Long Tall Jefferson - Cloud Folk (VÖ: 20.11.2020)

 
Long Tall Jefferson heißt eigentlich Simon Borer und stammt aus der Nähe von Luzern in der Schweiz. Im Internet beschreibt sich der gelernte Jazz-Musiker gerne als "unruhiger Songwriter und Geschichtenerzähler". "Cloud Folk" ist sein dritter Longplayer, der den traditionell geprägten Folk, den er bisher pflegte, in eine Ebene transportieren soll, bei der sich Zukunft und Gegenwart begegnen. 

"Wild Imagination" enthüllt den Spagat, den der Musiker stilistisch vornimmt. Er  präsentiert sich als einsamer Cowboy, der in der Prärie nicht ohne Laptop auskommt. Will sagen: Sein Herz hängt am Country-Folk, aber sein Verstand sagt ihm, dass er ohne technische Errungenschaften verloren ist. Und deshalb mischt er Tradition mit Moderne und lässt akustische Instrumente neben Auto-Tune-Effekten erklingen. Vor ein paar Jahren gab es schon mal eine Mini-Bewegung in diese Richtung, die sich Folk-Tronic nannte. Jedenfalls ist "Wild Imagination" sehr gelungen, weil der Song nicht an der Oberfläche kratzt, sondern emotional blank zieht und tief blicken lässt. Und zwar so tief, dass er sich nicht scheut, nahe am Kitsch zu agieren, ohne dabei sein Niveau zu verlieren. Das erinnert in seiner schonungslos offenen Darstellung stark an Daniel Romano ("If I`ve Only One Time Askin`").

"Young Love" treibt den Kitsch weiter auf die Spitze und wirbelt Soft-Rock, Fake-Reggae und Teenage-Pop bunt durcheinander. So fühlt es sich an, wenn man 16 ist und die Hormone verrückt spielen. Das Lied klingt nach Sorglosigkeit und Lebensfreude. Alberne Electro-Pop-Spielereien, aufmunternde Disco-Sound-Rhythmen und beruhigende Passagen bestimmen dann das Gesicht von "(I´m In Love With An) Astronaut". Die kurze Ballade "Better Man" verströmt im Gegensatz dazu altmodische Lagerfeuer-Romantik. Flankierend wird dezent ein elektronisches Instrumentarium eingesetzt, das die intim-traurige Stimmung sonderbar, aber stimmungsvoll unterfüttert. 
Auch "Everything Is Wrong" bewegt sich ständig in ruhigem Fahrwasser, wird jedoch durch einen monoton klopfenden Rhythmus in Schwung gehalten. Der sich anschließende "Christmas Song" wirkt ausgeglichen und feierlich. Der folkloristische Rahmen sorgt dabei für einen geschmeidig-unverkrampften Ablauf. Gemütliche Rhythmus-Schleifen und eine milde Folk-Rock-Melodie machen dann aus "Angela" eine Pop-Ballade, die zwischen Dire Straits und Fine Young Cannibals angesiedelt ist. 

So weit, so gut. Leider fehlt es drei Songs an der Kompaktheit, Dringlichkeit oder infantilen Überdrehtheit, die die vorherigen Lieder auszeichneten: "Killjoy (Forever Away)" kommt hinsichtlich der Dynamik erst spät aus dem Quark, setzt eher auf gleichförmige Coolness, beißt sich dabei aber auf unspektakuläre Weise fest. "Follow You Around" plätschert als schnulziger Electro-Folk relativ ereignislos vor sich hin und "Dopamine Dream" verliert sich in einem kindgerechten, harmlosen Ablauf. 

Das schmälert zwar etwas den guten Gesamt-Eindruck, kann aber nicht darüber hinweg täuschen, dass Simon gute Songs schreiben kann, die - wenn sie mit einer gewissen naiven Frechheit oder mit überschwänglicher Begeisterung ausgestattet sind - einen hohen Unterhaltungswert besitzen.

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