Kaz Hawkins - My Life And I

Ein Leben, das heftige schmerzliche Phasen verkraften musste, erfuhr die heilende Kraft der Musik.
Der Name Kaz Hawkins ist bisher leider nur Insidern vorbehalten gewesen. Das ist sehr schade, denn das, was bei der Zusammenstellung "My Life And I" als Querschnitt einer 30 Jahre währenden Karriere an Musik zu hören ist, sollte einem großen Publikum bekannt gemacht werden. Kaz Hawkins wurde 1973 in Nordirland geboren und kam über eine Kassette von Etta James, die sie bei ihrer Großmutter hörte, zur Musik. Daraufhin legte sie sich für die eigene Karriere - die in den Bars von Belfast begann - ihren Künstlernamen zu, weil der Geburtsname von Etta James Jamesetta Hawkins lautet. 

Ihrem Idol zollt Kaz mit den Songs "At Last
"Ich konnte die Traurigkeit hören und identifizierte mich mit ihr. Ich wollte singen wie sie, aber ohne sie zu imitieren", erklärt Hawkins ihre Herangehensweise an die Transformation der mächtigen Vorlagen. Beide Cover-Versionen sind von gehörigem Respekt geprägt, so dass die Erhaltung der Würde der Originale wohl wichtiger war, als gänzlich neue Interpretationsmöglichkeiten zu erfinden.

"Pray" entführt zu Beginn von "My Life And I" förmlich in die von glühender Gottesfürchtigkeit erfüllte Atmosphäre einer Kirche im Süden der USA. Die hingebungsvoll flehende oder inbrünstig röhrende oder kraftvoll donnernde Stimme von Kaz Hawkins erfüllt die Luft und versetzt die Gläubigen in Verzückung.
Die Cover-Version von "Feelin' Good", im Original von Nina Simone, geht andere Wege als die Urfassung und führt deshalb zu einer kreativen Auseinandersetzung mit dem Ursprung. Setzt Nina Simone auf eine offensive optimistische Ausstrahlung des Songs, so gibt sich Kaz Hawkins zunächst verhalten, lässt die E-Gitarre den Blues verkünden und singt dazu besonnen und mit Selbstvertrauen, aber nicht wirklich vom Glück umflutet. Sie wird von einer rauschenden Orgel begleitet und die E-Gitarre weint dazu bittere Tränen, die allmählich zu Freudentränen werden. Dann reißt die sich gegen alle Widerstände wehrende Stimme den Himmel auf und die Sonne kommt durch. Die Gitarre übernimmt daraufhin das Zepter und lässt sich auf ein progressives Blues-Rock-Experiment ein.
Vielleicht ist es zufällig passiert oder es wurde absichtlich so vorgesehen: Der Refrain von "Hallelujah Happy People" erinnert stellenweise an "Hallelujah" von Leonard Cohen. Ansonsten tummelt sich der Piano-begleitete Song im Umfeld von handfesten, leicht provokatorischen Chanson-, Cabaret- und Kurt Weill-Darbietungen.
Die Ballade "One More Fight (Lipstick & Cocaine)" könnte aus dem Country-Folk-Repertoire von Carole King stammen, hätte sich also durchaus auch auf "Tapestry" gut angehört. Kaz benutzt das Piano quasi als zweite Stimme und erlangt so eine berührende Zweisamkeit. Erst zum Schluss wird deutlich, dass es sich um eine Live-Aufnahme handelt, die aus dem Park Avenue Hotel in Belfast (Nordirland) stammt. Offenbar war das Publikum so in die Vorstellung vertieft, dass zwischendurch keinerlei Geräuschkulisse abgesondert wurde.
Für "Believe With Me" wird Marshall Tucker Band-Southern-Rock mit Doobie Brothers-Westcoast-Rock-Groove vermählt und auf diese Weise entsteht ein schwungvolles Stück, das sowohl als Classic-Rock-Radio-Futter taugt, wie auch bei eintönigen Autofahrten wach hält und gut unterhält.
Als groovender Boogie wurde "Drink With The Devil" konzipiert. Der Gesang klingt hier oft so, als solle er absichtlich wie eine historische Aufnahme wirken. Der Track orientiert sich ansonsten - absichtlich oder nicht - am "Resurrection Shuffle" von Ashton, Gardner & Dyke aus 1971.
Den Song "Full Force Gale" hat Van Morrison geschrieben und 1979 auf "Into The Music" als flotten Irish-Folk-Rock mit Gospel-Einschlag rausgebracht. Kaz Hawkins macht daraus eine charmante Blues-betonte Jazz-Ballade, die unter anderem durch ein kurzes, prickelndes Gitarren-Solo und den beherzt-vehementen Gesang ihre Spannung und Energie erhält.
Der Jazz-Einfluss von "Don't Make Mama Cry" ist verhalten, ebenso dezent wird das Eröffnungs-Riff von Iggy Pops "The Passenger" eingebaut. Im Kern ist das Lied jedoch ein dynamischer Rhythm & Blues, der auch Janis Joplin gut zu Gesichte gestanden hätte. Natürlich macht Kaz Hawkins gesanglich wieder eine gute Figur, hält alle Fäden zusammen, dirigiert das Tempo und umgarnt die Musiker sinnlich und aufbrausend.
Den Löwen-Anteil dieser Zusammenstellung bilden Piano-Balladen wie "Because You Love Me", 
"The River That Sings",
"Surviving", 
"Don't You Know", 
"Don't Slip Away" 
und "Better Days". 
Sie setzen sich sowohl verträumt-romantisch wie auch lebendig-energisch in Szene und stellen die ausdrucksstarke Stimme von Kaz Hawkins - die ab und zu an Inga Rumpf (Frumpy, Atlantis) denken lässt - in den Mittelpunkt. Ganz bescheiden, klar und andächtig zeigen die Lieder auf, dass die Musikerin durch intime Intensität überzeugen kann.

Zum Abschluss wird mit "Shake" nochmal leidenschaftlich dem Gospel-Soul gehuldigt, was zu einem schwindelerregend schnellen Mittelteil führt.

Kaz Hawkins weiß, was Schmerz bedeutet, hat also den Blues gelebt. Als Kind bekam sie den brutalen Nordirlandkonflikt hautnah mit und ihr späteres Leben war von psychischen und physischen Qualen begleitet: „Ich war drogenabhängig, ich wollte sterben, ich war depressiv, ich wurde von meinem Ex-Partner fast zu Tode geprügelt. Ein Polizist rettete mich. Ein Arzt half mir bei der Heilung. Als ich sterbend auf dem Boden lag, kam das Gesicht meiner Mutter aus dem Grab zu mir und sagte: „Du schaffst das, es ist nur ein weiterer Kampf“. Dann kämpfte ich härter als je zuvor, um zu LEBEN, denn Musik war meine Bestimmung.“
Die Musik von Kaz Hawkins ist von Glaubwürdigkeit und Aufrichtigkeit gekennzeichnet. Gleichzeitig besitzt sie ein untrügliches Gespür für den passenden instrumentellen Rahmen für die sorgsam ausgewählten Song-Ideen. Ihre stimmliche Gewalt wirkt nie aufgesetzt oder übertrieben eingesetzt. Nicht nur der Interpret, sondern auch der Song löst schließlich einen Reiz bei den Zuhörern aus. Es ist noch nicht zu spät, Kaz Hawkins für sich zu entdecken. Es lohnt sich!

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Waiting For Louise - Rain Meditation

Jahresbestenliste 2023

Lesestoff: Pop steht Kopf