ANGEL OLSEN - My Woman (2016)

Auf der Suche nach der eigenen Identität lotet Angel Olsen ihren Standort zwischen Folk, Rock und Pop aus.
Kann diese manchmal leicht unsicher wirkende, oft hohe Lagen abdeckende Stimme wirklich ein ganzes Album lang Aufmerksamkeit erzeugen und den Hörer nachhaltig bei Laune halten? Ja, Angel Olsen kann das, weil sie instrumentell und gesanglich den Ausdruck variiert. Und vor allem, weil sie abwechslungsreiche und gehaltvolle Songs zu bieten hat. Die neue Platte ist der Nachfolger von „Burn Your Fire For No Witness“ aus 2014 und demonstriert die Lern- und Anpassungsfähigkeit der Künstlerin, die schon Background für Bonnie Prince Billy gesungen hat.
Fresse halten, küssen, einziehen: ANGEL OLSEN – My Woman ...
Beim sphärischen Opener „Intern“ zeigt sich die Singer/Songwriterin als sensible Sängerin. Auch im anschließenden „Never Be Mine“ kommt sie verletzlich rüber, benutzt aber durch eine Folk-Rock-Band-Begleitung kompaktere Begleitstrukturen. „Shut Up Kiss Me“ hat eine härtere Indie-Rock-Ausrichtung, aber der verwundbare Gesang setzt sich trotzdem trotzig durch. Auch mit „Give It Up“ bleibt es rockig. Trockene Riffs werden geschrammelt und verbreiten einen Hauch von Nirvanas „Smells Like Teen Spirit“, während die Stimme eher gemäßigt klingt und Pop-Luft schnuppert. Etwas jaulend und beleidigt hört sich die Sängerin dann beim gradlinigen Rocker „Not Gonna Kill You“ an, der zum Ende hin noch mit einem kurzen, spannenden Gitarren-Solo aufwartet.
Die Worte für „Heart Shaped Face“ werden gedehnt, der Takt ist schläfrig und die Instrumentierung karg. „Sister“ ist ein Folk-Rock, dessen Gitarren-Ausbrüche an Neil Young & Crazy Horse geschult wurden und „Those Were The Days“ sonnt sich in Akkorden, die an die bluesigen Fleetwood Mac von „Albatros“ erinnern. Der verträumte Psychedelic-Pop-Tune bekommt durch den geflüstert-sinnlichen Gesang noch zusätzliche introvertierte Reize verpasst. „Woman“ transportiert Zorn sowie Verzweiflung und wird durch Mellotron-Schwaden sowie ein elegisches Gitarren-Solo zu einem Folk-Rock mit Progressive-Rock-Ausrichtung. 
Mit „Pops“ wird dann zum Schluss noch eine introvertierte Piano-Ballade mit vernebelt-verwehtem Gesang geboten.
Dass Angel Olsen ihren persönlichen Stil noch nicht scharf abgegrenzt hat, ist für den Hörer von „My Woman“ eher ein Vor- als ein Nachteil. So streunt die Feministin nämlich vorurteilsfrei und unbedarft durch Folk, Rock und Pop-Bereiche. Dabei streift sie die Territorien von FeistCat PowerLana Del ReyThe Velvet Underground und Yo La Tengo. Gesanglich probiert sie sich zwischen PJ HarveyPatti Smith und Stevie Nicks (Fleetwood Mac) aus. Das sorgt für Vielfalt und mundet aufgrund einiger gelungener Songs mit Widerhaken angenehm prickelnd. Angel Olsen versteht es, markante Meilensteine zu setzen und empfiehlt sich nachdrücklich als hoffnungsvolles Talent.

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