Blackberries - Vorwärts Rückwärts

"Vorwärts Rückwärts" verarbeitet Retro- und individuelle Sounds zu einem anschaulichen und experimentellen Musik-Erlebnis.

Die Entwicklung der Pop-Musik vollzieht sich in Wellenbewegungen. Neue Trends tauchen auf, ebben ab, vermengen sich mit Retro-Stilen oder Retro-Stile werden wieder modern.

Der programmatische Titel "Vorwärts Rückwärts" spiegelt genau eine solche Situation in der Musik von den Blackberries wider: Fragmenten aus Progressive-, Kraut- und Psychedelic-Rock wird jegliche Muffigkeit entzogen, sie werden aufpoliert und erscheinen nun im renovierten Gewand, eigene Ideen und überraschende Wendungen inklusive. Dabei kommt es überhaupt nicht darauf an, welche Künstler als Inspiration herangezogen werden können, sondern nur auf das originelle Ergebnis. Aber wer dennoch gegenwärtige Verweise benötigt: Fans von Porcupine Tree, Elbow, The War On Drugs oder Motorpsycho könnten auch an den Blackberries ihre Freude haben. Die Band selber nennt die üblichen Verdächtigen als Einfluss, wie die Beatles, Kinks, Hollies und die frühen Pink Floyd. Ergänzend können noch Jefferson Starship ("Blows Against The Empire"), The Zombies, Neu! und Can genannt werden.

Die Blackberries sind ein Quartett aus Solingen, das 2009 gegründet wurde und aktuell aus Julian Müller (Gesang, Gitarre), Janis Rosanka (Bass, Gesang), Joscha Justinski (Keyboards) und Thomas Haumann (Schlagzeug) besteht. 
Credit: Jens Vetter
An den Musikern sind die psychischen Belastungen, die sich aus der kriselnden Weltlage der letzten Jahre ergeben haben, auch nicht spurlos vorbei gegangen. Auf "Vorwärts Rückwärts" beschäftigen sie sich unter anderem mit Krieg, Klimawandel, Egoismus und Gier, wobei sie musikalisch zwar nicht mit Moll-Tönen sparen, aber den hoffnungsvollen Klängen dennoch stets eine Chance geben. Obwohl der Albumtitel etwas anderes erwarten lässt, singt die Band übrigens englisch, mit gelegentlichen deutschsprachigen Einschüben.

"Vorwärts Rückwärts" ist das vierte Album der Psychedelic-Popper und beginnt mit dem schleppenden "Modern Musketeer", das sich mittig zwischen dem episch-rauschhaften "Requiem" von Bevis Frond und den lyrischen Momenten von "Riders On The Storm" der Doors einnistet.
"After The War" flirtet mit der Eleganz und Leichtigkeit des Soft-Rock, um den im Groove-Pop angesiedelten Song mit gelassener Geschmeidigkeit und melodischer Raffinesse empathisch fließen zu lassen.
Die sinfonische Ballade "Time To Move On" begibt sich auf das Terrain solcher Bands, die Melodik und Theatralik zu empfindsamen Mini-Dramen formen konnten, wie z.B. Procol Harum ("A Whiter Shade Of Pale", "A Salty Dog").

Bei "Rückwärts" drehen sich die Klänge hypnotisch-pulsierend und nehmen den Hörer in einer Spiralbewegung mit in eine seltsame, auf morbide Art betörende musikalische Welt, die es auf die Verwirrung der Sinne abgesehen hat. "Rückwärts" ist das einzige Lied mit durchgängig deutschen Texten. Eine interessante Variante, die ausgebaut werden sollte.
Der Blues-Rock "Double Walker" tarnt sich als Smooth-Soul und vereint so auf charmante Weise stilistische Gegensätze, die sich hier jedoch lüstern anziehen.
Wenn New Wave-Zickigkeit auf Soft-Art-Pop trifft, dann entsteht daraus "The Moor", das durch den flotten Rhythmus einen frechen Anschub bekommt.
Die Kriegs-Maschinerie folgt perfiden Gesetzmäßigkeiten. Der Song "War Machine" klingt zunächst monoton, folgt also gleichmäßigen Strukturen, wie sie zum Beispiel beim Ambient- oder Minimal-Art-Sound zu finden sind. Die Stimmung ist hier resignierend-trübe, weist dann aber im weiteren Verlauf auch Aggressionspotential auf. Nach etwa 5 Minuten ist plötzlich Schluss, der zu erwartende Kollaps bleibt allerdings aus.
"Ich geh vorwärts, immer weiter vorwärts" heißt es gegen Ende des Stücks "Vorwärts". Und genauso unnachgiebig nach vorne strebend und treibend ist auch das Tempo dieses druckvoll rumorenden Space- Rocks. Also würden die Apokalyptischen Reiter über die Erde fegen, kreischt die elektrische Gitarre einen Endzeit-Blues und das Schlagzeug hetzt hastig, manchmal sogar panisch voran.
Hell leuchtet die E-Gitarre bei "A Life In Colour", das Keyboard bringt weitere Sterne am Firmament zum Leuchten, während das Schlagzeug so tut, als sei es eine Rhythmus-Maschine. Der Bass grummelt und die Stimme von Julian Müller umwirbt betörend-beschwörend. Beschwingt berauschend und romantisch verträumt vernebelt der Song wohlig die Wahrnehmung. Ist das nun Progressive-Pop oder gar Psychedelic-Easy-Listening? 

Da sage noch jemand, Psychedelic-, Progressive- oder Krautrock sei nur etwas für rückwärtsgewandte Musikfreunde. Aber die Blackberries gehen fortschrittliche Wege, tragen die Retro-Stile vorwärts in die Zukunft. Von daher macht der Titel "Vorwärts Rückwärts" auch deshalb Sinn, denn das Quartett kopiert nicht etwa ihre Vorbilder, sondern schraubt eigene Eindrücke zu einer bunten Collage zusammen, die zeitlose Werte und aktuelle Interpretationen nahtlos miteinander verbinden. 

Die Songs scheinen aus endlosen Jams im Studio destilliert worden zu sein, denn die kontrollierte Improvisation bildet oft den Kern der Komposition. Der Melodie wurde dabei jedoch immer eine Hauptrolle eingeräumt. Es ist eben eine Frage der Balance, ob ein Lied eingängig oder kompliziert erscheint. Die Blackberries erweisen sich in diesem Punkt als Meister der Ausgewogenheit.

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