Stephen Stills - Live At Berkeley 1971

Mit "Live At Berkeley 1971" von Stephen Stills erscheint jetzt ein intensives, energisches Konzert-Erlebnis eines Ausnahmekünstlers.

Im Sommer 1971 begann Stephen Stills seine erste Tournee als Solo-Künstler, um seine am 30. Juni des Jahres veröffentlichte Platte "Stephen Stills 2" zu bewerben. "Live At Berkeley 1971" enthält 14 Tracks, die im Verlauf dieser Konzertreihe am 20. und 21. August 1971 im 3.500 Personen fassenden Berkeley Community Theater aufgezeichnet wurden. Die Shows bestanden aus einem akustischen Solo- und Duo-Teil und dem Auftritt einer großen Besetzung, bei der bis zu 13 Musiker auf der Bühne standen, inklusive der fünfköpfigen Memphis Horns.

Stills war zu dieser Zeit auf dem Zenit seiner Schaffenskraft und stand kurz davor, seine großartige Formation Manassas zu gründen. Von diesem Projekt begleiten ihn hier schon die Musiker Dallas Taylor (Schlagzeug), Calvin "Fuzzy" Samuels (Bass), Joe Lala (Percussion) und Paul Harris (Orgel). Außerdem waren noch Steve Fromholz (Gitarre, Gesang), Stoney George (Alt-Saxophon, Flöte) und als Gast auf zwei Liedern David Crosby (Gesang, Gitarre) in Berkeley dabei.

Zusammen mit David Crosby (ex-The Byrds), Graham Nash (ex-The Hollies) und Neil Young war Stills zum Folk-Rock-Superstar aufgestiegen. Mit Neil Young, mit dem ihn eine intensive Hass-Liebe verbindet, spielte er ab 1966 bei Buffalo Springfield, die ebenso wie Crosby, Stills, Nash & Young mit hochkarätigen Künstlern besetzt war und eine innovative Rolle bei der Entwicklung des Folk- und Country-Rock spielte.

Stephen Stills wurde am 3. Januar 1945 in Dallas, Texas geboren. Um professionell Musik machen zu können, brach er das College ab, zog nach New York und tummelte sich dort in der pulsierenden Folk-Szene, wo er mit Richie Furay ein weiteres späteres Buffalo Springfield-Mitglied kennen lernte. Das Schicksal brachte ihn dann auf einer Tournee in Kanada mit Neil Young zusammen. Sie verloren sich zwar wieder aus den Augen, trafen jedoch 1966 in Los Angeles zufällig wieder aufeinander und von da an nahm die gemeinsame Karriere ihren turbulenten Verlauf.

1971 stand Stephen Stills erstmals seit seinem kommerziellen Karriere-Durchbruch unter eigenem Namen auf der Bühne, konnte aus einem reichhaltigen Repertoire schöpfen und seine virtuose Musikalität in voller Bandbreite demonstrieren. Seine Künste auf der Gitarre wurden auch von einigen Kollegen sehr geschätzt. So sagte der Gitarren-Virtuose Michael Hedges sinngemäß: "Wer Eric Clapton für einen Gitarrengott hält, der sollte sich mal anhören, wie Stephen Stills akustische Gitarre spielt."

Diese außergewöhnlichen Fähigkeiten beweist er gleich beim Opener "Love The One Your're With", dem Live-Favoriten und Hit seines Debüt-Albums, vortrefflich. Joe Lala vermittelt mit seinem flankierenden, agilen Conga-Feuerwerk schweißtreibendes Latino-Fieber und Stephen zieht alle Register, wenn es darum geht, den kochenden Rhythmus und den zündenden Refrain mit der eingängigen Melodie in Einklang zu bringen. Diese Live-Variante ist zwar nicht so üppig arrangiert wie die tropische R&B-Folk-Rock-Studio-Version, taugt aber auch so prima als dynamische Eröffnungs-Nummer. 
Gleich darauf wird das Tempo für "Do For The Others" drastisch gezügelt. In Zusammenarbeit mit Steve Fromholz (akustische Gitarre und Duett-Gesang) entsteht eine zauberhafte, leichtfüßige Folk-Ballade mit betörenden, sorgfältig abgestimmten Schattierungen.
"Jesus Gave Love Away For Free" wurde erst 1972 auf dem "Manassas" Album veröffentlicht und erfährt hier im Duo Fromholz/Stills eine traditionelle Country-Balladen-Ausrichtung.
Für zwei Songs erschien David Crosby im Konzertsaal: Den Pop-Folk "You Don't Have To Cry" (von "Crosby, Stills & Nash") begleitete er gesanglich relativ nah am Original
und bei seinem ergreifenden "The Lee Shore" übernahm er sogar den Lead-Gesang.
Im weiteren Verlauf sind die impulsiv-temperamentvollen Songs "Word Game"
und "Black Queen" weitere eindrucksvolle Demonstrationen der erstklassigen Fingerfertigkeit von Stephen Stills an der akustischen Gitarre.
Bei "Sugar Babe" 
und dem Medley "49 Bye-Byes / For What It's Worth" handelt es sich um Solo-Piano-Darbietungen, die balladesk oder kraftvoll-intensiv dargeboten werden.
Für "Know You've Got To Run" von "Stephen Stills 2" holt Stephen sein Banjo raus und erzeugt damit eine karge Appalachen-Folk-Stimmung.
Mit "Bluebird Revisited" beginnt die Band-Phase, die besonders von den scharfen und smarten Bläsersätzen der Memphis Horns geprägt werden.
Bei "Lean On Me Baby" handelt es sich um einen saftigen Rhythm & Blues des Memphis Horns-Trompeter Wayne Jackson, bei dem sich Stills gesanglich mächtig ins Zeug legt.
Es folgen noch "Cherokee" 
und der "Ecology Song", die sich im attraktiv verwinkelten Jazz-Rock-Umfeld von Blood, Sweat & Tears tummeln.

"Live At Berkeley 1971" ist ein immer noch lebendig wirkendes Zeitdokument, das die Leidenschaft, mit der Stephen Stills damals Musik machte, authentisch überträgt. Leider ist das Verhältnis zwischen Solo- oder Duo- und Band-Auftritten bei dieser Auswahl zu Ungunsten der Ensemble-Leistungen ausgefallen. Deshalb hört man die feurigen, kreativ-ausschweifenden Exkursionen, zu denen Stills auf der elektrischen Gitarre in der Lage ist, leider viel zu selten.

Anfang der 1970er Jahre war der Sound von Crosby, Stills, Nash & Young (sowohl als Gruppe, wie auch von den einzelnen Mitgliedern) revolutionär, im wahrsten Sinne fortschrittlich, engagiert und überraschend. Ihr Folk-Rock fusionierte Blues-, Soul-, Jazz-, Latin- und Country-Bestandteile und kam so zu erstaunlich hinreißenden Ergebnissen. Als Fan fieberte man jedem neuen Werk entgegen und lauschte gebannt den erbaulich-frischen Tönen, die auch heute noch attraktiv (nach)wirken. Der heutige 78jährige Stephen Stills war dabei eine der Säulen dieser originellen Bewegung. 
Credit: Ellie Stills

"Live At Berkeley 1971" holt die prägenden Erinnerungen zurück ins Gedächtnis, überzeugt klangtechnisch sowie musikalisch und ist deswegen eine sinnvolle und erfreuliche Bergung aus den Archiven.

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