Black Country, New Road - For The First Time

 

Black Country, New Road ist ein Septett, das 2018 in Brixton, England gegründet wurde und durch wilde, raue und laute Live-Shows auffiel. 
Nach zwei Singles aus 2019 liegt ab dem 5. Februar 2021 das erste Album "For The First Time" mit 6 Tracks vor, das es auf eine Länge von etwa 40 Minuten bringt. Die einzelnen Stücke sind dabei zwischen fünf und zehn Minuten lang. Kein Radio-Format also, aber die Musik ist sowieso nicht für den oberflächlichen Konsum im Mainstream-Segment geeignet. Hier geht es kraftvoll-wild zur Sache, kunstvoll arrangierte Elemente kommen aber auch nicht zu kurz. Als grobe Orientierung lässt sich die Musik als Art-Punk einordnen. 

Mächtige Bässe und heftig-schnelle Trommelwirbel leiten das Album mit einem "Instrumental" ein. Eine stoisch piepsende Orgel und melodisch wiederkehrende E-Gitarren-Akkorde sowie fidele Klezmer-Sounds folgen. Dieses bunte Treiben, das Weltmusik, Minimal-Art und Jazz resolut und seltsam miteinander vermengt, schafft schon eine gewisse Vorstellung davon, wie sich die Gruppe auf der Bühne präsentiert, um ihr Publikum zu fordern und ihm ordentlich einzuheizen.

Kreiselnde, unrund erscheinende E-Gitarren werden bei "Athens, France" von einem harten Beat gestützt. Ein Wechselbad der Gefühle beginnt: Allmählich taumelt das Stück in schwebend-fragile Traumgefilde hinein. Die zunächst zornig-leidende Stimme geht in diesem Zusammenhang in einen erklärend-desillusionierten Sprech-Gesang über, bevor sich aggressive und kompromissbereite Töne immer wieder abwechseln. 

Die E-Gitarren werfen Splitterbomben, wie einst Jimi Hendrix beim Woodstock-Festival. Aber nur kurz. "Science Fair" gerät danach in eine abwartende Phase, in der sich Sänger Isaac Wood immer mehr in Rage redet. Die Gitarren wüten erneut und die Konstruktion scheint auseinander zu fallen. Das Saxophon steuert dazu freiesten Free-Jazz bei, bevor sich die Stimmung leicht beruhigt, aber stetig am Kochen gehalten wird. Aber es kommt doch noch zum Punk-beschleunigten Sound-Orgasmus: Alles klirrt, kracht, schreit und dröhnt. So in etwa muss sich die Apokalypse anhören. Was für ein heiliger Krach.

Als gäbe es nicht schon genug Chaos, verzerren die Gitarren auch für "Sunglasses" die Töne atonal. Aber das ist nur das Vorspiel für einen beinahe konventionell ablaufenden Art-Rock, der von seiner dynamischen Steigerung profitiert. Es kommt auch hier zum Showdown und Zusammenbruch des Systems. Aber die abgewrackte Song-Kreatur erholt sich wieder und macht sich angeschlagen und trotzig auf einen von Krisen geschüttelten Weg.

Bei "Track X" siegt eindeutig die Ordnung gegenüber der Zersetzung. Die Komposition setzt auf sich stetig wiederholende Akzente zur Intensivierung des Höreindrucks. Zusätzlich werden harmonische Zwischentöne eingebaut, wodurch der Song neben seiner intellektuellen Erscheinung noch eine volkstümliche Note erhält.

"Opus" bildet dann die Klammer über das bisher Gehörte und bezieht alle verwendeten Ideen ein: Klezmer-Folk, Free-Jazz, Art-Rock und Post-Punk begegnen sich hier nochmal ausgelassen und unkonventionell.


Was May Kershaw (Keyboards), Charlie Wayne (Schlagzeug), Luke Mark (Gitarre), Isaac Wood (Gesang und Gitarre), Tyler Hyde (Bass), Lewis Evans (Saxophon) und Georgia Ellery (Violine) hier fabrizieren, ist wahrlich nichts für schlichte Gemüter. Man muss musikalisch schon in Abgründe geschaut und das gemocht haben, um an dieser schräg wirkenden Musik Vergnügen zu haben. Das Ensemble hat die Platte innerhalb von sechs Tagen unter Live-Bedingungen aufgenommen, was der Vermittlung von unmittelbarer Leidenschaft gut getan hat. Die Formation wirft mit Dreck, provoziert, lässt der Energie freien Lauf und kreiert originelle Fantasie-Gebilde, dass es eine Freude in Form eines reinigenden Gewitters ist. Die Musik elektrisiert, macht Spaß, schockiert, rüttelt auf und ist auf angenehme Weise durchgedreht. Was will man mehr?

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Waiting For Louise - Rain Meditation

Jahresbestenliste 2023

Lesestoff: Pop steht Kopf