Sean O`Hagan - Radum Calls, Radum Calls (2019)

Unverdrossene Verehrung: Sean O`Hagan plündert mit "Radum Calls, Radum Calls" weiterhin die Gedankenwelt von großen Pop-Innovatoren.

Sean O`Hagan ist ein irischer Sound-Ingenieur, Feingeist und Pop-Experimentator, der in den 1980er Jahren mit der Formation Microdisney charmant-herausfordernden Pop in der Qualität von Prefab Sprout entwickelte. Unter eigenem Namen zelebrierte er in der Tradition von Fleetwood MacEagles und Steely Dan die Schönheit und Anmut von sehnsuchtsvollen Melodien. Als The High Llamas wandelte der detailverliebte Musiker danach auf den psychedelisch-barocken Spuren der „Pet Sounds“- und „Smile“-Erfinder Brian Wilson und Van Dyke Parks, brachte seine Liebe zu Bossa Nova und Ennio Morricone ein und probierte sich nebenher als fortschrittlicher Aktivist der elektronischen Musik aus.
„Radum Calls, Radum Calls“ ist nun nach „High Llamas“ (1990) und der Zusammenarbeit mit Tim Gane (Stereolab) für den Soundtrack von „La Vie d`Artiste“ (2007) erst die dritte Veröffentlichung ohne Band-Deckmantel. Hier hat O`Hagan erneut die Möglichkeit genutzt, sein bizarres Popverständnis auszuleben und seine Verbundenheit mit allen Querdenkern auszudrücken, die Harmonie als Vehikel für die Umsetzung von originellen, absurden, wertigen und extravaganten Ideen verwenden. Und so ist man auch bei der aktuellen Platte nicht vor klanglichen Überraschungen sicher: Gleich der Opener „Candy Clock“ wartet damit auf, dass Cathal Coughlan, Seans Partner bei Microdisney und Chef der Fatima Mansions, auf dem Album für saubere, elegante gesangliche Unterstützung sorgt. Der Song empfängt den Hörer mit verfremdetem Gesang und grotesken Rhythmen, die an The Residents - das sind die Avantgardisten mit den Augapfel-Masken - erinnern. Der Track wechselt zügig in eine Art von historischem Broadway-Musical–Modus, der mit elektronischen Tönen und Streicher-Wellen weich unterfüttert wird.
Die Palette der eingesetzten Mittel deckt beim instrumentalen „Better Lull Bear“ schwindeligen, leiernden, verdrehten Electro-Pop und stocknüchterne, akademische Klassik-Einlagen ab. „I Am Here“ lässt dagegen den naiven, sonnenverwöhnten und unbekümmerten 60s-Soft-Pop auferstehen. Beim aus Vorkriegs-Dekaden zu stammen scheinenden „The Paykan (Laili`s Song)“ wird eine friedvolle Atmosphäre erzeugt. Sie kommt so federleicht daher, dass der Song sogar in einem Disney-Musical Platz finden könnte, 
während die milden, entspannten Beach Boys der „Surfs Up“-Phase von 1971 das rhythmisch aufreizende und melodisch blumige „McCardle Brown“ beeinflusst haben dürften.
Seriös, mit Tendenz zur festlichen Ausschmückung, geht es bei „Clearing House“ 
und „Radum Calls“ zu, die über weite Strecken als Minimal-Art-Stücke aufgebaut sind. „On A Lonely Day (Ding, Dong)“ versteht sich als arglos-infantiler Track, dessen unreife Erscheinung mehr und mehr durch komplexe Melodie- und Taktführung aufgelöst wird. 
„Spoken Gem“, 
dessen instrumentaler Anhang „Sancto Electrical“ und „Take My Steps (Nora Bramms)“ 
erinnern in ihrem verschachtelten, experimentellen Aufbau erneut an die Konstruktionen, die Van Dyke Parks auf seinem ersten Solo-Album „Song Cycle“ (1968) geschaffen hat: Wagemutig werden hier zeitgenössische Sounds mit Klassik-Versatzstücken gepaart, um diese zu abenteuerlichen, gediegenen Songs zusammen zu fassen. Zum Schluss greift O`Hagan mit „Calling, Sending“ noch in die musikpädagogische Schublade von Carl Orff („Carmina Burana“) und lässt Marimba- und Xylophone sowie Trommeln neben Keyboards spielerisch erschallen.
Sean O`Hagan, der 1993 mit „Checking In, Checking Out“ den besten Steely Dan-Song geschrieben hat, der nicht von Steely Dan stammt, veranstaltet auf dem neuen Werk erneut eine Schau von nachahmenden, zusammen montierten Klängen aus romantischer Klassik, ambitioniertem Pop und elektronischen Füll-Elementen. Er benutzt dazu nicht selten Vorlagen, die eindeutig zuordenbar sind und damit schon Plagiatsvorwurf provozieren können. Aber selbst die Beach Boys, deren „Pet Sounds“- und „Smile“-Ideen er schon seit langem modelliert werden, haben den irischen Musiker bislang nicht verklagt. Das dürfte Grund genug sein, seine Schöpfungen als das zu beurteilen, was sie eigentlich sind: Schöngeistige Verbeugungen vor den ewigen Helden. Und da O`Hagan dies auch wieder sehr geschmackvoll und einfallsreich umsetzt, sollte die Musik einfach als gelungene Hommage und kreative Umgestaltung genossen werden.
Erstveröffentlichung dieser Rezension: Sean O`Hagan - Radum Calls, Radum Calls

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