James McMurtry - The Black Dog & The Wandering Boy (2025)
Americana-Sounds wie aus dem Lehrbuch und texanische Weltanschauungen.
James McMurtry ist der Sohn von Larry McMurtry. Larry McMurtry ist ein Roman- und Drehbuchautor aus Texas, der sich in seinen Geschichten mit der Vergangenheit und Gegenwart des Westens der USA beschäftigt. Zu seinen bekanntesten Werken gehört "Weg in die Wildnis" (Originaltitel: "Lonesome Dove"), für das er 1985 den Pulitzer-Preis bekam. Sein Drehbuch zu "Brokeback Mountain" brachte ihm 2006 einen Oscar für das beste adaptierte Drehbuch ein. Im Jahr 1962 erblickte sein Sohn James das Licht der Welt, der 1987 am "New Folk Songwriter Contest" in San Antonio teilnahm und zu den sechs Gewinnern zählte. Anschließend ließ er John Mellencamp Demo-Aufnahmen von sich zukommen. Der zeigte sich begeistert und koproduzierte James McMurtrys Erstlingswerk "Too Long In The Wasteland" im Jahr 1989.
Credit: Mary Keating Bruton
"The Black Dog & The Wandering Boy" kreist häufig um Familiengeschichten und persönliche, prägende Erinnerungen. So handelt es sich bei der Cover-Darstellung um eine Skizze von James McMurtry als Kind. Diese hat der Schriftsteller Ken Kesey, der "Einer flog über das Kuckucksnest" verfasst hat (das großartig mit Jack Nicholson in der Hauptrolle verfilmt wurde), gezeichnet. Kesey war mit den McMurtrys befreundet und bei einem Besuch in Texas ist dieses Porträt entstanden. Es ist ein Fund aus dem Nachlass von Larry McMurtry, der 2021 starb. James kontaktierte seine Stiefmutter, um sich zu vergewissern, woher das Bild stammt. Larry McMurtry heiratete nämlich in zweiter Ehe die Witwe von Ken Kesey, die die Echtheit des Dokumentes bestätigen konnte. Zufall und Inspiration gehen manchmal merkwürdige Wege.
Die Stimme von James McMurtry, die eine überlegene Lässigkeit transportiert, aus der eine leichte Arroganz hervorgeht, eignet sich perfekt, um auch lange Handlungsstränge spannend vorzutragen. Er ist deshalb als ein singender Dichter und ein poetischer und zupackender Musiker zu bezeichnen. Zwischen purem Folk und donnerndem Folk-Rock findet er etliche andere geeignete Americana-Stile, um seine Geschichten abwechslungsreich zu gestalten.
Bei der Umsetzung hilft ihm seine Live-Band, bestehend aus Tim Holt (E-Gitarre, Backing Vocals), Cornbread (Bass), BettySoo (Harmoniegesang) und Daren Hess am Schlagzeug, die von einigen Gästen, wie Sarah Jarosz (Harmoniegesang), pat mAcdonald (Mundharmonika) oder dem Gitarristen Charlie Sexton, der hier das türkische Saiteninstrument cum-bus auf "Sons Of The Second Sons" spielt, unterstützt werden. Als Produzent wurde erneut (nach "Where`d You Hide The Body" aus 1995) der Altmeister Don Dixon gewonnen, der nebenbei einige instrumentelle Verfeinerungen vornahm.
Die Stimme von James McMurtry, die eine überlegene Lässigkeit transportiert, aus der eine leichte Arroganz hervorgeht, eignet sich perfekt, um auch lange Handlungsstränge spannend vorzutragen. Er ist deshalb als ein singender Dichter und ein poetischer und zupackender Musiker zu bezeichnen. Zwischen purem Folk und donnerndem Folk-Rock findet er etliche andere geeignete Americana-Stile, um seine Geschichten abwechslungsreich zu gestalten.
Bei der Umsetzung hilft ihm seine Live-Band, bestehend aus Tim Holt (E-Gitarre, Backing Vocals), Cornbread (Bass), BettySoo (Harmoniegesang) und Daren Hess am Schlagzeug, die von einigen Gästen, wie Sarah Jarosz (Harmoniegesang), pat mAcdonald (Mundharmonika) oder dem Gitarristen Charlie Sexton, der hier das türkische Saiteninstrument cum-bus auf "Sons Of The Second Sons" spielt, unterstützt werden. Als Produzent wurde erneut (nach "Where`d You Hide The Body" aus 1995) der Altmeister Don Dixon gewonnen, der nebenbei einige instrumentelle Verfeinerungen vornahm.
James McMurtry steht für verlässliche Qualität und so darf man sich auf zehn neue Lieder freuen, die die alten Fans nicht enttäuschen und vielleicht neue Freunde gewinnen werden. Bei "Laredo (Small Dark Something)" handelt es sich um eine Cover-Version eines Tracks von Jon Dee Graham, bei dem es um Schilderungen eines Teilzeit-Junkies geht. Der Song zeigt sich als staubtrockener, heftig abgehender Garagen-Rock mit zwei sich herausfordernden und umkreisenden E-Gitarren, einer sehnsüchtigen Mundharmonika und einer krachenden Rhythmus-Abteilung. Die Umsetzung ist hinsichtlich seiner Schärfe und Härte nahe am Original belassen worden. James McMurtry hat als Sänger alle Fäden in der Hand und dirigiert diesen wüsten Ritt nicht nur, sondern feuert ihn auch noch an. Brillant! Eine perfekte Eröffnungsnummer, die einem das Blut in den Kopf schießen lässt. Mehr Stimulation geht kaum.
Folgerichtig schaltet "South Texas Lawman" ein paar Gänge zurück und erzählt ein wenig desillusioniert von den Auswirkungen des Alterns: "Ich kann es nicht ertragen, alt zu werden, es passt nicht zu mir." Die handelnde Person zeigt sich dennoch aufrecht und stolz. Mit stoischer Beschaulichkeit erteilen die Musiker eine Lektion in texanischer Lebensart, die in diesem Fall durch einen von Hektik befreiten Ablauf geprägt ist. Der Text basiert auf einem Gedicht von T.D. Hobart, einem Freund der McMurtry-Familie.
Die Ballade "The Color Of Night" ist nicht rührselig, sondern stellt sich den täglichen Anforderungen trotzig entgegen. Sie hat als Highlights einen lebhaften Rhythmus, eine herzhaft rauschende Southern-Soul-Orgel und ein kurzes, dafür eindringlich-gefühlvolles E-Gitarren-Solo zu bieten. Und über allem thront wieder einmal die souverän-bedeutsame Stimme von James McMurtry, die treffend-verständnisvolle Poesie wie "Manchmal senden wir eine Nachricht und hoffen, dass sie nicht ankommt" verbreitet.
In dem Lied "Pinocchio In Vegas" ist die Märchenfigur auf sich allein gestellt. Sein Ziehvater Geppetto ist schon seit zwei Jahren tot und Pinocchio verspielt nun in Hinterzimmern von Las Vegas sein Erbe. Um an Geld zu kommen, verklagt er Walt Disney wegen nicht erfüllter Urheberrechte. Er bekommt weniger Entschädigung als er wollte, aber mehr als sie ihm ursprünglich geben wollten. Ein fauler Kompromiss, bei dem letztlich nur die Anwälte gut verdienen. Daraus leitet er ab, dass er lernen muss, "ein Arschloch zu sein, genau wie alle anderen". Das ist seine Strategie, um zu überleben, denn er ist jetzt ein richtiger Junge, der auf sich allein gestellt ist und sich nun durchsetzen muss. Wenn er lügt, wächst sein Penis, nicht mehr seine Nase. Ein ländlicher, virtuoser Bluegrass-Sound rahmt diese Tragik-Komödie einfallsreich ein.
"Annie" führt uns noch einmal den immer noch unbegreiflichen Terror-Anschlag auf das World Trade Center am 9. November 2001 vor Augen und James blendet zwischendurch die damalige politische Lage mit ein. Der Song wird von Verzweiflung und Trauer getragen, versinkt aber nicht in Wehmut.
Der titelgebende Song "The Black Dog And The Wandering Boy" ist ein schroffer, wuchtiger Folk-Rock mit Blues-Feeling. Die Geister und Traumata der Vergangenheit holen den Erzähler ein: "Der schwarze Hund und der umherirrende Junge kommen jede Nacht vorbei. [...] Der umherirrende Junge wird nie älter, der schwarze Hund beißt nicht. Sie sollten beide verschwinden, wenn ich meine Medikamente nehme. Aber das tun sie nicht. Irgendjemand lügt mich an." Bei diesen Ausführungen handelt es sich um die Halluzinationen von Larry McMurtry, der am Ende seines Lebens an Demenz litt. Oder es handelt sich um Psychosen: "In dem Raum unter der Treppe verbirgt sich etwas. Ich sage, ich habe Angst, aber diesen alten Leuten ist es einfach egal." Eine knarzig-raue Stimmung und das Leiden, welches durch den Blues-Einfluss eingestreut wird, sind die perfekten Zutaten zur akustischen Darstellung der lyrischen Aufarbeitungen.
Coeur d’Alene ist zwar die größte Stadt im Norden des US-Bundesstaates Idaho, wenn man aber eine große Karriere anstrebt, muss man wohl in eine Metropolregion wechseln. So jedenfalls sieht es die Hauptfigur in "Back To Coeur d’Alene" und will sich zusammen mit den Freunden Carlton und Mikey auf den Weg machen, um Unterstützer für seine Projekte zu finden. Und wie es bei McMurtry üblich ist, führen seine Verse durch einen emotionalen Schlingerkurs. Der flotte Country-Folk wird von der spritzig-groovend auftrumpfenden Band mit erfrischendem Schwung vorgetragen.
Früher ging das gesamte Erbe an den Erstgeborenen. Der zweite Sohn ging leer aus und musste oft sein Heil und Glück in der Ferne suchen. Nicht selten landete er beim Militär, einer Art "Ersatzfamilie". Dieses Schicksal der vom Geburtsrecht benachteiligten Personen greift "Sons Of The Second Sons" auf. McMurtry und seine Begleiter zaubern als Untermalung ein transparentes, von Country & Folk geprägtes Klangbild hervor, das Traditionen vereinnahmt, sich aber kein bisschen bieder anhört.
Es geht bei "Sailing Away" um Selbstzweifel und die Befürchtung, dass das Haus verlassen ist, wenn man nach einer Weile des Unterwegs seins dahin zurückkehrt. Unsentimental, fernab von tränenreichem Jammern, stellt sich der Protagonist seinen Problemen und lässt bei seinen Überlegungen die Hoffnung nicht sterben. Der luftige, detailreiche Folk-Pop passt dazu wie ein Maßanzug. Nichts ist überflüssig und nichts fehlt.
"Broken Freedom Song" ist ein Lied von Kris Kristofferson, das von Betrogenen und Enttäuschten handelt. Von einem Soldaten, der seinen Arm verloren hat, zum Trinker geworden ist und nun Angst davor hat, in diesem Zustand nach Hause zu kommen. Von einer Frau, die schwanger ist und auf den Kinds-Vater wartet, der sich aber nicht mehr für sie interessiert. Von Jesus Christus, der sich fragt, warum sein Vater ihn blutend und allein zurückgelassen hat. Jede Strophe schließt mit der bitteren Erkenntnis: "Niemand wird vermisst, bis man ihn braucht". McMurtry ist ein hervorragender Geschichtenerzähler, der es bestens versteht, seinen Liedern Tiefe und Unverfälschtheit zu verleihen. Hier schlüpfen die Musiker in ein Gewand aus beschwingten, sich im Hintergrund aufhaltenden Rhythmen und komplexen Folk-Mustern, die eine vielschichtige Gefühlsstruktur vermitteln.
Der Texaner kann tolle Songs schreiben, eindrucksvoll singen und die jeweiligen Songfarben effektiv mit passenden Gitarrentönen abrunden. Aber eines kann er nicht: ein schlechtes Album herausbringen. Oder wie es der Schriftsteller Stephen King ausdrückt: "James McMurtry ist vielleicht der wahrhaftigste, wildeste Songwriter seiner Generation." Hinzu kommt, dass er seinen ländlichen und urbanen Texas-Sound kernig, aufrichtig und markant umsetzt. Die Sorgen, Nöte, Wünsche und Philosophien der arbeitenden Bevölkerung werden entsprechend lebensnah nachempfunden.
"The Black Dog & The Wandering Boy" - sein vierzehntes Werk - reiht sich dabei ohne zu schwächeln in James McMurtrys makellose Diskografie ein und kann jedem Americana-Liebhaber wärmstens empfohlen werden.
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