BRTHR - High Times For Loners (VÖ: 06.11.2020)

 

Das viel zitierte schwierige dritte Album, das häufig Stillstand oder Neuausrichtung einer Karriere anzeigt, heißt bei BRTHR "High Times For Loners" und wurde im März 2020 kurz vor dem ersten Corona-Lockdown fertiggestellt. Es waren also vorwiegend künstlerische Überlegungen in das Konzept des Werkes eingeflossen, auch wenn sich der Titel wie eine böse Vorahnung anhört. 

Der Opener "Speak Loud (When You Speak Love)" verschmilzt charmant Bob Marley mit J.J. Cale und zeichnet das Duo Philipp Eißler (Gitarre, Gesang) und Joscha Brettschneider (Gitarre) wieder einmal als Meister der leichten, verführerischen Töne aus. Sie können aufgrund ihrer smarten Art und Weise mit solch einem launigen Song nahezu jeden sofort um den Finger wickeln. Und das funktioniert auch noch nach diversen Hördurchgängen.
Das unterschwellig karibisch angehauchte "Strawberry Love" kommt wesentlich ruhiger daher. Der Song deckt die nachdenklichen Stimmungen kurz nach Sonnenuntergang ab, wenn dem Tag gedanklich nachgehangen wird.
Der munter pulsierende Folk-Rock "High Times For Loners" bekommt psychedelische und funkige Anstriche und lässt so die Töne in vielen Farben funkeln. "Lonely Night" lebt dagegen von einer starken, schwebend-verzahnten Melodieführung, sich verführerisch-monoton wiederholenden Gitarrenlinien und einer ausgeglichenen Atmosphäre. Diese wird noch durch den sensiblen Gesang begünstigt und ergänzt. Die Ballade "House Of Love" verliert durch ein wie zufällig agierendes, Glanzpunkte setzendes Piano kurzzeitig seine Tristesse, weil der Melancholie dadurch eine mildere Ausrichtung verliehen wird. 

"No Other Thing" lässt sich treiben. Ist es ein Rausch oder ein Fiebertraum, in dem sich die Musiker grade befinden? Trotz der schläfrigen Grundstimmung verlieren die Akteure ihr Ziel nicht aus den Augen, sondern steuern präzise ihren Heimathafen an. Disziplin + Eingebung = Kreativität. "If That`s What You Want Me To" ergötzt sich am psychedelischen Folk-Jazz und punktet mit verschlungenen Tempo- und Lautstärke-Wechseln. Das erinnert an Tim Buckley, John Martyn, Fred Neil oder Ryley Walker. Gefällig und weich lockert "The Way It Is" im Gegensatz dazu die Stimmung unspektakulär und unkompliziert auf.
Ein zunehmend zwingender Groove macht aus "Right Before Our Eyes" einen aufbegehrend-spannenden West-Coast-Rocker mit schwarzer Seele. Beim lieblich-versponnenen "San Diego" spielt sich dann ein stiller Kampf zwischen mystischen und romantischen Elementen ab, bei dem es keinen Sieger gibt. 

Die Koordinaten von Carole Kings "It`s Too Late" und "Why Can't We Live Together" von Timmy Thomas kreuzen sich bei "What Took You So Long". Dieser Hybrid aus Soul, Rock und Fake-Bossa-Nova ist unerbittlich und gleichmäßig getaktet. Der Song weist deshalb ein stabiles Rhythmus-Geflecht auf, das wie ein Uhrwerk funktioniert und dem Lied ein allgemeingültiges Unterhaltungspotential verleiht. 

Die Schwaben Philipp Eissler (Gesang) und Joscha Brettschneider (Gitarre), die den Kern von BRTHR (= Brother) bilden, wurden bei der Umsetzung vom Produzenten Max Braun am Bass und Johann Polzer am Schlagzeug unterstützt. "High Times For Loners" zeigt gegenüber  "A Different Kind Of Light" von 2018 eine künstlerische Weiterentwicklung im Rahmen des bisher abgesteckten musikalischen Territoriums auf. 

Die neuen Lieder bieten unterm Strich mehr beschaulich-introvertierte als beschwingt-ausgelassene Momente. Existenzielle Themen bestimmen die Themen und legen sich oft merklich belastend auf die Klänge. Aber das gerät nicht zum Nachteil, denn am Ende siegt die Liebe. Das Album funktioniert grade deswegen als gut durchhörbares Gesamtwerk mit Tiefe, Ausdruck und Ideenreichtum. Auch mehrere Durchläufe konnten der Attraktivität der anspruchsvollen Songs nichts anhaben und somit ist das dritte Werk nicht zum Stolperstein, sondern zum kreativen Aufbruch in angepasste Ausdrucksformen geworden. Respekt für diesen Mut!

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