A.S. Fanning - Mushroom Cloud

Hinein ins Jammertal und hinaus in eine bessere Zukunft: A.S. Fanning verarbeitet mit "Mushroom Cloud" seine Lebenskrisen.


Der Sänger, Musiker und Komponist A.S. Fanning ist Ire, lebt aber seit 2011 in Berlin.
"Mushroom Cloud" ist sein drittes "Exil"-Album, das er dieses Mal mit einer festen Band, bestehend aus Bernardo Sousa (E-Gitarre), Dave Adams (Tasten-Instrumente), Jeff Collier (Schlagzeug, Percussion), Felix Buchner (Bass) und Produzent Robbie Moore (Hintergrundgesang, Percussion, Synthesizer) in nur fünf Studio-Tagen aufgenommen hat. Nachträglich wurden dann noch ein Streichquartett bei zwei Songs, etwas Percussion und auf "Sober" eine Steel-Gitarre hinzugefügt.

Die Songs entstanden unter dem Einfluss von Isolation (Pandemie) sowie Traurigkeit (Tod des Vaters) und Unsicherheit (Trennung nach einer 13jährigen Beziehung). Ganz abgesehen von den belastenden, Angst einflößenden Nachrichten aufgrund der unsicheren Weltlage (Klimawandel, Artensterben, zunehmende faschistische Tendenzen, Krieg in Europa). Keine guten Voraussetzungen, um optimistisch in die Zukunft zu blicken! Deshalb wohl auch der erschütternde Titel "Mushroom Cloud", der für die Atompilz-Wolke nach einer nuklearen Explosion steht, was auch ein Synonym für die Apokalypse ist.

"Lass mich dieses sinnlose Leben mit dir teilen. Im Schatten der Pilzwolke", heißt es dann auch im Eröffnungs-Stück "Mushroom Cloud". Die Streicher bestätigen diese Hoffnungslosigkeit, die durchaus auch auf persönliche Katastrophen - wie in diesem Fall die Trennung - übertragen werden kann. Fannings Stimme lässt auf der anderen Seite weise Gelassenheit in diese Schicksals-Sinfonie einfließen: Sein milder Bariton kommentiert die aussichtslose Situation liebevoll und sanft. Der Song verweilt dennoch in einem melancholischen Milieu, welches durch schwelgende Schönheit Ehrfurcht auslöst.
"Conman" verfügt über einen hypnotisch-monotonen Beat-Box-Dschungel-Rhythmus, der das Lied auf moderne Weise in die Voodoo-Kultur einführt. Eine ganze Weile läuft der Track stoisch groovend ab, bis die Keyboards die auf suggestive Formen aufgebaute Welt durch splitternd-kreischende, zerschossene Sequenzen unsicher werden lässt. Die Musiker emulgieren unterdessen kontrastreiche Emotionen detailverliebt zu einem charmanten, dunklen Chanson mit Endzeit-Visionen ("An dem Tag, an dem der Betrüger kommt, wird er jeden vergiften"). Dumme, arrogante und brutale Herrscher können diese Schrecken schnell Realität werden lassen.
Sind wir von Geistern umgeben? Für "Haunted" wird das Thema Spuk-Haus in den Text eingewoben, um dem Unerklärlichen ein Gesicht zu verleihen ("Die Wirkung ist ein Teil der Ursache"). Man stelle sich den Gesang von Jim Morrison auf "Waiting For The Sun" vor, als er sowohl wild entschlossen, wie auch wohlwollend seine Stimmbänder in den Dienst der kreativen Sache stellte. Sein damaliges Vorbild Frank Sinatra suchte nach vollendeter Reife und in diesem Hinblick verlieh Morrison dem Lied durch abgerundete Phrasierungen räumliche Tiefe. So in etwa klingt der Gesang auch bei "Haunted": Das Abenteuer, anspruchsvolles Liedgut elegant zu arrangieren, hat hier zu einer veredelten Oberfläche geführt, die den morbiden Strukturen zu mehr Akzeptanz verhilft.
Die herzzerreißende, schmerzvolle Tränen weinende Steel-Gitarre bei "Sober" ist drauf und dran, A.S. Fanning die Show zu stehlen, da dieser eine zurückhaltend-bescheidene Rolle einnimmt. Auf diese Weise bekommt auch das melodisch anschmiegsame Piano noch eine führende Rolle zugewiesen. Das aufmerksam einige Lücken füllende Schlagzeug wacht unterdessen über die Lebendigkeit dieser geschmackvoll auskomponierten Country-Folk-Ballade. Die Qualen einer Trennung werden darüber hinaus poetisch aufbereitet: "Es ist unerträglich, darüber nachzudenken... Losgelöst, in den Wind geschleudert... Versuchen, den Schmerz und die Angst hinter sich zu lassen".
"I Feel Bad" verfügt im Prinzip über zwei Lebensgefühle: Ein niedergeschlagen-demoralisiertes und ein kämpferisch-zupackendes. Das Lied schlägt also irgendwann von Melancholie in Wut um. Zunächst werden allerlei Konstellationen beklagt, die schlechte Laune bereiten ("Ich fühle mich schlecht, wenn meine Gedanken kreisen, ich fühle mich schlecht, wenn das nicht so ist"), dann erfolgt die Erklärung dafür ("Ich fühle mich wie der Läufer in der Tretmühle oder der Hamster im Labyrinth"). Mithilfe einer primitiven Timmy-Thomas-Gedächtnis-Rhythmus-Box ("Why Can`t We Live Together") bekommt das melancholische Stück zunächst einen entkrampften Ruhepuls verpasst, der später im hitzigeren Abschnitt vom ungestümen Schlagzeug abgelöst wird.
"Du wurdest geboren, um ein Glied in der Kette zu sein", heißt es in "Colony Collapse", einem selbstsicher auftretenden Stück mit desillusionierten, pessimistischen Aussagen. Als Gegenentwurf dazu werden nuancenreiche, dynamisch schwankende Spannungsbögen aufgebaut, bei denen sich die Instrumente gegenseitig Freiräume schaffen, um abwechselnd delikate und auch erhellende Einfälle zum Songaufbau beitragen zu können.
Düstere Einstellungen und Ahnungen begleiten auch "Disease" ("Es fühlt sich an wie Krankheit. Jedes Mal, wenn ich den Raum betrete. Weiß ich, dass das Ende bald kommt"). Dennoch erhält der hypnotisch-intime Song durch seine wandelbare Gesangs-Begleitung genügend Schwung, um dem Trübsinn ein Schnäppchen zu schlagen.
Zweifel begleiten "Pink Morning/Magic Light" ("Was ist, wenn du merkst, dass du nur aus Angst liebst? Angst vor Freundlichkeit, Angst vor dem Ruin, Angst, dass alles verschwinden könnte"). Das Lied ist trotzdem liebevoll gestimmt, zeigt durch vielversprechende Neuorientierungen und einige Dur-Sequenzen einen Weg heraus aus den Sackgassen und tritt dadurch in gewisser Weise auch therapeutisch auf. Daran können auch die tieftraurigen Streicher-Arrangements nichts ändern.

A.S. Fanning ist es gelungen, seinen Frust und seine Ängste in kreative Energie umzuwandeln. Bei "Mushroom Cloud" handelt es sich trotz der problembehafteten Themen nicht um eine depressive Verzweiflungstat, sondern vielmehr um "konstruktive Melancholie" (Titel einer Pearls Before Swine/Tom Rapp-Zusammenstellung aus 1999), die unerfreuliche Phasen in zukunftsweisende Chancen umwandeln möchte - dazu muss man aber erst einmal durch das Jammertal hindurch.

"Ich selbst habe nicht wirklich nach einem Silberstreif am Horizont gesucht. Ich denke, das Beste, was ich tun kann, ist, "Mushroom Cloud" als ein Dokument eines Tiefpunkts zu sehen. Eine Art verbrannte Erde, die hoffentlich zu einem Neuanfang führt", kommentiert Fanning die Szenarien, die seinem neuen Werk zugrunde liegen. Es lassen sich als Referenz zu seinen bitter-süßen Tönen einige gleichgesinnte Künstler finden, deshalb ist die dunkel-harmonische Platte auch eine Empfehlung für Fans von Nick Cave, Bill Callahan, Mark Lanegan, Matt Berninger (The National), Lambchop oder Tindersticks.

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