FLEET FOXES - CRACK UP (2017)

Platte des Jahres oder zumindest ein heißer Anwärter da drauf ist CRACK UP von den FLEET FOXES. Nach sechs Jahren Pause knüpft das Werk nahtlos an HELPLESSNESS BLUES aus 2011 an und bietet herrlich verschrobenen, phantasievollen Hippie-Folk an. 
Aus der Zeit gefallen: Die Fleet Foxes zelebrieren weiterhin komplexen, versponnenen Hippie-Folk, den es so seit den 1960er Jahren nicht mehr oft gegeben hat.
Lange mussten wir auf die neue Platte der Fleet Foxes warten. Bereits 2011 erschien „Helplessness Blues“ und das war nach „Fleet Foxes“ und der „Sun Giant EP“ aus 2008 ihre bislang letzte ausgedehnte Sammlung von elegischen Gothik-Folk-Songs. Danach brauchte Chefdenker Robin Pecknold eine Auszeit von dem Wirbel, der um seine Band gemacht wurde und der ihm die Ruhe raubte, um seiner Arbeit weiter mit Hingabe nachgehen zu können. Jetzt ist die Pause vorbei und „Crack-Up“ knüpft nahtlos da an, wo „Helplessness Blues“ aufhörte.
Crack-Up - Fleet Foxes: Amazon.de: Musik
Das seltsam betitelte Opener-Dreigestirn „I Am All That I Need / Arroyo Seco / Thumbprint Scar“ führt den Hörer sofort wieder in die verschrobenen, mystischen Folk-Traumsphären der Gruppe ein. Als wäre die Welt seit der Auflösung der Pearls Before Swine und der Incredible String Band stehen geblieben, um auf eine Reinkarnation von entrücktem, komplex verdrehtem oder sensiblem Hippie-Folk zu warten. „Cassius,-“ spielt mit der berauschenden Wirkung von sich wiederholenden Tonschleifen, die hier durch den unkonventionellen Einsatz von elektronischen und akustischen Instrumenten erreicht wird.
Die sanften Harmonien von Simon And Garfunkel spiegeln sich im Antlitz von „Naiads, Cassadies“ wider und verfeinern diese betörende Easy Listening-Variante. Minimal-Art Piano-Akkorde geben den Takt für „Kept Woman“ vor. Allerlei filigrane instrumentale Verzierungen lassen zusätzlich den halluzinogenen Sound des psychedelischen Westcoast-Folk der späten 1960er Jahre Revue passieren. Harmonie-Pop trifft bei „Third Of May / Odaigahara“ auf hymnischen Folk-Rock und vernebelte Sound-Landschaften. „If You Need To, Keep Time On Me“ wurde wie ein leises Mantra gestrickt: Beruhigend, gleichförmig und friedlich. Der wegweisende Psychedelic-Folk-Jazz von Tim Buckley klingt dann als Echo einer längst vergangenen Epoche in „Mearcstapa“ an.
Das Piano simuliert Wellengang, der Gesang ertönt dazu fast sakral: „On Another Ocean (January / June)“ klingt wie eine feierliche Messe mit Bekehrungsanspruch. Gesanglich erinnert bei „Fool`s Errand“ einiges an die frühen Yes. Der betont stoisch und einfach strukturierte Takt erzeugt die Erwartung an einen Rock & Roll-Abstecher, den es aber nicht gibt. Wenn die Verletzlichkeit von Nick Drake auf die Tristesse der Tindersticks trifft, dann kann dabei sowas wie „I Should See Memphis“ herauskommen. Harmonie-Gesänge wie sie von Crosby Stills & Nash bekannt sind, vielschichtige, teils gegenläufige Tonspuren wie bei „A Day In The Life“ der Beatles und avantgardistische, eindimensionale Bläser-Sätze machen aus „Crack-Up“ ein gediegenes Art-Folk-Stück.
Die epischen Songgebilde der Fleet Foxes folgen keinen gängigen Ansätzen. Das fängt bei der ungewöhnlichen, verschlüsselten Namensgebung an und zieht sich bis zum Aufbau der Tracks durch: Laute und leise, schnelle und langsame sowie üppige und sparsame Passagen wechseln sich oft sogar innerhalb eines Liedes ab. Deshalb verbietet sich oberflächliches Hören von selbst, es passiert einfach zu viel. Beim nebenbei konsumieren würden nämlich wichtige Wendungen und Feinheiten verpasst werden. Das verwendete Konzept ist zwar anspruchsvoll, bietet dem interessierten Musikfreund aber eine abenteuerliche Entdeckungsreise mit unverhofften Abstechern und erstaunlichen Zwischentönen an.
Die Fleet Foxes festigen ihre Ausnahmestellung mit „Crack-Up“ weiter. Größere Entwicklungsschübe sind allerdings gegenüber den bisherigen Werken nicht auszumachen. Die Neuerungen liegen eher in Verschiebungen hinsichtlich des Instrumenteneinsatzes und der Art der Erzeugung von hypnotischen und rauschhaften Zuständen. Also ist eigentlich fast alles beim Alten geblieben, was auch für die hohe Qualität der Kompositionen gilt. Wer bisher schon Fan war, den Westcoast-Hippie-Folk der 1960er/1970er Jahre liebt oder generell neuere progressive Folk-Musik-Strömungen in Anlehnung an Midlake oder Espers mag, der wird von den Fleet Foxes wieder bestens bedient.
Den Hörer erwartet herbstlich-sakraler, multikulturell anmutender, herausfordernder, malerischer Kunst-Folk, der auch im Sommer funktioniert. Die erzeugten Schwingungen spenden Trost, bauen auf, regen an, umschmeicheln oder verwirren. Diese Wirkungen entfalten sich unabhängig von der jeweiligen Stimmung, in der sich der Hörer grade befindet, so suggestiv sind die Klänge. „Crack-Up“ ist ein Wunderwerk an Harmonie, ein schillernd-leuchtendes, betörend-vielfältiges Kaleidoskop mit bewusstseinserweiternder Magie. Eine legale Droge für einen verführerischen Trip in akustische Ausnahmesituationen. Meisterlich!

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