Ntjam Rosie - Home Cooking

Ein Beispiel für Toleranz: "Home Cooking" demonstriert eine musikalische Annäherung der Kulturen des traditionellen Afrikas mit westlichen Musikströmungen.

"Home Cooking" hilft dabei, auf akustischem Weg ein Stück der Seele Afrikas zu erkunden. Dabei ist es beim Hören von Vorteil, aber nicht zwingend notwendig, wenn die Folklore Afrikas nicht gänzlich fremd ist oder zumindest "Graceland" von Paul Simon zu den Lieblingsplatten zählt. 

Ntjam Rosie wurde 1983 als Rosie Boei in Kamerun geboren und mit "Home Cooking" wendet sich die seit ihrem neunten Lebensjahr in den Niederlanden lebende Musikerin intensiver als sonst ihrem Ursprung zu. War "Breaking Cycles" aus 2018 noch ein suchendes Experiment zwischen Jazz, Soul und Afro-Beat und der Nachfolger "Family & Friends", der 2020 erschien, mit einem erhöhten Pop-Anteil ausgestattet, so reflektiert das fast nur von Ntjam Rosie im Alleingang zuhause eingespielte "Home Cooking" vermehrt den Sound ihres Geburtslandes.

Für "What Is Love?" werden sowohl karibische wie auch brasilianische Sounds verarbeitet. Daneben ist noch ein Soft-Disco-Klima vorhanden, das in den warm und sanft gleitenden Afro-Pop unauffällig integriert wurde. Rosies hohe, klare Stimme strahlt herzliche Freundlichkeit aus und jede Note wurde in ein entspannt-sonniges Lebensgefühl eingebettet.
  
"Nomad" ist ein Stück, dass sich stark an Trance-artiger 
afrikanischer Folklore orientiert. Die eingeflossenen melodischen Pop-Zutaten wurden so aufbereitet, dass sie sich nahtlos wie selbstverständlich in den fremdartigen Klangkosmos einfügen. 
Der Fehlstart ist bei "A nye’e fo’o ma (Home Cooking Version)" (ursprünglich vom Album "The One" aus 2015) dringeblieben. Das intime Stück, dass von einer perkussiv gespielten E-Gitarre, rhythmischem Händeklatschen und sehnsuchtsvollem Gesang geprägt ist, wagt den Spagat zwischen kühlem Jazz-Chanson und lebensfrohem Afro-Folk.

Unterlegt mit der Sprech- und Sing-Stimme der Großmutter gerät das knappe, 
gitarrenbegleitete "Cantique 154. A ne w’anye’e" zu einem Einblick in das Familienleben, zu dem auch gemeinsame Hausmusik gehört. So zart, so liebevoll, so schön: Das innig-warme "Bia Yon (Home Cooking Version)" (ursprünglich aus dem Album "Atouba" aus 2008) hat seine Wurzeln im Folk-Jazz. Das Herz schlägt jedoch für Afrika.

Der im Multi-Track-Verfahren aufgenommene Gesang von "Efas me nga só" verströmt ein trotziges Selbstbewusstsein. Das Stück entwickelt sich vom seltsam gestimmten Chanson zu einem störrischen Funk-Track, der sich ein eigenständiges Pop-Bewusstsein bewahrt hat. Danach folgt ein jazzig-verspielter Einschub mit dem Namen "Interlude: Eyolé Ntjam". Er wird von einem Monolog der Großmutter begleitet.

Die einsame elektrische Gitarre lässt bei "At The Back Of Beyond (Home Cooking Version)" (ursprünglich vom Album "
At The Back Of Beyond" aus 2013) viel Raum für Träumereien. Tempo und Stimmung ändern sich im Verlauf nur unwesentlich. Kurze, moderate Dynamikanpassungen bringen den Track weder aus der Ruhe, noch zum Stillstand. Er bleibt intim, persönlich und achtsam. 
Das Zwischenspiel "Interlude: Chant de la forêt #2" wird von Flötentönen, indigenen Chor-Gesängen sowie selbst entworfenen Dschungel-Geräuschen gespeist und wirkt in seiner Ausgelassenheit kindlich-albern.
 
Glocken- oder Xylophon-artige Töne verleihen "Nsissim Zambe (Home Cooking Version)" (ursprünglich aus dem Album "At The Back Of Beyond" aus 2013) eine zerbrechliche Färbung, während die stoisch monotone akustische Gitarre Gleichmut, Geduld und Einfachheit ausdrückt. Die Stimme zeigt hier unterschiedliche Facetten menschlicher Regung auf, nämlich lieblich-ausgeglichen und engagiert-fordernd.

Mit einem Monolog in familiärer Umgebung, der in den Ambient-Folk 
"Akiba Outro" eingebaut wurde, schließt das Werk seinen Einblick in die persönlichen Eindrücke, Erlebnisse, Erinnerungen und Erfahrungen hinsichtlich der Rückbesinnung der Musikerin ab.
Auch wenn Ntjam Rosie seit ihrer Kindheit in den Niederlanden lebt, so beeinflussen die Schwingungen ihres Geburtslandes mehr oder weniger intensiv schon immer ihre Kunst. Der Titel des achten Albums "Home Cooking" hat dabei eine Doppelbedeutung, weil die Musikerin die Lieder zuhause "zusammengekocht" hat und das hausgemachte Essen in ihrer Familie für eine besondere Bindung steht. Die Platte hat also einen sehr persönlichen Charakter bekommen, der nach Herzensangelegenheit, Wurzelsuche und Lebensbilanz klingt. 

Für die Zuhörerinnen und Zuhörer kann die Musik zu einem (mit 28 Minuten Laufzeit leider viel zu kurzer) Urlaub in bisher unbekannte Gefilde werden: Die Exotik der Musikformen Afrikas finden Zugang zu Pop, Soul und Jazz, so dass eine die Kontinente umspannende Weltmusik entsteht. Musikalisch hat sich der Fokus zwar etwas auf die spirituelle afrikanische Folklore als Schwerpunkt verlagert, Ntjam Rosie sucht aber trotzdem die Verbindung und Nähe zu ihrer aktuellen Lebensweise in den Niederlanden, so dass das Werk vielleicht auch als der Versuch einer Versöhnung der Kulturen wegen der kolonialistischen Vergangenheit Europas angesehen werden kann. 

Auf jeden Fall ist es aber eine spezielle Angelegenheit in Sachen Identitätssuche geworden, bei der auch ältere Kompositionen von Ntjam Rosie einen neuen Anstrich bekommen haben.

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