Liush - Landing Songs

Vom Aufbrechen und Ankommen: Liush betreibt für "Landing Songs" eine achtsame Auseinandersetzung mit den eigenen Emotionen. 

Es sind nicht die Raubeine, Großschnauzen oder smarte Prediger, die eine Gesellschaft voranbringen, sondern die Sensiblen, die Anständigen und die Dichter und Denker. Dazu gehört auch Liush. Er traut sich, seine privaten Gefühle öffentlich zu machen und seine Verletzlichkeit zu offenbaren. Bei Männern wird dies häufig als Schwäche gedeutet, es gehört aber ganz im Gegenteil jede Menge Mut dazu, weil man sich durch ehrlich ausgesprochene Empfindsamkeit auch angreifbar macht.

Liush ist der Künstlername von Liad Shulrufer, einem israelischen Musiker, der seit acht Jahren in Berlin lebt und seine Musik als "Dreamy Folk" bezeichnet. Zärtlich, sanft und ruhig sind in diesem Zusammenhang Adjektive, die auf die neun, von ihm entworfenen "Landing Songs" zutreffen.
Credit: Celeste call

"Das Album beginnt und endet mit demselben Stück, aber in zwei verschiedenen Versionen. Es ist eine emotionale Reise, die an dem Ort beginnt, an den man später zurückkehrt. Aber wir kommen eventuell mit einer anderen Einstellung wieder, wenn wir unterwegs etwas Neues dazugelernt haben", erklärt Liush seine Überlegungen zum Konzept der "Landing Songs". 

"Buried Picture" heißt das Stück, welches das Werk einrahmt. Es bildet somit eine Klammer zwischen dem Beginn und dem Ende der gedanklichen Auseinandersetzung mit der Veränderung im Leben. Den Anfang macht eine schüchterne, beinahe verängstigte, abgemagerte Akustik-Gitarren-Version. Hier kommt der Raum zur Geltung, in dem die Einspielung stattfand, weil im Hintergrund Neben-Geräusche auftauchen. 
Die veränderte Sichtweise nach vollendeter Reise wird zum Schluss durch vereinnahmende, hüpfende, primitive elektronische Video-Spiel-Rhythmen und monotone Schwebe-Klänge als gewollter Kontrast dargestellt. Somit entsteht eine veränderte Situation im Vergleich zum Beginn des Werks. Die anfängliche, sensible Ausdrucksweise findet nur noch im weihevoll-geistlichen Gesang ihr Abbild.
Verlustangst ist ein Gefühl, das frostig wie der Dezember ist und die Sinne lähmen kann. In dem Song "December" erklingt gehauchter Gesang, der sich schwertut, die Lautsprecher-Membranen zu durchdringen. Die intimen Töne streben dem Stillstand entgegen, beruhigen oder beunruhigen - je nach Gefühlslage des Zuhörenden. 
"Moonlight Mercy" geht nicht nur feinfühlig mit seinem Melodie-Reichtum um, sondern beherbergt auch eine weiche, feminine Note, die dem Track einen mehrdeutig-pikanten Charme verleiht. 
Mit "December" und "Moonlight Mercy" verarbeitet Liush den psychischen Schmerz, den das Krebsleiden seines Vaters bei ihm verursacht hat.

"haze" macht es sich behaglich im Wolkenkuckucksheim: Akustischer Dunst umgibt die Komposition, Bass-Töne bereiten das Nest vor, in dem es sich der behagliche Gesang gemütlich macht. ""haze" handelt davon, die Verwirrung des Alltags zu akzeptieren, wie auch die ständige Suche nach Liebe in uns selbst und bei anderen", lautet eine inhaltliche Erklärung von Liush zu dem Lied.
Wie ein vergessener Track von Simon & Garfunkel klingt "Postcardtospain". Harmonie und Schönklang lassen ihn in der Sonne dezent glitzern, wie Tau auf dem Gras.
Handelt es sich beim Instrumental-Titel "bOY" nun um sinnentleerte esoterische Wallungen oder künstlerisch wertvolle Ambient-Sounds? Die Grenze dazwischen ist fließend, sie verläuft unterschiedlich, je nach individueller Einschätzung.
Die Zeit scheint still zu stehen, wenn "Came Running" ertönt. Melancholie wirft einen Schatten, zeigt aber auch den Weg hinaus zum Licht - wenn sich die Seele ausgeruht und erholt hat.
Die Verführung lauert an jeder Ecke, aber selbst bei der Auseinandersetzung mit "SATAN" bleibt Liush mild gestimmt.

Grundsätzlich wird bei den Arrangements der "Landing Songs" instrumentelle Untertreibung gepflegt. Das wirkt wie ein Plädoyer gegen die vorherrschende allgemeine Reizüberflutung. Liush stellt eine auf akustischer Gitarre basierenden und kunstvoll-luftig ausgeschmückten Song-Kollektion mit gedankenschwerer Reflexions-Poesie zur Verfügung. 

Aus dieser Sammlung können für den Eigenbedarf Stücke als verbündete Begleiter beim Aufbrechen und Ankommen ausgewählt werden. Liad Shulrufer schreibt eigenbrötlerische Lieder, die wie Meditationen die innere Einkehr begünstigen können oder zumindest Besinnlichkeit herbeiführen. Das ist eine Wohltat gegen Stress, die rezeptfrei und ohne schädliche Nebenwirkungen zu erhalten ist.

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