Susanna - Baudelaire & Orchestra

Die bedeutungsschweren Baudelaire-Gedichte erhalten durch Susannas eindringlich-klaren Gesang und der verwinkelten, raumfüllenden Orchesterbegleitung ein geheimnisvoll-verführerisches Antlitz. 

Die norwegische Sängerin, Pianistin und Komponistin Susanna Karolina Wallumrød pflegt eine intensive Beziehung zur Poesie des französischen Dichters Charles Baudelaire, der mit seinem Gedichtzyklus "Les Fleurs Du Mal" ("Die Blumen des Bösen") von 1857 ein wegweisendes Werk im Spannungsfeld zwischen der Sehnsucht des Geistes und dem Schmerz der Realität verfasste.
Credit: Signe Fuglesteg Luksengard

Susanna widmete schon 2020 die Platte "Baudelaire And Piano" und 2022 das Album "Elevation" der morbiden Sprachkunst des Franzosen. 
Nun bringt die bedeutende Künstlerin - die auch als Susanna & The Magical Orchestra oder Susanna & The Brotherhood Of Our Lady bekannt ist - seine "Les Fleurs Du Mal"-Poesie und ihre Vertonungen noch einmal in einem großen Rahmen mit Unterstützung des Norwegian Radio Orchestra zu Gehör. Hierbei handelt sich um acht Eigenkompositionen und drei Tracks von Stina Stjern, die auch Effekte und Stimme beisteuert. Dazu gehört auch das eröffnende "Sarcophagi": Über ein Hintergrundbrummen werden Stimmenfetzen und Geräusche eingeblendet. Stina zitiert das Gedicht "Alchimie De La Douleur", das sich anhört, als würde es über einen Lautsprecher in der Metro übertragen werden.
Für "Obsession" baut das Orchester eine spannungsgeladene Dramatik auf, so als würde gleich Steven Spielbergs "Der Weiße Hai" aus dem Lautsprecher auftauchen. Diese Ton-Urgewalt bricht nach 40 Sekunden urplötzlich ab und Susannas helle Stimme erscheint wie Phoenix aus der Asche und wird leise von sinfonischer Hingabe umsorgt, gehegt und gepflegt.
Bei "The Ghost" wird die Beziehung zwischen dem Lead-Gesang und dem Orchester noch intensiviert. Ein gegenseitiges Abtasten und Austesten der Erwartungen führt bei dieser nach einer Joni-Mitchell-Ballade klingenden Elegie zu einer innovativ-originellen Symbiose der sensibel agierenden Klang-Elemente.
Melodische Lieblichkeit zeigt sich bei "Burial" im Wechsel mit blankem Schaudern, denn textlich geht es um den Horror einer Beerdigung, der in gruseligen Einzelheiten geschildert wird ("Dort wird die Spinne ihre Netze weben und die Viper ihre Brut gebären").
In "Heavy Sleep" lässt Stina Stjern albtraumhaft wilde Bandschleifen von der Kette, die wie eine Schar von Ratten Angst und Panik verbreiten.
Der Song "Destruction" füllt die Zeilen "Der Teufel, der fleißig an meiner Seite ist, infiziert die Luft mit vager, unmerklicher Unruhe. Ich schlucke sie und fühle, wie meine Lunge brennt und sie mit einer endlosen schuldigen Lust anschwillt" mit Leben. Nervöse Streichinstrumente bilden das Intro. Der Gesang wirkt ängstlich-eingeschüchtert, will aber Tapferkeit vortäuschen und arrangiert sich deswegen halbwegs mit den wirbelnd-unsicheren Ton-Kaskaden.
"Rewind" ist ein weiteres kurzes Klangexperiment von Stina Stjern mit unorganischem Rauschen und Fiepen, 
das zu "Longing For Nothingness" überleitet, wo die befremdlichen Noten zunächst aufgegriffen, dann aber wieder abgestreift werden, was sich trotz des deprimierenden Themas noch zu einem lieblichen Lied auswächst: "Alte Freuden, locken dieses grübelnde Herz nicht mehr! Der Duft des Frühlings ist für immer verschwunden", heißt es da.
Obwohl sich bei "Alchemy Of Suffering" eine bedrückende Befindlichkeit breit macht, keimt in manchen Schwingungen eine neue Hoffnung. Das Norwegian Radio Orchestra bringt das Kunststück fertig, in den schwingenden Instrumentalbögen sowohl Schrecken als auch Ermunterung darzustellen. Zum Ende des Tracks mischt sich dann Stina Stjern mit ihrem Effekt-Baukasten unter die zunehmend apokalyptisch klingenden Partituren.
Diese Phase wird mit "Elevation" aufgelöst und weicht einer milderen Melancholie mit leidenschaftlich wallenden und hüpfenden Instrumental- und Vokal-Beiträgen.
"The Vampire" zieht dann einen entschlossenen, nach Tatendrang klingenden Schlussstrich unter die anspruchsvolle Baudelaire-Würdigung.

Die Baudelaire-Texte verbreiten keine positive Haltung, sind aber hinsichtlich ihrer Wortgewalt sehr anregend. Es ist Susanna hoch anzurechnen, dass ihre Vertonungen zwar angemessen ernsthaft-dunkel, aber nicht so bleiern-niederschmetternd wie es manche Aussagen sind. Die Orchestrierung sorgt für Wucht, Fülle und Dynamik. Susanna reichert die raffiniert verschachtelten Arrangements mit ihrem prominent herausgestellten, feingliedrigen Gesang, der sich wie ein über dem üppigen Orchester-Geschehen schwebendes Instrument anhört, attraktiv an. 

Deshalb ist dieses Gefüge mehr als nur eine Dichterlesung mit Musik. Es ist eine eigenständige Darstellung der Gefühlswelten, die die düsteren Schilderungen und bedrohlichen Situationen von Baudelaire auslösen können. Das Orchester erschafft eine Sound-Kathedrale, die als eigenständiges Gebäude nur für die Realisierung dieser Fusion aus Lyrik, Mystik und akustischer Ergriffenheit da ist. Ursache und Wirkung der emotionalen Beeinflussungen durch Gedanken und Klänge treten in eine Wechselwirkung ein, sodass sich Buchstaben und Noten gegenseitig künstlerisch aufwertend ergänzen. Klassische Literatur wird auf diese Weise für ein Pop-Publikum nachvollziehbar und spannend aufbereitet.

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