Love Machine - Düsseldorf-Tokyo

Love Machine erzählen auf ihrem vierten Album "Düsseldorf-Tokyo" laut eigenem Bekunden von ihrer Heimatstadt Düsseldorf als eine schmuddelige und irrsinnige Stadt. Es geht um Abgründe und üble Schicksale mit Geschichten über Sucht, Absturz, Ausnüchterung und Freundschaft. Das soll alles im örtlichen Spannungsfeld zwischen Mondänität und Trash am eigenen Leib erlebt worden sein, wie die Musiker Marcel Rösche (Gesang), Noel Lardon (Schlagzeug), Richard Eisenach (Bass), Jan Lammert (Keyboards) und Hendrik Siems sowie Felix Wursthorn (beide Gitarre) versichern.

Die Künstler hinterlassen optisch einen verwegenen Eindruck, so als wären sie in den 1960er Jahren Begleitmusiker von Frank Zappa gewesen. 
Aber man liegt nicht unbedingt richtig, wenn man vom Äußeren auf die Musik schließt. Diese Love Machine ist überwiegend zugänglich orientiert. Es gibt konventionelle Elemente, die an Achim Reichel erinnern, manche dadaistischen Anspielungen lassen dagegen an Kiev Stingl denken. Dieser wegweisende Musiker wirbelte ab Mitte der 1970er Jahre auch durch Anschub von Herrn Reichel die Deutschrock-Musikszene durch rotzig-kraftvolle Töne ganz schön durcheinander. Er ist heute aber leider etwas in Vergessenheit geraten. Beim Quintet Love Machine nimmt der dunkle Bariton von Marcel Rösche den Hörer oft als hervorstechendes Merkmal besänftigend und freundschaftlich mit auf poetisch-skurrile Gedankenspiele, bei denen die deutsche und englische Sprache gemischt und gleichberichtigt berücksichtigt wird. Das hat eine gewisse dekadent-hinterhältig-belustigend-charmant-naive Ausstrahlung, schert sich also nicht unbedingt um Konventionen. 

Die Verbindung zwischen Düsseldorf und Tokyo scheint eine lockere und harmonische zu sein, zumindest lässt der das Album eröffnende, gemächlich trottende Easy Listening-Shuffle "Düsseldorf-Tokyo" so etwas vermuten. "Golo Mann" schwenkt dann um und präsentiert die Musiker als sehnsüchtige Southern-Rocker mit Hang zum schwelgenden Country-Rock. Dieses Gebräu wird von einem zärtlich-gefühlvollen, sanft brummenden Gesang untermalt, dem man einfach verfallen muss.

Die Love Machine ist überwiegend mit intimer Leidenschaft unterwegs. Die nächsten fünf Balladen legen Zeugnis darüber ab: "Hauptbahnhof" ist von ernsthafter Sinnlosigkeit geprägt und wird dazu kurioserweise von ergreifenden Klängen umspült. Mit der Aussage: "Hauptbahnhof, hier wollte ich eigentlich gar nicht hin", beginnt diese putzige Moritat, aber erhellender wird die Geschichte danach auch nicht mehr. Ist das die hohe Kunst des Blödsinns, wie ihn auch Trio ("Da Da Da") praktizierten? 

"100 Jahre Frieden" als Kuschel-Rock zu bezeichnen, wäre eine Beleidigung. Aber zumindest begegnen sich hier auf übertrieben seriöse Weise Schlager-Trivialität und Rock-Gitarren. Das liebliche "Lieblingsbar" suggeriert auch Ernsthaftigkeit, kann aber auch als ironischer Humor verstanden werden. Eine eindimensionale Orgel sorgt beim traurig-introvertierten Folk-Jazz "Gunst der Dinge" für Behaglichkeit und "Swimmingpool der Welt" ist ein bewegend-ausschweifender Song, der durch eine dynamische Melodielinie besticht. Alle diese Lieder werden von wehmütigem Gesang getragen, wie ihn Freddy Quinn in seinen Seemannslieder verbreitet hat. Aber auch der Heilige Zorn von Unheilig deutet sich zwischendurch stimmlich an. 

Das betont als altmodischer, trockener Country getarnte "Gemeinsam einsam" schlurft gemütlich dahin und kann sowohl als Parodie wie auch als charmanter Retro-Beitrag gedeutet werden. Der nüchterne Gesang sagt jedenfalls nichts Eindeutiges über die wahre Absicht der Musiker aus. "That Mean Old Thing" dreht dann den harmlosen Spieß um und lässt bewährte Trieb-Mittel aus Boogie-, Glam- und Hard-Rock kraftvoll sprechen. Der Track spiegelt die Unnachgiebigkeit von Status Quo, den Glamour von T. Rex, die gespielte Coolness von Boss Hoss und den verruchten Dreck von Motörhead wider und bringt das Stück damit auf Trab. 

Bei "The Animal" spielen die Musiker mit einem halbwegs wilden Rock & Roll-Klischee und schrecken allerdings auch nicht vor süßlichen Passagen zurück. So sind sie nun mal: Unberechenbar und nicht zu greifen. Es ist auch nicht sofort einzuschätzen, ob nun Kitsch oder Kunst fabriziert wird. 

Love Machine scheinen aus einer Zwischenwelt zu kommen: Sie sind zu unkonventionell, um als  Schlager- oder Chanson-Verwalter durchzugehen, zu liebevoll, um als Rocker anerkannt zu werden und zu vielseitig, um der Roots-Music eindeutig zugerechnet werden zu können. Aber sie haben von allem etwas und die Mischung der Formen und Stile macht den großen Unterschied zum derzeit vorherrschenden Mainstream aus. Die verschwurbelt naiven Texten sind so sympathisch-absurd, dass sie nicht als am Reißbrett entstandene Gehirnblähungen gedeutet werden können, was häufig bei den grade angesagten deutschsprachigen Musikern vorzufinden ist. Die Gruppe fällt - wenn sie Pech hat - aufgrund ihrer kuriosen Eigenarten und selbstverständlich erscheinenden Umgangsformen durch alle Raster, weil sie eben nicht einer Schublade zuzuordnen ist. Das kann davon kommen, wenn man originell und nicht stromlinienförmig agiert, ist aber ein Qualitätsmerkmal.

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