Porridge Radio - Waterslide, Diving Board, Ladder To The Sky

Drängend, verstört, energiegeladen, kompromisslos: Porridge Radio suchen die Konfrontation.

Dana Margolin trägt ihre Gefühlslage auf der Zunge. Die Lead-Sängerin und Komponistin des 2012 in Brighton gegründeten alternativen Rock-Quartetts Porridge Radio war den Wechselfällen des Lebens ausgeliefert, hat Enttäuschungen und Ängste erlebt und versucht diese tiefgreifenden Gefühle nun auch mit Hilfe ihrer Musik zu verarbeiten. Sie macht keinen Hehl daraus, dass sie verletzt und besorgt ist und deshalb finden sich in ihrer Stimmlage sowohl leidvolle wie auch wütende Schwingungen. Zusammen mit Sam Yardley (Schlagzeug), Georgie Stott (Keyboards) und Maddie Ryall (Bass) sucht sie nach einer Ausdrucksform, die ihre gemischten Gefühle ins rechte Licht rückt. "Waterslide, Diving Board, Ladder To The Sky", das dritte Album der Gruppe, ist darum auch nicht als homogenes Werk zu verstehen, sondern offenbart vier Musiker- und Musikerinnen, die noch auf der Suche nach ihrer Identität sind.
Credit: Matilda Hill Jenkins

Aus einem sich nähernden Bass-Grummeln, ergänzt durch stoisches E-Gitarren-Gefrickel und zerrendem Feedback-Kreischen schält sich langsam die Struktur von "Back To The Radio" heraus. Die anfänglich unbehagliche Geräuschkulisse wird dann mehr und mehr von heiteren, kindlich-simplen Keyboard- und scheppernden Schlagzeug-Tönen überlagert. Dana Margolin singt dazu so nervlich aufgelöst, vor Erregung bebend, verunsichert und mit einem Timbre zwischen Wut und Verzweiflung ausgestattet, dass einem angst und bange um ihren Gesundheitszustand werden kann. Kein Wunder, denn textlich geht es um eine Beziehung, die aus dem Ruder läuft. Das wird besonders in der Zeile "Und ich vermisse, was wir waren, aber du hast dich vor mir verschlossen" deutlich.
"Trying" macht auch nicht mehr Mut, denn der Zweifel zieht sich wie ein roter Faden durch die poetisch-drastischen Aussagen. Und wieder sind es die Gegensätze, wie ausgelassene Kirmes-Musik-Stimmung und ein authentisch dargestellter psychischer Schmerz im Gesang, die den Reiz der Musik ausmachen.
Und es geht noch drastischer: Angst vorm Tod und vor dem Sterben, Panikattacken und die Furcht vorm allein sein bilden die Themen des Gefühlslebens der handelnden Person bei "Birthday Party". Gekrönt vom Mantra "Ich möchte nicht geliebt werden", das bis zur Selbstaufgabe, bis zum Erbrechen, bis zum geht nicht mehr wiederholt wird. Doch kann man diese Aussage, diesen Gegenentwurf zu Marilyn Monroe`s "Ich möchte von dir geliebt werden" wirklich ernst nehmen oder ist er in Wirklichkeit nur ein Hilferuf, der den Wunsch nach aufrichtiger Liebe kaschiert? Die Band begleitet diesen akustischen Nervenzusammenbruch lange mit erstaunlicher Fassung, das Schlagzeug bleibt dabei im Herzschlag-Takt und eine Orgel zirpt dazu unaufgeregt. Aber schließlich brechen alle Dämme und die Rhythmus-Einheit peitscht entschlossen voran, die Orgel ist zu einem zähen Pfeifen übergegangen und das E-Gitarren-Feedback reißt zusätzlich an den Nerven. Das ist emotional harter Stoff!
Was bei "End Of Last Year" als gefühlvolle Ballade beginnt, bekommt plötzlich hyperventilierende Züge, kann schließlich jedoch wieder Ruhe finden. Die Verzweiflung konnte niedergerungen werden, obwohl der Vertrauensverlust hart ist, wie Dana berichtet: "Es geht darum, dass ich meiner Intuition nicht vertraue, dass ich meinem Körper nicht zutraue, sich selbst zu heilen, dass ich den Menschen, die mir am nächsten stehen, nicht vertraue, aber es ist auch eine Ode an all diese Menschen und an die schwierige platonische Liebe."
Selten wurde ein Selbstmordversuch aufgrund einer schweren Krankheit so poetisch verschlungen geschildert wie bei "Rotten". Die dazugehörigen Klänge wirken aber nicht beängstigend schwer, sondern eher befreiend leicht. Das zeugt von einer skrupellosen Entschlossenheit.
Eine alles verzehrende Liebe steht im Mittelpunkt von "U Can Be Happy If U Want To". Musikalisch ist es die Orgel, die mal majestätisch wie im Gottesdienst klingt und dann wieder einen Klangstrudel erzeugt, der alle anderen Eindrücke in den Abgrund zu reißen droht. Die Percussion klopft einen Takt, der manchmal an Beschwörungsriten erinnert. Dazu kommt passenderweise wieder diese alarmierende Stimme, die unaufhörlich "Zurück und zurück" wie ein Wahrheitsserum einflößt. Der Wahnsinn hat ein Gesicht bekommen...
Zeit, um zur Besinnung zu kommen: "Flowers" klingt relativ unaufgeregt, ist frei von emotionalen Ausbrüchen, könnte sogar als gefühlvolle Ballade bezeichnet werden. Natürlich ist sie weder süßlich noch romantisch. Und die Texte erscheinen destruktiv: Geht es um Schuld und Sühne? Vielleicht, aber der Grund der Bedrängnis bleibt verschwommen, was die Deutung spannend macht.
Eifersucht tut weh und sie holt unter Umständen schlechte Eigenschaften aus den Menschen heraus. Davon berichtet der Song "Jealousy", der Trauer, ein schlechtes Gewissen und Selbsterkenntnis in Noten fasst.
"I Hope She’s OK 2" bleibt inhaltlich an der Oberfläche einer gefühlvollen Annäherung: "Und hast du mir nicht etwas zu sagen? Und kannst du dir gar nichts vorstellen? Denn ich assoziiere dich mit guten Dingen," heißt es da. Dieses Wort-Geplänkel findet seinen Widerhall in der selbstbewussten, in verschiedenen Grautönen schimmernden Musik, die ohne große Ausschläge auskommt und sich hymnenhaft auf- und abwärts bewegt. Schlichtheit als Handlungsstrang. Warum nicht?
"Splintered" ist ein sakraler, mal ruhig, mal hektisch ablaufender Progressive-Blues, der aufgrund seiner Gelassenheit und dichten Atmosphäre einen seriös-durchdachten Eindruck hinterlässt. Inhaltlich ist er nicht genau zu deuten, aber auf jeden Fall leidet die Protagonistin wieder heftige psychische Qualen.
"The Rip" steigert sich von ausgeglichenen Melodic-Rock-Sequenzen über selbstverliebtem, druckvollem psychedelischem Progressive-Rock bis hin zu schäumend-krachendem Garagen-Rock mit überkochendem Gesang von Dana Margolin, der wütend über eine selbstverschuldete verkorkste Beziehung berichtet. "Ich wollte, dass es so klingt, als ob dein Herz so sehr bricht, dass dein ganzer Körper schmerzt. Ich wollte, dass es sich so anfühlt, als würde deine Seele aus deinem Körper fallen", sagt Dana Margolin über das Lied.
Das war bisher ein reinigendes Gefühlsgewitter, einer Urschrei-Therapie nicht unähnlich. Da darf es beim Titel-Stück "Waterslide, Diving Board, Ladder To The Sky" mit Akustik-Gitarre und Säusel-Keyboards schon mal gerne etwas gemächlicher zugehen. Auch Dana hält ihre Stimme im Zaum und so entsteht ein friedlicher Folk-Song, der ein versöhnliches Ende setzt. Auch textlich: "Ich versuche, alles zusammenzuhalten" ist die Kernaussage, die Absicht und das Ziel. So wie im Song, so auch im Leben.

Das Album ist sprachlich und thematisch schwer zu verdauen. Aber oft ist geteiltes Leid ja halbes Leid und so können sich andere Menschen in den vorkommenden Ängsten und Psychosen wiederfinden und vielleicht Verständnis und Hilfestellung erlangen. Die Musik wird polarisieren. Nicht nur, weil sie offensichtlich in kein Schema passt, auch weil sie sich nicht festlegt. Punk-Schärfe, Art-Rock-Verschrobenheit und Dream-Pop-Schwärmereien sind eben nicht leichtverdaulich unter einen Hut zu bringen und vertragen sich selten gut miteinander. Aber dass zumindest eine Versöhnung versucht wird, ist das große Plus von "Waterslide, Diving Board, Ladder To The Sky". Ein Hoch auf die gemischten Gefühle!

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