Im Gegensatz zu vielen Volkswirtschaften oder Regierungen gab es in der Pop-Musik im Jahr 2024 keine großen Krisen, jedenfalls was die Ausbeute von Kreativität und Originalität angeht. Jahresbestenlisten jeglicher Art sind demnach nicht in der Lage, alle nennenswerten Veröffentlichungen in einer Top-50-Auflistung abzubilden und können nur einen Bruchteil der Perlen des Jahres erfassen und nicht allen Werken die Wertschätzung zukommen lassen, die sie verdient hätten.
Lost & Found: Musik ohne Grenzen legt Wert auf die Aussagekraft von Alben und innerhalb der Alben auf die Qualität der einzelnen Song-Ideen. Dementsprechend richtet sich die Bewertung grundsätzlich nach dem Eindruck des Gesamtkunstwerkes inklusive der Texte und der Gestaltung. Manche Platten hinterlassen allerdings ganz besondere Eindrücke, die im Anschluss als Jahresrückblick nochmal in Erinnerung gerufen werden sollen.
Weitaus ausführlicher als dieser Rückblick ist jedes Jahr die stets kompetent analysierte Jahresabrechnung von Günter Ramsauer, die immer das Bedürfnis nach weiteren Entdeckungen hervorruft:
"Lost & Found: Musik ohne Grenzen" zieht nun nach dem oben skizzierten Motto subjektiv und chronologisch Bilanz und gibt Anregungen, sich mit der einen oder anderen Veröffentlichung näher auseinanderzusetzen:
(Veröffentlicht am 15. März 2024)
Thomas Dybdahls Musik lässt wohlig erschauern, weil die orchestrale Instrumentierung in Verbindung mit dem demütig-sensiblen Gesang die Ohnmacht des Individuums im Kosmos hör- und erlebbar macht. Aber diese Kombination erweckt auch Gedanken an die Schönheit und Einzigartigkeit des Daseins. Die Musik lädt zum bedingungslosen, vergnüglich-gesunden Berauschen ein. Bitte mehr davon!
(Veröffentlicht am 22. März 2024)
Die verbrüderten Freunde Joscha Brettschneider (Gitarre, Gesang) und Philipp Eissler (Gesang, Gitarre) erfreuen uns seit 2017 mit Klängen, die lockere Gelassenheit, einen geschmeidigen Groove und innige Melancholie verbreiten. Dabei sind sie den Einflüssen ihrer Vorbilder, wie zum Beispiel J.J. Cale, längst entwachsen und haben einen speziellen Sound gefunden. Die Zukunft sieht rosig aus!
Oliver Hohlbrugger - Nothing's Changed, Everything Is New
(Veröffentlicht am 19. April 2024)
Norwegen ist ein Schlaraffenland. Zumindest, wenn man die Pop-, Jazz- und Avantgarde-Szene betrachtet. Und mittendrin findet man Oliver Hohlbrugger, der alles aufsaugt, was Leidenschaft ausdrückt, anspruchsvoll ist und die Sinne anregt.
(Veröffentlicht am 26. April 2024)
Annie Clark, die sich St. Vincent nennt, verschiebt die Vorstellungen davon, was im Allgemeinen von Pop-Songs erwartet wird. Es werden keine gängigen Trends oder bekannten Schemata verwendet, um Aufmerksamkeit oder Eingängigkeit zu erzeugen, sondern sie deckt von ultrazart bis brachial-böse
ein weites Spektrum an introvertierten und extrovertierten
Klängen ab, die eines gemeinsam haben: Sie hören sich alle verdammt gut an. Und sie setzen sich trotz ihrer ungewöhnlichen Klangfarben im Ohr fest.
(Veröffentlicht am 03. Mai 2024)
Es gibt sie noch, die deutschsprachige Pop-Musik mit Niveau. Sebastian Król macht es mit "Verbunden sein" vor, wie es geht, unsere Muttersprache nicht hart und abweisend klingen zu lassen. Im Gegenteil, er vermittelt durch seine Poesie und Musik sanfte Stärke, introvertierte Glaubwürdigkeit und originelle Besonnenheit.
(Veröffentlicht am 17. Mai 2024)
Müsste sich "Lost & Found: Musik ohne Grenzen"
nur für eine Platte aus 2024 entscheiden, die auf eine einsame Insel
mitgenommen werden dürfte, dann wäre diese wohl "Lives Outgrown".
Aufgrund ihrer künstlerischen Reife verspricht sie viele Stunden spannender Unterhaltung. Und mit "Oceans" weist sie zudem einen betörenden, heftig zu Herzen gehenden Song aus.
(Veröffentlicht am 31. Mai 2024)
"Die stets von Craig Whittle und Hannah Merrick für
jede Komposition gemeinsam eingebrachten Ideen - ob nun entliehen oder
selbst entworfen - führen zu einem Klangbild, das Raum für
Gedankenspiele und Assoziationen eröffnet. Dadurch macht es durchgängig
Spaß, King Hannah bei ihren kontrastreichen Ausflügen zu begleiten. Und
wir können genüsslich bei der Elektrisierung der Sinne auf Spurensuche
nach ihren Vorbildern und Einflussgrößen gehen. Schön, dass es immer
wieder solch stimulierende Musik gibt!"
(Veröffentlicht am 25. Oktober 2024)
Komplexe Rhythmen mit Spaß-Garantie, dieses Erleben liefern Fat Freddy`s Drop aus Neuseeland
zuverlässig seit 2001 ab. Auf "SLO MO" befindet sich mit "Avengers" zudem ein Lied, das einen schlagartig aus einer trüben Stimmung herausholen kann. Und sowas kann man immer gebrauchen.
(Veröffentlicht am 04. Oktober 2024)
Stephen
Malkmus, Matt Sweeney, Emmett Kelly & Jim White sind The Hard
Quartet. Haben sie sich als Solisten oder Mitglieder von anderen
Formationen schon hervorgetan, so zeigen sie sich in dieser
Konstellation größer als die Summe der Teile ihrer jeweils beigesteuerten
Team-Fähigkeiten. Die Prädikate All-Star-Band oder Supergroup
werden diesem Umstand gerecht.
Muss Kunst kopflastig und anstrengend sein? Nicht, wenn das Duo Olicía Hand anlegt. Dann gelingt ein Art-Pop-Album mit einem Song-Zyklus, der die Sinne mit Anmut betört und feinsinnige, klug konzipierte Spezialitäten bereithält.
(Veröffentlicht am 15. November 2024)
Mit Roosmarijn kürt "Lost & Found: Musik ohne Grenzen" die Newcomerin des Jahres 2024. Sie hat es verstanden, für "Wide Open Space" Vielseitigkeit, Tiefgründigkeit, Melodieverliebtheit und Sensibilität unter einen Hut zu bringen.
(Veröffentlicht am 22. November 2024)
Wenn jemand schon auf sehr hohem Niveau musiziert und derjenige sich dann noch einmal steigern kann, dann hat man es wohl mit einem außergewöhnlich talentierten Künstler zu tun. Josh Tillman ist mit "Mahashmashana" genau dieser Nachweis gelungen.
Trotz der Unterschiedlichkeit der ausgewählten 2024er-Alben gibt es einen roten Faden, der alle miteinander verbindet: Sie sind nicht zum schnellen Konsum geeignet, sie fordern eine Aufmerksamkeitsspanne, die das konzentrierte Durchhören und damit das bewusste Wahrnehmen und unter passenden Umständen ein entzückendes Genießen ermöglicht. Die hochwertigen, eindrucksvollen Klänge können zur inneren Einkehr beitragen oder als Gemeinschaftsgefühl mit anderen geteilt werden - irgendwann wird sich jedenfalls ihre Qualität durchsetzen. Wichtig sind dabei prägende emotionale Effekte, die Freude an einer sprudelnden Kreativität hervorrufen. Das gilt auch für stimulierende Melodien und für Refrains, die für positive Stimmungslagen sorgen.
War 2024 von verpassten Chancen im politischen und gesellschaftlichen Umfeld gekennzeichnet, so bleibt für 2025 die Hoffnung, dass sich konstruktive Veränderungen ergeben, die vernunftbasiert umgesetzt werden.
Die Hoffnung stirbt zuletzt, liebe Leserinnen und Leser: Bleiben Sie zuversichtlich und finden Sie die Musik, die Ihrer Seele guttut! "Lost & Found: Musik ohne Grenzen" wünscht ein 2025 voller wertvoller Erkenntnisse, die Sie gesund und glücklich erleben dürfen!
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