Pulp - More (2025)
Mehr Pop-Luxus, mehr Hyper-Sensibilität, mehr Reife, mehr Pulp.
Betrachten wir "More" doch einmal so, als wäre die Platte nicht von Pulp, einer der
bedeutendsten Bands der Brit-Pop-Ära der 1990er Jahre, sondern von einer
aktuellen Gruppe der alternativen Pop-Szene. Also so, als ginge es um ein frisches Erstlingswerk und
nicht um ein Comeback nach 24 Jahren. Wie passen die elf neuen Pulp-Schöpfungen denn nun ins Zeitgeschehen und
welche Qualität und Relevanz weisen sie auf?
Saftig, blumig, clever und empathisch-dramatisch zugleich tritt das Eröffnungs-Stück "Spike Island" in Erscheinung. Die Band baut in den kraftvoll konstruierten Track luftig-leichte Momente ein, bleibt rhythmisch straff und ist melodisch anspruchsvoll. Beim Refrain steigert sich Jarvis Cocker in leidenschaftlich leidende Bereiche hinein. Das lässt David Bowie im Jenseits vor Anerkennung mit der Zunge schnalzen. Denn es handelt sich bei "Spike Island" um einen Song, der in jeder Pop-Epoche groß rausgekommen wäre.
"Tina" schwingt sich in Gefilde hinauf, in denen Romantik und Theatralik keine Schimpfworte sind, sondern einen Ausdruck für ganz besonders auffällige Gefühlswallungen bilden. Geigen leiten als Fremdenführer durch den Song. Mal klingen sie großzügig-versonnen, mal würdevoll-zupackend. Der Gesang hört sich sanft und flehend an. Er entführt bis an die Grenzen der Selbstaufgabe. Wer erinnert sich noch an "Sebastian" von Steve Harley & Cockney Rebel? Dieses außergewöhnliche, gesanglich übersteigerte Niveau liegt auch hier vor. "Tina" handelt von einer unerfüllten Liebe, die aufgrund der Schüchternheit des Protagonisten nicht zustande kommen konnte. Dieser hat seine Angebetete minutiös studiert und seine Träume und Wünsche auf sie projiziert, ohne ihr jemals wirklich nahegekommen zu sein.
Es ist ein merkwürdiges Phänomen, dass wir uns mit dem wirklichen Alter oft nicht arrangieren können. Sind wir jung, möchten wir reif wirken, um anerkannt zu werden. Sind wir alt, tun wir alles, um jugendlichen Glanz auszustrahlen. Laut Jarvis vergisst man im fortgeschrittenen Alter aber, wie es ist, jung und unbeholfen zu sein. "Grown Ups" läuft mit einem unnachgiebigen Gleichmut ab. Man kann auch sagen, der Rhythmus hat die Sturheit für sich gepachtet. Durch harte Gitarren-Riffs wird zu allem Überfluss noch ein erbarmungsloser, militärischer Marsch-Takt heraufbeschworen, welcher für Strenge sorgt. Der flehentlich-impulsive Refrain wirkt dann wie eine Befreiung aus diesem übergriffigen Korsett. Die ausführliche, kompetent recherchierte Erzählung gemahnt an die sich durch ihre detailgenaue Beobachtungsgabe auszeichnende Komponierkunst von Ray Davies (The Kinks).
"Wenn die Liebe langsam erkaltet, vergeht sie irgendwann fast vollständig." Cocker spricht in diesem Fall von einem langsamen Tod, den die Liebe stirbt. Man kann diesen Zustand einfach ignorieren oder aus den Gewohnheiten ausbrechen und etwas Neues anstreben. Cocker macht aus der Sozialstudie "Slow Jam" eine Ballade mit Funk-Injektionen, wie sie auch David Sylvian ersonnen haben könnte. Zärtlichkeit und manipulative Überzeugungskraft fließen in die üppigen Arrangements ein und lassen das Lied andächtig-hypnotisch gedeihen.
"Partial Eclipse" überzeugt durch einfühlsame, federleichte Melancholie, gepaart mit einem überlegenen Coolness-Faktor: "Das Outro soll sich anfühlen, als würde man den Planeten verlassen und in den Weltraum schweben." Bewusst oder unbewusst hat sich Jarvis Cocker gesanglich von "Life On Mars?" von David Bowie anregen lassen. Diese Auffassung entsteht, da er seine Stimme "partiell" in einen kurzen Ruhemodus sinken lässt, wie es auch Bowie gerne zur Steigerung des Interesses getan hat.
"This Is Hardcore" (1998) und "We Love Life" (2001) von Pulp sowie die Arbeiten von Jarvis Cocker (vor allem "Room 29" (2017) mit Chilly Gonzales) zählen zu Sternstunden des britischen Art-Pop. Augenzwinkernd und mit einem feinfühligen Sinn für Opulenz und Pop-Intimität haben diese Platten ihre Qualitäten konservieren können - wie guter Wein wurden sie im Laufe der Zeit noch wichtiger und intensiver. Diese Prädikate sind entscheidend, denn "das Leben ist zu kurz, um schlechten Wein zu trinken". So stand es jedenfalls auf einem Kissen im Haus von Jarvis Cockers Mutter.
Mit ihrem nach der 2023er-Reunion nicht ganz aus heiterem Himmel gefallenen Veröffentlichungs-Comeback "More" beweisen Pulp wiederum, dass sie in der Lage sind, zeitlos interessante Musik zu produzieren. Wären sie eine Newcomer-Band, würde man sie für "More" frenetisch feiern. Ist "More" also ein Anwärter für die Platte des Jahres 2025? Durchaus möglich! Jedenfalls verdient es das Werk unbedingt, dass man positiv darauf aufmerksam macht. Was hiermit geschehen ist.
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