The Entrepreneurs - Wrestler

 
In Zeiten wie diesen...so fangen derzeit viele Erfahrungsberichte und Ratschläge an. Ja, in Zeiten der Isolation braucht man auch mal ein Ventil, um aufgestauten Tatendrang rauszulassen, aus sich heraus zu gehen und den Kopf frei zu bekommen. Was hilft da besser und ist befreiender als krachende, dreckige Rock-Musik mit Haltung? Da kommt das dänische Trio The Entrepreneurs mit ihrem zweiten Album "Wrestler" grade richtig.

Wie die Band ihre Musik selber einordnet, beschreibt sie auf ihrer Facebook-Seite: "Wir spielen Noise-Rock. Manchmal machen wir es schnell und grandios, ein anderes Mal langsam und mit tiefgründiger Kontemplation, für Ihren Seelenzustand, weil wir einfach nicht anders können. Ästhetisch reiche und experimentelle Variationen über einige der wichtigsten Subgenres des Rock ist der Sound der dänischen The Entrepreneurs." Mathias Bertelsens Gesang will sich zunächst gar nicht in dieses Umfeld einfügen lassen, da er eine feminine Ausstrahlung besitzt, die zwischen sachlich und ärgerlich schwankt, selten aggressiv erscheint und von daher im Noise-Rock nicht oft anzutreffen ist.

Der Opener "A Good Year To Go Across The Country" klingt wie ein verschollener Velvet Underground-Track, der in einer hellerer Stimmlage dargeboten wird, wie sie ähnlich vom jungen Neil Young bekannt ist. Die E-Gitarre raspelt dazu zunächst monoton-verloren und einsilbig. Wenn dann das Rhythmus-Duo einsetzt, wandelt sich das Bild allmählich zu einer in Feedback getränkten Krach-Orgie, bei dem der nun auch mal rauschhaft in den Hintergrund tretende Gesang der einzige ruhende Pol bleibt.

"Sweet" lässt dann bei ähnlicher Ausrichtung mehr Geschwindigkeit zu und hat ordentlich Dampf auf dem Kessel. Es schwirrt und surrt stimulierend, dass es eine Freude ist. Dinosaur jr. um J Mascis lassen grüßen. 
"What's Up With Your Head?" erinnert durch die trocken-holprige Bass/Schlagzeug-Kombination an Sonic Youth. Hinzu kommen noch harte Garagenrock-Riffs, Power-Pop-Melodie-Schnipsel und eine experimentell geprägte Leerlaufphase, die auch gerne als Stilmittel von der New Yorker Avantgarde-Rock-Band um Kim Gordon und Thurston Moore genutzt wurden.

Das Titelstück "Wrestler" präsentiert sich als langsamer, düster-gespenstischer Psychedelic-Folk-Rock mit Alice Coltrane-Gedächtnis-Harfe. Die drogenschwangere Atmosphäre lässt an Quicksilver Messenger Service in der Dino Valenti-Phase von "Just For Love" von 1970 denken. Eine gelungene Zeitreise! Das sich anschließende "Cinnamon Girl" ist keine Cover-Version des Neil Young-Tracks, sondern wurde vom Sänger Mathias Bertelsen für seine Tochter geschrieben. Das Lied handelt von den einschneidenden Veränderungen, die das Leben als Vater mit sich bringt. Musikalisch schalten die Entrepreneurs einen Gang zurück und lassen den Gitarren-Krach nicht klangbestimmend sein, sondern nur wie ein zusätzliches Instrument als raumfüllendes Element mitschwingen. Ansonsten zeigen sich die Noise-Spezialisten hier eher als moderne Art-Rocker, die Melodie und Rhythmus gleichberechtigt austarieren.

"Mess" geht als Ballade durch, obwohl die Komposition wesentlich mehr laute, störende Geräusche und Sound-Eskapaden beinhaltet, als dies sonst bei langsamen Liedern üblich ist. Und genau das zeichnet das Stück aus. Die Musiker nutzen einen ähnlichen Effekt, wie ihn auch The Jesus And Mary Chain verwenden: Durch kreischende Feedback-Gitarren, die mit einer zuckersüßen Melodie gefüttert werden, gelingt die Quadratur des Kreises in Form einer Verschmelzung von Pop und Experiment. 

"What`s So Fucking Strange About My Idea" ist eine freche, überschwängliche Classic-Rock-Parodie mit Bass- und Gitarren-Soli, die von Frank Zappa entliehen sein könnten. Bei "Gonzo" tobt sich die Band dann noch mal richtig aus: Allerlei Effekte, versetzte Takte und eine im Hintergrund mit Echo bearbeitete Stimme sorgen für Verwirrung und lassen das Stück bizarr und unnahbar erscheinen.

Die Dänen geben eine Leistungsschau davon ab, was so alles zwischen Punk, Grunge, Post-Rock und psychedelischen Garagenrock möglich ist und lassen dabei viele Erinnerungen an bekannte Vorbilder aufflackern. Die von ihnen ausgedrückte musikalische Zerrissenheit passt natürlich als Lebensgefühl in den derzeitigen Zeitgeist, aber mit unter 30 Minuten Laufzeit ist das Werk dann doch zu kurz geraten, um als vollwertiges Album durchzugehen. Die Platte enthält ein paar gute Ansätze, es fehlen jedoch noch weitere prägende Songs für einen rundum bemerkenswerten Höreindruck. In Zeiten wie diesen benötigen wir pralle, starke, vor Energie und Mut überschäumende, phantasievolle Musik, an der wir uns festhalten können.

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