nicht interessanter ist, aus Trotz freundlich und tolerant zu sein, als sich an den vielen gegensätzlichen gesellschaftlichen Diskursen zu beteiligen... Dieses Album ist voll mit echter Liebe. Mir geht’s besser, weil ich diese Platte gemacht habe, und ich hoffe, dass sie euch genauso aufbaut wie mich". 

Es geht bei "I Won`t Be Your Foe" also auch darum, sich gegen zerstörerische Elemente zu stemmen und zu lernen, an sich selber zu glauben, nicht aufzugeben und die kleinen Erfolge zu feiern. Die Musik vermittelt jedenfalls genau diese Haltungen, indem sie intim, innig und intensiv auf möglichst leise-bescheidene, aber straffe, klar akzentuierte Art und Weise für eine wohlig warme Stimmung sorgt. Trotz eines traurigen Untertons vermittelt die Musik stets Geborgenheit und zuversichtliches Mitgefühl. Diese Klänge können zu einem Freund in unruhigen Zeiten werden, weil ihr Verfasser ein glaubwürdiger Chronist ist, der seine Lebenserfahrung gehaltvoll-aufbauend in Szene gesetzt hat.

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