Jason Isbell And The 400 Unit - The Nashville Sound (2017)

Sanft und zupackend: Jason Isbell bewegt sich mit "The Nashville Sound" weiterhin souverän im Americana-Genre.
Ein gutes Lied ist wie ein Stimmungsaufheller, Mutmacher, Spaßauslöser oder Durch-den-Tag-Begleiter. Wenn es dann noch zum Nachdenken anregen kann, ist der Unterhaltungswert nahezu perfekt. Jason Isbell gelingt diese Kombination und er offenbart nebenbei noch seinen Reifungsprozess: In „Southeastern“ (2013) ging es hauptsächlich um die Verarbeitung von Drogenerfahrungen. „Something More Than Free“ (2015) zeigt die Besinnung auf den Wert von Familie und Freunden und aktuell ist die Bedeutung der Übernahme von Verantwortung für sich und sein Umfeld ein Schwerpunkt der Textinhalte.
Die Sonne geht über Nashville auf und Jason Isbell und seine Musiker-Kollegen begrüßen den Tag mit dem entspannten, biographisch anmutenden „Last Of My Kind“. Jason scheint seine Suchtprobleme endgültig im Griff zu haben. Jedenfalls deutet die Milde des Songs auf inneren Frieden hin. Die Band begleitet ihren formidablen Frontmann lässig, transparent, traditionsbewusst und harmonisch. Auf dem neuen Album macht der Hörer nicht nur mit dem feinfühligen Troubadour Bekanntschaft, sondern lernt auch das zweite Standbein des Musikers aus Alabama kennen. Für „Cumberland Gap“ werden Roots-Rock-Erfahrungen wachgerufen: Als ehemaliges Mitglied der Southern-Rock-Combo Drive-By Truckers hatte Jason schon Gelegenheit, sich von 2001 bis 2007 lautstark auszutoben. Der Härtegrad dieser Nummer liegt in etwa zwischen Bruce Springsteen und Ryan Adams.
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„Tupelo“ zeigt einmal mehr die eindrucksvollen Stärken des kompositorischen Talents von Jason Isbell auf: Das Lied wurde gefühlsecht, frei fließend und luftig arrangiert. Der junge Jackson Browne fällt dabei sofort als Referenz ein. Das politisch motivierte, Trump-kritische „White Man`s World“ entwickelt sich im Verlauf vom groovenden Folk-Rock zum giftigen, von Slide-Gitarren getriebenen Roots-Rocker. „If We Were Vampires“ ist ein bezauberndes, zu Tränen rührendes, poetisches, filigranes, akustisches Folk-Stück, das sich mit der Endlichkeit des Zusammenlebens befasst. Der Track wirft dabei die Frage auf, ob es nicht vielleicht sogar das Wissen um den Tod ist, das die treibende Kraft zum Leben und Lieben aktiviert.

„Anxiety“ beginnt als heftiger, röhrender Rocker, wird dann aber ausgebremst und verbringt fast den gesamten Rest der Laufzeit in gemäßigten Pop-Rock Strukturen. „Molotov“ geht musikalisch zurück zum Folk-Rock der Byrds, verarbeitet aber auch Einflüsse von Tom Petty oder Crowded House. „Chaos And Clothes“ klingt wie eine nebenbei im Übungsraum entstandene Komposition. Sie bekommt durch die Instinkt-Musiker Leben eingehaucht und reift während der Laufzeit zu einem tiefgründigen Pop-Song heran. „Hope The High Road“ atmet sowohl den Aufbruchs-Geist von Ryan Adams „New York, New York“ wie auch den Ehrgeiz von Bruce Springsteens „The Rising“ und „Something To Love“ klingt zum Ende versöhnlich, verbindend und warmherzig.
Wer Songs wie „If We Were Vampires“ oder „Tupelo“ verfassen und adäquat vertonen kann, gehört zweifelsfrei zur Elite der komponierenden Zunft. Wenn es um emotionale, vielschichtige Kompositionen geht, ist Jason sowieso einzigartig. Bei „The Nashville Sound“ wird The 400 Unit, bestehend aus Jasons Ehefrau Amanda Shires (Geige und Duettgesang), Drummer Chad Gamble, Keyboarder Derry de Borja, Bassist Jimbo Hart und dem zweiten Gitarristen Sadler Vaden, klangvoll in Szene gesetzt. Das führt zu einem robusten Sound und verstärkt den Eindruck der geistigen und musikalischen Verwandtschaft zu Ryan Adams noch.
„The Nashville Sound“, aufgenommen im altehrwürdigen RCA Studio A in Nashville, wurde auch vom aktuellen kulturellen und politischen Klima nach dem Präsidentenwechsel in den USA geprägt und zeigt mehrfach die kritische Haltung gegenüber den derzeitigen Lebensumständen. Außerdem reflektieren die Songs die Veränderung der Sichtweise auf das Leben, die eine Vaterschaft mit sich bringt. Musikalisch bleibt Jason Isbell jedenfalls eine der positivsten Überraschungen der letzten Jahre und kann mit dem neuen Werk seine herausragende Position im Americana-Genre festigen.

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