Anna.Luca - Small Friendly Giant (VÖ: 13.11.2020)

 
Die deutsch-schwedische Musikerin Anna Luca Mohrhenn wurde 1983 in Deutschland geboren, wuchs in Schweden auf und lebt jetzt wieder in Wuppertal. Diese Dualität der Lebensmitten hat mit der Trennung der Eltern zu tun. Ein Thema, das sie - wie auch andere prägende Meilensteine - in ihrer Musik verarbeitet. So geht es bei "Hallonsommar" (= Himbeersommer) um den Tod des schwedischen Großvaters, der der Musikerin den Boden unter den Füßen weg gerissen hat. Die Suche nach Antworten auf existenzielle Fragen und die Forschung nach der eigenen Identität war eine Folge davon. 

Das alles hatte Einfluss auf die musikalische Entwicklung, bei der Kunstlied, Jazz und Pop Eckpfeiler sind. Dabei fing alles mit einer klassischen Klavierausbildung an. Daraus entstand eine innige Liebe zu den Klavierkonzerten von Brahms. Als Heranwachsende flirtete sie dann sogar mit HipHop, was für eine offene Herangehensweise an Musik spricht. Heute arbeitet die vielseitig begabte Künstlerin neben Kompositionen für Fernseh- und Kinofilme auch an eigenen Songs, von denen jetzt eine Sammlung als "Small Friendly Giant" unter dem Künstlernamen Anna.Luca erscheinen. Bei der Realisierung halfen ihr Roman Babik am Klavier, der Bassist Sebastian Räther und Yonga Sun am Schlagzeug mit einfühlsamen Verzierungen.
 
Auf diesem dritten Werk verarbeitet Anna.Luca Kindheitserinnerungen und lässt sich von ihrer Sehnsucht nach dem ungezähmten Meer inspirieren. Sie sagt, die Faszination für den Ozean liegt darin, dass der Horizont eine stoische Gleichgültigkeit ausstrahlt, egal wie aufgewühlt das Wasser ist. Die Entstehung von "Hallonsommar" war nicht nur vom Tod des Großvaters, sondern auch von der Geburt des ersten Kindes beeinflusst. Entsprechend taumelt das auf schwedisch vorgetragene Jazz-Chanson zwischen Nachdenklichkeit und Zuversicht. Anna Lucas Stimme besitzt die Gabe, auch unterschwellig Kraft und Hoffnung zu transportieren, so dass bei ihr selbst ernste Momente nicht in Dunkelheit versinken.
Der Gesang von "Hot Earth" lässt vermuten, dass die Künstlerin sowohl Tim Buckley wie auch John Martyn kennt. Sie moduliert ihre manchmal eingestreuten, kurzen wortlosen Vertonungen zumindest in einer ähnlicher Form wie die legendären Troubadoure. Aber diese Abschnitte sind relativ kurz. Überwiegend gibt es hier starken, klaren Jazz-Gesang zu hören, der sich selbstbewusst und überzeugend in Szene setzt. "Lost City" kombiniert stoische Minimal-Art-Elemente mit quicklebendigen Jazz-Grooves. Ruhende Pole sorgen dafür, dass der Song immer wieder neu aufgebaut werden kann, was der Dynamik zugute kommt. 
 
"The Giant" frönt dem Cabaret und dem dramatischen Musical. Das Lied besitzt den Eifer eines ernsten Schauspiels und die Sperrigkeit einer Kurt Weill-Komposition, wirkt also streng und bedeutungsschwer. Für "Take Your Armor Off" wird das Tempo erhöht, der Gesang verhält sich aber reserviert und bleibt abwartend. Den Mittelteil des Stückes nimmt eine Improvisation ein, die dafür sorgt, dass der Ablauf stockt. Es kommt danach zu einem Neustart, der den Track auf anderen Wegen als zu Beginn zum Ziel führt.  

Bei "Sea Of Sorrow" kommt die klassische Ausbildung von Anna Luca besonders auffällig zur Geltung. Der Song beginnt romantisch-ausgeglichen, zeigt aber auch aufgewühlt-hektische Seiten. Diese gemischten Gefühle halten den Track lebendig und verlangen den Musikern eine große Bandbreite an Ausdrucksmöglichkeiten ab. Holzhäuser verströmen eine besondere, behagliche Atmosphäre. "House Of Wood" steht aber eher für Abwechslung und Spritzigkeit. Die Komposition weist durchaus zeitweise eine Nähe zum Jazz-Rock aus. Aggressivität, intellektuelles Handeln und kontrastreiche Überleitungen stehen im Mittelpunkt des Stückes.

Wenn Klassik und Jazz in Liedform aufeinander treffen, kann es peinlich kitschig und künstlich werden. Häufig degeneriert solche Musik zu biederer, lustloser Bildungsbürgertum-Unterhaltung. Das mündet dann quasi in pseudointellektuelle Rotweinmusik fürs Feuilleton. Bei dem ähnlich zusammengesetzten "All Long Gone" kommt es allerdings nicht zu solchen Anwandlungen, weil die jeweiligen Strömungen nicht bierernst und akademisch eingesetzt werden. Vielmehr werden die Stärken der Stile herausgearbeitet und diese forsch miteinander verknüpft. 

"Follow The White Rabbit" klingt, als würde skandinavische Folklore in die Komposition eingebunden werden, denn die zur Schau gestellte Fröhlichkeit findet sich selten im Jazz und in der Klassik. Auch in diesem letzten Stück wird klar, dass es Anna.Luca nicht darauf ankommt, das herkömmliche, angesagte, ein großes Publikum ansprechende Konzept von Jazz,- Chanson- und Klassik-Liedern zu reproduzieren. Sie findet eine Nische, in der sie sich ausgezeichnet darstellen kann und ihre Talente optimal einsetzen kann. Genregrenzen ignoriert sie standhaft und erfindet deshalb einen Sound, dessen Bestandteile zwar bekannt sind, in dieser Zusammensetzung aber dennoch frisch und hörenswert klingen.

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