Karl die Große - Was wenn keiner lacht

 
"Was wenn keiner lacht" oder wie definiert man Deutsch-Pop?

Das kann unangenehm und peinlich werden, wenn man zu einem vermeintlich großartigen Scherz ausholt und die erwünschte Wirkung bleibt aus: "Was wenn keiner lacht", fragt sich auch die sechsköpfige Leipziger Band Karl die Große, obwohl ihr Programm gar kein Gag-Feuerwerk ist oder sein will. Vielmehr werden bewegende Alltags- oder Beziehungs-Beobachtungen sowie gesellschaftspolitische Anmerkungen poetisch und zielgerichtet vermittelt. Die Künstler bewegen sich ganz im Hier und Jetzt des deutschsprachigen Pop, ohne sklavisch die gewohnten Muster anzuwenden oder die üblichen Erwartungen zu bedienen. 

Sie haben ein Konzept entwickelt, bei dem sie Genre-fremde Instrumente und Spielarten in ihre Musik einbauen, um zu überraschenden Höreindrücken zu gelangen. Die Sprechgesang-Einlagen geben den Kompositionen darüber hinaus einen literarischen oder sozialkritischen Anstrich, der jenseits der verbreiteten Rap-Formeln funktioniert. Das hört sich so an, als würden Teile eines Hörspiels informativ integriert werden ("Das dicke Mädchen hat es den Berg hochgeschafft", "Generation A", "On My Side")

Den Lead-Gesang übernimmt durchgängig die Sängerin, Texterin und Komponistin Wencke Wollny, die stimmlich Milde walten lässt. Ab und an gibt es ergänzende männliche Gast-Stimmen, die mal aggressiv (Fatoni bei "On My Side"), mal gleichgesinnt (Maeckes bei "1000k") und mal harmonisch (Francesco Wilking von Die Höchste Eisenbahn bei "Du bist noch nicht da") ausfallen.

Beim schillernden Chanson "Das dicke Mädchen hat es den Berg hochgeschafft" wird detailliert und bildhaft geschildert, wie jemand über sich hinaus wächst und es allen Skeptikern zeigt. Keine Angst, die Platte ist nicht kaputt, das Kratzen ist so gewollt.

Der Electro-Pop von "Generation A" beinhaltet danach sowohl sanfte wie auch stark rhythmische Passagen. Die Diskrepanz zwischen beruhigendem Gesang und aufwühlender Elektronik macht den Reiz des Stückes aus.

Bei "On My Side" geht es um die Auswirkung von Veränderung auf menschliche Verbindungen oder um fehlende Toleranz, wenn sich Meinungen verfestigt haben und sich konträre, vermeintliche Wahrheiten unversöhnlich gegenüber stehen. Diese abgrenzende Schwarz-Weiß-Malerei wird durch zwei gegensätzliche Kommentare in einem schleppend verlaufenden Song mit überwiegend vernebelten, engagiert argumentierten Szenen dargestellt. Der Song endet mit der philosophischen Aussage: "Sie rufen: Du hast nur das eine Leben, fang endlich an aufzugeben." Die Kapitulation als Möglichkeit Ballast abzuwerfen. Da sollte man mal drüber nachdenken.

Break-Beats nehmen "Allesgönner" in Besitz. Sie begleiten das im Grunde genommen leichtfüßige, mit Keyboard-Fanfaren aufgedonnerte Lied unter späterer Hinzunahme einer smarten Ska-Posaune beinahe über die gesamte Laufzeit hinweg. Beim am Space-Age-Lounge-Pop geschulten Track "1000k" wird die Dramatik langsam gesteigert, so dass ein exzessives Finale erwartet wird, welches jedoch ausbleibt. Der Lagerfeuer-Folk von "Spinnweben am Geländer" hinterlässt dann als kurzes Intermezzo einen unbekümmerten, beinahe meditativen Eindruck. 

"Immer Immer" ist von der Hoffnung erfüllt, den ex-Liebhaber zufällig zu treffen, mit allen Zweifeln und Gewissensbissen, die dazu gehören. Die Musiker untermalen diese wehmütige Sehnsucht mit luftigen Akustik-Gitarren-Akkorden, schwebenden Synthesizer-Sound-Blasen und dynamisch angepasstem Rhythmus. 

Bei "Gefällt" gefällt der flott-sympathisch-transparente Power-Pop. Im Ernst, der Titel wird unverkrampft und gelassen dargeboten. Textlich geht es darum, wie weit man sich verbiegen kann, um jemandem gut zu gefallen und dessen Aufmerksamkeit zu erlangen. Die Wortwahl zu dem Thema ist anschaulich und entzieht sich jeglichem Kitsch-Verdacht.

Wenckes Stimme klang auf dem Album schon öfter - aber bei "Heute Nacht" besonders - nach Suzanne Vega. Die beiden Sängerinnen verbindet eine ähnlich entwaffnende Natürlichkeit, die dafür sorgt, dass die Handlungen - egal wie problembelastet sie sind - unverstellt, unvoreingenommen und vorurteilsfrei vermittelt werden. Diese Ballade läuft harmonisch ab, übermittelt einen Wohlfühl-Faktor und sorgt deshalb für Verbundenheit mit der Protagonistin. Die Band erlaubt sich den Luxus, den Namen des nächsten Songs schon textlich zu verwenden ("Dieses "Lied ohne Überschrift", es liegt da auf dem Schreibtisch").

Beim Stück "Lied ohne Überschrift" kommt der Titel dann nicht mehr im Wortlaut vor. Eine clevere Verwirr-Taktik. Der atmosphärische Folk-Rock klingt unkompliziert und ausgeglichen. In der Ruhe liegt die Kraft bei diesen Noten und Aussagen. 

"Du bist noch nicht da" enthält wieder mindestens eine schlaue Lebensweisheit, die Wencke Wollny unverblümt formuliert: "Jeder lügt so gut er kann. Mancher, als gäbe es einen Preis." Genauso intelligent wie die Formulierungen getroffen werden, wird auch die Musik arrangiert. Diese facettenreiche Pop-Musik hat definitiv internationales Format.

Für "Zweifel" verfällt das Ensemble dann allerdings mit unseligen Neue Deutsche Welle-Zitaten in Stumpfsinn und verwechselt die Verwendung von Stakkato-Keyboard-Rhythmen mit einer guten Idee. Sowas war schon in den 1980er Jahren nicht besonders attraktiv.

Das unkonventionell instrumentierte und strukturierte, etwas spröde und eckig ablaufende "31. März" entwickelt seine Spannung aus dem Seltsamen und hätte in dieser Form vielleicht sogar Hildegard Knef gefallen. 

Das mit hypnotisch-monotonen Synthesizer-Piepsern unterlegte, unglücklich wirkende "Schmerz ohne Unfall" lässt das Album gemächlich und zurückhaltend ausklingen. Aber noch ist nicht Schluss! Es ist aus der Mode gekommen, aber hier lebt es wieder auf und macht Sinn: Eine Zugabe in Form eines ungelisteten Bonus-Tracks. Die intime Piano-Ballade "Goodbye Vorbild" braucht sich hinter den besten Stücken des Werkes nicht zu verstecken und rundet den positiven Gesamteindruck ab.

Karl die Große sind immer dann besonders überzeugend, wenn sie sich den Mechanismen des Charts-orientierten Deutsch-Pop verweigern. Dann spinnt die Kapelle einen Faden weiter, der in letzter Konsequenz zu durchgängig komplexem, individuellem Kunst-Pop führen kann. Noch wurde das bei den knapp 56 Minuten von "Was wenn keiner lacht" nicht kontinuierlich vollzogen, aber die Texte sind schon jetzt weitgehend klischeefrei. Das Potential für eine umfassende Weiterentwicklung wäre allerdings vorhanden, denn Christian Dähne (Bass), Simon Kutzner (Keyboards, Klarinette, Background-Gesang), Wencke Wollny (Gesang, Text, Komposition), Clemens Litschko (Schlagzeug, Percussion), Antonia Hausmann (Posaune, Background-Gesang) und Yoann Thicé (Gitarre, Background-Gesang) können aufgrund ihres breiten instrumentalen und stilistischen Spektrums aus dem Vollen schöpfen.

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